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Das verlorene Puzzleteil

Text: MyTortureGarden
Mein Kopf, mein Herz, meine Seele sind leergefegt wie eine Bahnhofshalle in der tiefsten Nacht. Hin und wieder huscht ein Gedanke unter der Tür hindurch und hinterlässt ein Echo.

Zitternd und gelähmt stehen meine Träume in einer grauen Ecke.

Ganz allein.

Wo bist du, um sie abzuholen, um sie zu teilen?

Mit spitzen roten Kieselsteinen hast du Löcher in die geschwärzten Fenster geworfen und den Raum mit Licht geflutet.

Für einige Wochen hast du meine Träume und Hoffnungen auf trapp gehalten.

Hast sie wie ein Dompteur durch das Zirkuszelt gejagt.

Dank dir konnte ich in meinem Foyer ein Traumschloss bauen und die Sterne wieder sehen.

Und dann fällt dir ein, dass auf der großen Weltenuhr steht: zu spät?

Ich höre deine Stimme wie sie in dem Raum nachhallt:

- Es ist zu spät... Ist zu spät... Zu spät.

Und dass du sie nicht verlieren willst.

Deine helle Gestalt hinter dem Glas verschwindet und hinterlässt den leeren Ort.

Zurückgelassen hast du bloß einen Zettel mit der Nachricht, dass du mich nicht ganz verlieren willst. Wir können ja Freunde bleiben.

Doch du wusstest, dass das nicht reichen würde, um mich vor meinem Schicksal zu retten.

Gegen die Scheiben klopft der wütende Regen und die Bahnhofshalle verdunkelt sich.

Und wieder fliegt das Glück wie eine kunterbunte Feder durch das kleine Loch im Fenster hinaus. Über mir auf den Gleisen kreischt die Liebe und fährt ohne mich davon.

Auf den kalten Fliesen liegt meine rosarote Brille. Ihre Gläser sind zersprungen.

Alles was bleibt ist die Erinnerung an die Schmetterlinge, die den Raum so viel erträglicher

gemacht haben.

Am Boden, in der Mitte der Halle sitzt ein kleines Mädchen, das weint, weil ihr jemand ihr Puzzleteil genommen hat.

Das Puzzleteil, das der Schlüssel zu allen Türen gewesen wäre.

Sie hätte die großen schweren Tore aufstoßen und der Liebe die Hand reichen können.

- Guten Tag, Liebe. Schon viel von dir gehört, fast hätte ich den Glauben an dich verloren. Wie nett, dass wir uns kennen lernen und ich auch einmal von deinen gutriechenden Rosenblättern überschüttet werde. Schön, dass ich endlich unbeschwert tanzen kann und ich nicht hier in meiner leeren, dunklen Bahnhofshalle ersticken muss.

Doch diese Vorstellung bleibt ein Produkt ihrer aufgewirbelten Träume.

Jämmerlich zusammengekauert sitzt sie am Boden und starrt auf die Wand.

Meine Augen folgen ihrem Blick und an der Wand hängt es.

Pumpend klebt es dort und blutet.

Fast hätte ich sein Fehlen gar nicht bemerkt.

Die steinerne Mauer hat es sich schon beinahe einverleibt.

Mein Herz.








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