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Apotheose aus der Volkshochschule
Eigentlich gibt es nur Gutes zu sagen über Daniel Kehlmann. In seinem Roman Die Vermessung der Welt geht es um das wichtigste Thema der Welt, das Buch bereitet sehr viel Vergnügen und gibt obendrein auch noch Jungschriftstellern die Hoffnung zurück, dass sie auch mit Büchern ohne Zauberlehrlinge und Vatikanverschwörungen viel Geld verdienen können. Als die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung einmal Autoren danach fragte, ob die deutsche Literatur eine neue Gruppe 47 benötigte, war neben dem Namen Daniel Kehlmann statt einer langweiligen Antwort die weltmännisch-schriftstellerische Information zu lesen, dass Kehlmann sich gerade auf einer Afrika-Reise befinde und nicht zu erreichen sei. Man musste sich den blassen Österreicher vorstellen, wie er sich mit Machete und Indiana-Jones-Hut durch den Dschungel schlägt, um sich nur jede Woche einmal per Satellitentelefon bei seiner Agentin zu melden.
Auch gibt es, und das allein ist ja schon eine Sensation, ein großartiges Autorenfoto von Kehlmann. Man sieht ihn auf dem Beifahrersitz eines schwarzen Autos, die Türe geöffnet und den Kopf gedreht zum Blick nach hinten. Ja, denkt man bei diesem Foto, das ist Daniel Kehlmann, der Beifahrer der Weltgeschichte, und wenn die Weltgeschichte kurz mal anhält, um Kippen und Bier zu kaufen, blickt er sich um, um zu sehen, wen sie unterwegs so alles plattgefahren hat. Vielleicht schaut er auch gerade auf seine früheren Kurzgeschichten zurück, die dieses Jahr in dem Taschenbuchband Unter der Sonne neu aufgelegt wurden. Das würde seinen besorgten Gesichtsausdruck erklären. Denn über Unter der Sonne gibt es leider gar nichts Gutes zu sagen.
Die erste Geschichte, Bankraub, beginnt mit folgenden Sätzen: Markus Mehring war vier- oder fünfunddreißig Jahre alt, oft wusste er das selbst nicht genau. Er lebte in einer Zweizimmerwohnung mit Kochecke und einem kleinen Balkon. Leider geht sie und der Rest des Buches auch genauso weiter. Die Handlungen lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Es passieren Sachen, die eben in Kurzgeschichten so passieren, vor allem in solchen, die gerne in Lesebüchern für die gymnasiale Mittelstufe abgedruckt werden. Ein Mann bekommt durch Zufall sehr viel Geld, ein Junge bringt jemanden um, ein anderer Mann scheitert an seinem Lebenstraum und, zu allem Überfluss, erzählt auch noch ein poetischer Elektriker (Buchrückseite) von seiner Leidenschaft.
Aber nicht nur an der Handlung hapert es. Ein Schreibstil, so würde es Günther Netzer formulieren, findet auf den 124 Seiten auch nicht statt: So passt dann wenigstens der nichtvorhandende Stil zur nichtvorhandenen Handlung. Mancher (zum Beispiel derjenige, der Kurzgeschichten für Schullesebücher auswählt) würde aus dieser traurigen Koinzidenz ein künstlerisches Herausstellungsmerkmal machen. Wenn da die Bank aus der ersten Geschichte Kreditbank heißt oder am Anfang der letzten Geschichte Männer Namens Direktor Lessing und Berger im Sitzungssaal einer namenlosen Firma unbekannten Geschäftsbereiches schmoren, dann sagen die Lesebuchmacher: Ja, das ist reduktionistisch, das ist Absicht, das ist Literatur! Bei Lichte betrachtet und im Vergleich zu einem gekonnt-reduktionistischen Werk wie Die Vermessung der Welt ist es aber nur einfallslos und ohne Einfühlungsvermögen.
Die Protagonisten sind geronnene literarische Klischees, die man außerhalb solcher Erzählungen nie treffen würde. Aber wozu wollte man auch, so langweilig und eindimensional wie sie daher kommen? Sie sitzen fast ausschließlich in kargen Wohnungen, Beziehungen und Interessen haben sie keine, bis auf ein oder zwei, die der Autor als Stellschraube für seine notdürftigen Charakterisierungen nutzen kann. Man wird dabei das Gefühl nicht los, dass diese Gestaltung der Figuren nicht nur Ausdruck der Vereinsamung des modernen Menschen ist, sondern vor allem Ausdruck der geringen Fähigkeiten des jungen Kehlmanns.
In der Erzählung Pyr, dessen Titel und Beginn noch Vielversprechend sind, spielt jener poetische Elektriker die Hauptrolle. Weil er aber nicht nur Poet, sondern auch Philosoph ist, der seine Weltanschauung des Feuers anhand der üblichen klassischen Bildungssplitter darlegt (Urstoff Heraklits, allgewaltige Element der Alchemisten etc. pp.), sieht Kehlmann sich gezwungen, diese Diskrepanz zu seinem Beruf zu erklären. Unterschätzen Sie mich nicht, lässt er ihn sagen, ich sagte schon, ich habe studiert. Vielleicht nur an der Volkshochschule, aber mit Hingabe. Solche hölzernen Versuche, Unplausibilitäten hinwegzuerklären, sind schrecklich wie unnötig, denn entweder es passt halt zusammen, was die Figur sagt und was sie ist oder es passt eben nicht, aber dann hilft auch die Volkshochschule nichts. Zum Glück muss Kehlmann solche Versuche nicht oft unternehmen, denn wo man nichts Interessantes erfährt, da widerspricht sich auch nichts. Aber die hingabevolle Volkshochschulerklärungen zeigt einmal deutlich, welcher Mangelwirtschaft da das Etikett Reduktionismus aufgedrückt wird.
Aus der Volkshochschule scheint beim frühen Kehlmann vieles zu stammen, nicht nur die Erklärungen. Kern seiner Geschichten ist jeweils eine Art Apotheose der Figuren, deren Umsetzung sich allerdings liest, als hätte er sie bei irgendeiner kinderlosen Arztgattin aus dem Creative-Writing-Kurs abgeschrieben. Als Markus Mehring den Bankirrtum zu seinen Gunsten bemerkt, da bekommt er plötzlich keine Luft mehr, was auch sonst. Und was schoß durch seinen Körper? Klar: Ein dünner, scharfer Pfeil aus Hitze! Und die regenplätschernde Welt um ihn? Die schwankte hektisch, denn was soll sie auch sonst tun, wenn der ideenlose Schreiber seine Figur in eine außergewöhnliche innere Situation versetzen möchte. Und als der Junge sich aus Langeweile zu seinem tödlichen Anschlag entschließt, da muss er erst lächeln, aber (Huch! Ohje!) plötzlich war ihm kalt. Denn plötzlich passiert eben immer alles in Kurzgeschichten. Warm kann den Figuren allerdings auch nicht auf jeder Seite werden, man muss auch etwas Abwechslung an den Tag legen können und nun schwitzte er auch, obwohl er ja fror. Verrückt!
Doch noch mehr kann den Körpern der Figuren passieren, wenns wichtig wird: Sie können, wenn sie gerade nicht keine Luft mehr kriegen, auch atemlos sein oder das Atmen kann ihnen gar schwer fallen. Beim Verfassen der anstrengendsten Geschichte des Buches, Hunger, hat Kehlmann seine Hoppla, hier drückt sich das Geistige im Körper aus-Beschreibungspistole wohl auf Dauerfeuer gestellt: Da klopft das Herz vor Anstrengung, aber man fühlt sich leichter als jemals, Hausfassaden richten sich auf und versinken, Augen werden gerieben, während sie ein wenig schmerzen und Himmel und Zimmerdecke färben sich in allen Farben des Regenbogens. Rötlich, grau, schwarz, sogar schmutziges Geld ist dabei. Ähnlich - oder eigentlich genauso geht es die restlichen Seiten weiter.
Es gibt allerdings einen Grund, über all das hinwegzusehen (selbst über die Anmaßung, die letzte Geschichte mit dem Wort Schnee zu betiteln) und dem Buch etwas Schönes abzugewinnen. Nicht die wenigen Lichtblicke, die sich zwischendurch auftun, unter denen zu nennen wären: die Grundidee des szenischen Dialogs Kritik, die frühe, wenn auch noch vollkommen unterkomplexe, gar pubertäre Behandlung des Projektes der Aufklärung in Auflösung, die selbstreferenzielle Autorenphantasie in der Titelgeschichte Unter der Sonne. Auch nicht die Abwegigkeit des Gedankens, dass Kehlmann, vorausgesetzt ihm war die Unvollkommenheit seines Frühwerks bewusst, einer Wiederveröffentlichung doch hätte widersprechen sollen hätte er natürlich nicht. Alles muss raus! Und selbst nur, um zeigen und das ist der Grund, der Trost spendet , dass auch aus einem ziemlich einfallslosen Schulbuchkurzgeschichtenschreiber noch ein großartiger Romancier werden kann. Und ein mehr als erfolgreicher!
Auch gibt es, und das allein ist ja schon eine Sensation, ein großartiges Autorenfoto von Kehlmann. Man sieht ihn auf dem Beifahrersitz eines schwarzen Autos, die Türe geöffnet und den Kopf gedreht zum Blick nach hinten. Ja, denkt man bei diesem Foto, das ist Daniel Kehlmann, der Beifahrer der Weltgeschichte, und wenn die Weltgeschichte kurz mal anhält, um Kippen und Bier zu kaufen, blickt er sich um, um zu sehen, wen sie unterwegs so alles plattgefahren hat. Vielleicht schaut er auch gerade auf seine früheren Kurzgeschichten zurück, die dieses Jahr in dem Taschenbuchband Unter der Sonne neu aufgelegt wurden. Das würde seinen besorgten Gesichtsausdruck erklären. Denn über Unter der Sonne gibt es leider gar nichts Gutes zu sagen.
Die erste Geschichte, Bankraub, beginnt mit folgenden Sätzen: Markus Mehring war vier- oder fünfunddreißig Jahre alt, oft wusste er das selbst nicht genau. Er lebte in einer Zweizimmerwohnung mit Kochecke und einem kleinen Balkon. Leider geht sie und der Rest des Buches auch genauso weiter. Die Handlungen lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Es passieren Sachen, die eben in Kurzgeschichten so passieren, vor allem in solchen, die gerne in Lesebüchern für die gymnasiale Mittelstufe abgedruckt werden. Ein Mann bekommt durch Zufall sehr viel Geld, ein Junge bringt jemanden um, ein anderer Mann scheitert an seinem Lebenstraum und, zu allem Überfluss, erzählt auch noch ein poetischer Elektriker (Buchrückseite) von seiner Leidenschaft.
Aber nicht nur an der Handlung hapert es. Ein Schreibstil, so würde es Günther Netzer formulieren, findet auf den 124 Seiten auch nicht statt: So passt dann wenigstens der nichtvorhandende Stil zur nichtvorhandenen Handlung. Mancher (zum Beispiel derjenige, der Kurzgeschichten für Schullesebücher auswählt) würde aus dieser traurigen Koinzidenz ein künstlerisches Herausstellungsmerkmal machen. Wenn da die Bank aus der ersten Geschichte Kreditbank heißt oder am Anfang der letzten Geschichte Männer Namens Direktor Lessing und Berger im Sitzungssaal einer namenlosen Firma unbekannten Geschäftsbereiches schmoren, dann sagen die Lesebuchmacher: Ja, das ist reduktionistisch, das ist Absicht, das ist Literatur! Bei Lichte betrachtet und im Vergleich zu einem gekonnt-reduktionistischen Werk wie Die Vermessung der Welt ist es aber nur einfallslos und ohne Einfühlungsvermögen.
Die Protagonisten sind geronnene literarische Klischees, die man außerhalb solcher Erzählungen nie treffen würde. Aber wozu wollte man auch, so langweilig und eindimensional wie sie daher kommen? Sie sitzen fast ausschließlich in kargen Wohnungen, Beziehungen und Interessen haben sie keine, bis auf ein oder zwei, die der Autor als Stellschraube für seine notdürftigen Charakterisierungen nutzen kann. Man wird dabei das Gefühl nicht los, dass diese Gestaltung der Figuren nicht nur Ausdruck der Vereinsamung des modernen Menschen ist, sondern vor allem Ausdruck der geringen Fähigkeiten des jungen Kehlmanns.
In der Erzählung Pyr, dessen Titel und Beginn noch Vielversprechend sind, spielt jener poetische Elektriker die Hauptrolle. Weil er aber nicht nur Poet, sondern auch Philosoph ist, der seine Weltanschauung des Feuers anhand der üblichen klassischen Bildungssplitter darlegt (Urstoff Heraklits, allgewaltige Element der Alchemisten etc. pp.), sieht Kehlmann sich gezwungen, diese Diskrepanz zu seinem Beruf zu erklären. Unterschätzen Sie mich nicht, lässt er ihn sagen, ich sagte schon, ich habe studiert. Vielleicht nur an der Volkshochschule, aber mit Hingabe. Solche hölzernen Versuche, Unplausibilitäten hinwegzuerklären, sind schrecklich wie unnötig, denn entweder es passt halt zusammen, was die Figur sagt und was sie ist oder es passt eben nicht, aber dann hilft auch die Volkshochschule nichts. Zum Glück muss Kehlmann solche Versuche nicht oft unternehmen, denn wo man nichts Interessantes erfährt, da widerspricht sich auch nichts. Aber die hingabevolle Volkshochschulerklärungen zeigt einmal deutlich, welcher Mangelwirtschaft da das Etikett Reduktionismus aufgedrückt wird.
Aus der Volkshochschule scheint beim frühen Kehlmann vieles zu stammen, nicht nur die Erklärungen. Kern seiner Geschichten ist jeweils eine Art Apotheose der Figuren, deren Umsetzung sich allerdings liest, als hätte er sie bei irgendeiner kinderlosen Arztgattin aus dem Creative-Writing-Kurs abgeschrieben. Als Markus Mehring den Bankirrtum zu seinen Gunsten bemerkt, da bekommt er plötzlich keine Luft mehr, was auch sonst. Und was schoß durch seinen Körper? Klar: Ein dünner, scharfer Pfeil aus Hitze! Und die regenplätschernde Welt um ihn? Die schwankte hektisch, denn was soll sie auch sonst tun, wenn der ideenlose Schreiber seine Figur in eine außergewöhnliche innere Situation versetzen möchte. Und als der Junge sich aus Langeweile zu seinem tödlichen Anschlag entschließt, da muss er erst lächeln, aber (Huch! Ohje!) plötzlich war ihm kalt. Denn plötzlich passiert eben immer alles in Kurzgeschichten. Warm kann den Figuren allerdings auch nicht auf jeder Seite werden, man muss auch etwas Abwechslung an den Tag legen können und nun schwitzte er auch, obwohl er ja fror. Verrückt!
Doch noch mehr kann den Körpern der Figuren passieren, wenns wichtig wird: Sie können, wenn sie gerade nicht keine Luft mehr kriegen, auch atemlos sein oder das Atmen kann ihnen gar schwer fallen. Beim Verfassen der anstrengendsten Geschichte des Buches, Hunger, hat Kehlmann seine Hoppla, hier drückt sich das Geistige im Körper aus-Beschreibungspistole wohl auf Dauerfeuer gestellt: Da klopft das Herz vor Anstrengung, aber man fühlt sich leichter als jemals, Hausfassaden richten sich auf und versinken, Augen werden gerieben, während sie ein wenig schmerzen und Himmel und Zimmerdecke färben sich in allen Farben des Regenbogens. Rötlich, grau, schwarz, sogar schmutziges Geld ist dabei. Ähnlich - oder eigentlich genauso geht es die restlichen Seiten weiter.
Es gibt allerdings einen Grund, über all das hinwegzusehen (selbst über die Anmaßung, die letzte Geschichte mit dem Wort Schnee zu betiteln) und dem Buch etwas Schönes abzugewinnen. Nicht die wenigen Lichtblicke, die sich zwischendurch auftun, unter denen zu nennen wären: die Grundidee des szenischen Dialogs Kritik, die frühe, wenn auch noch vollkommen unterkomplexe, gar pubertäre Behandlung des Projektes der Aufklärung in Auflösung, die selbstreferenzielle Autorenphantasie in der Titelgeschichte Unter der Sonne. Auch nicht die Abwegigkeit des Gedankens, dass Kehlmann, vorausgesetzt ihm war die Unvollkommenheit seines Frühwerks bewusst, einer Wiederveröffentlichung doch hätte widersprechen sollen hätte er natürlich nicht. Alles muss raus! Und selbst nur, um zeigen und das ist der Grund, der Trost spendet , dass auch aus einem ziemlich einfallslosen Schulbuchkurzgeschichtenschreiber noch ein großartiger Romancier werden kann. Und ein mehr als erfolgreicher!