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Eine Bekannte lieh mir kürzlich ein Buch daher der Text...

Text: Reimpirat
Das Buch heißt Sheila. Es ist von Torey L. Hayden. Es handelt von einer jungen Lehrerin, die in dieser Gegend sogenannten "Abfallklassen" betreut. Sie liest in der Zeitung von einem sechsjährigen Mädchen, das ein Kind aus der Nachtbarschaft entführt hatte. An dem kalten Novembermorgen hatte sie den dreijährigen Jungen mitgenommen, in einem nahen Waldstück an einem Baum gebunden und verbrennen wollen. Der Junge lag im Krankenhaus des Ortes. Das Mädchen lag in Gewahrsam.

Sie las den Artikel in der gleichen Gleichgültigkeit, wie wir alle solche Artikel lesen. Es kam eine Abscheu auf. Die Zeitung hatte ihren Zweck erfüllt, sie hatte emotionalisiert, uns alle emotionalisiert, wo sonst so wenig Emotionen sind. Der Mensch verdrängt. Tut ab. Was neben der Haustür passiert bekommt er nicht mit und kann die emotionalen Dimensionen von Geschehen oft nicht erfahren. Vor allem nicht in Zeitungsartikelstil, der durch Nüchternheit und Sachlichkeit geprägt ist. (Das mag bei vielen Sachlagen auch durchaus seine Berechtigung haben.) Also die Dimensionen, dessen was das wirklich war und welche Vorgeschichte so eine Sachlage hat, sind meist psychologischer Natur und alles was die Psyche betrifft, wird oft ins psychologisch-pathologisch-therpeutische verschoben. Da liegt es gut und wir müssen uns damit nicht beschäftigen. Psychologie ist die Reinungsanstalt unseres Kolektivgewissens.

Doch die verletzten Seelen bei Tätern und Opfern, die verschütteten Schmerzen und Traumata, diese bleiben dieser Reinigungsanstalt oder den Ämtern und Pädagogen überlassen. Sauber, Gesellschaft. aus der Verantwortung gezogen! Wieder mal können wir gleichgültig sein.

Das oben genannte Buch erzählt, wie diese Lehrerin mit Sheila der Täterin, die gleichzeitig Opfer ist, (wie so oft - die einfachen Boulevardzeitungslösungen greifen halt oft nicht!) umgeht. Und sie hat am Ende dieses Gedicht stehen:

Von Sheila an die Lehrerin Torey (die Autorin):



Für Torey mit viel "Liebe"



Alle anderen kamen

Sie wollten mich lachen machen

Sie spielten ihre Spiele mit mir

Manche Spiele zum Spaß und manche für immer

Und dann gingen sie fort

Ließen mich in den Ruinen der Spiele, mich

Die ich nicht wußte, welche für immer waren

Und welche zum Spaß und

Ließen mich allein mit dem Echo des

Lachens, das nicht meins war.



So lautet die Kritik an uns von Sheila selbst, doch es geht weiter:



Dann kamst du

Mit deiner komischen Art

Nicht richtig menschlich

Und du machtest mich weinen

Und es schien dich nicht zu kümmern

Wenn ich weinte

Du sagtest nur die Spiele sind vorbei

Und wartetest

Bis alle meine Tränen zu Freude wurden.



(Dieses Gedicht sagt mehr als manches philosophische Zitat. Es drückt so eindrücklich aus, wie wir alle verantwortlich sind, für die Wunden um uns herum. Verantwortlich! Das heißt nicht bei den Fragezeichen bleiben, die da lauten: Warum konnte das Geschehen? Wie sollen wir damit umgehen? Wer ist Schuld? (die dümmste Frage dabei denn sie stellt uns den Spiegel direkt ins Gesicht!)

Verantwortlich! Das heisst Antworten haben, die heißen Aufrichtiges begegnen auf der Suche nach Ausgleich, nach Liebe und Geborgenheit und Salben, die heißen ernst nehmen von Hilfeschreien und Hilfeschreihandlungen. Genau darum geht es. Lasst uns gegenüber uns nicht so gleichgültig sein, nicht gegen die Alten, die Kinder, die Jugend und welche Sammelbegriffe, wie für Menschen, individuelle Menschen, noch haben. Die Schwulen, die Politiker, die Gewalttäter, das Prekariat, die Armen, die Reichen, die Frauen, die Männer, die Transgender, die Sadisten, die Lehrer, die Schüler, ....

Die Polarisierten Beeinflussten Menschen.

Wir sind die anderen. Die anderen sind wir. Und drüben im Zimmer neben dir ist jemand allein, einsam, verletzt, eifersüchtig, verwundet...


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