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Peter und die (Post)Moderne

Text: Yann5
Sein letzter Fotoband kostete eine Menge. Die limitierten und signierten Exemplare von Nummer 251 bis 2500 gab es noch für den „Freundschaftspreis“ von 4000 Euro, die restlichen 250 Stück kamen gar nicht erst in den freien Handel, und wem es nach der „Collector´s Edition“ gelüstete, durfte gar 10 000 Euro berappen. Und für was genau? Größtenteils Fotos mit Tierkadavern, über die sich zum Teil nackte Models in Schweineblut gewälzt hatten. Ziemlich abstoßend das Ganze also.

Genauso abstoßend wie überhaupt seine gesamte Dandyhaftigkeit. Peter Hill Beard, verzogener Sohn reicher, amerikanischer Eltern, 1938 geboren, dessen Urgroßvater die „Great Northern Railway“ gründete, der Großvater gar den „Tuxedo“, den amerikanischen Smoking erfand. Welcher dann aber, wie so viele „ewige“ Söhne, nicht wusste, wohin mit dem ganzen Geld. Einige Monate deshalb Medizin studierte, dann Kunstgeschichte, um sich anschließend als Modefotograf in New York zu verdingen, aber auch dieses bald wieder aufgab: „zu affektiert“! Dann wegen eines Buches mit dem Titel „Out of Africa“ auf den, sich gerade erst von seiner Vergangenheit emanzipierenden schwarzen Kontinent floh, auf der Suche nach einer Dänin, wahrscheinlich aber noch vielmehr nach sich selbst.



In Kenia baute er dann, nicht sehr weit neben Karen Blixen, so etwas, was er selbst Ranch nennt auf, fotografierte tote Nashörner, Giraffen, Krokodile, Menschen, Beschneidungsrituale, Massai-Krieger, Jagdtrophäen, Großwildjagden, nackte exotische Afrikanerinnen und immer wieder tote Elefanten. Lebte dort wie „halb Tarzan, halb Lord Byron“, wie jemand einmal bemerkte, währenddessen die halbe High Society der Vereinigten Staaten bei ihm aus- und einging. Heute zumindest wohnt er wieder in New York und verkauft seine Collagen an die Reichen in der ganzen Welt.



Wahrscheinlich beschreibt ihn das Bild mit dem Krokodil am besten: Da liegt er, seelenruhig in eines seiner berühmten Tagebücher schreibend, bis zur Hüfte in dem aufgesperrten Rachen eines riesigen toten Krokodils am Ufer irgendeines afrikanischen Sees: „I´ll write whenever I can“. Pure Dekadenz. Eigentlich widerlich – geradezu abgrundtief widerlich! Ein Werdegang welcher in jedem klassischen Entwicklungsroman zum Scheitern verurteilt wäre, und doch hat es Peter Beard geschafft, uns in seinen Collagen ein so faszinierendes, wie gleichzeitig scheußliches, erschreckendes Spiegelbild der postmodernen Welt zu zeigen, dass es schmerzt. Schmerzt vor ästhetischer Schönheit und vor Wahrheit.



Es ist nicht einfach sein „Werk“ zu beschreiben, wobei hier Foucaults Kritik an einer Werktheorie, welche er in „Qu`est-ce qu´un auteur?“ anreißt, überhaupt ganz neue Dimensionen erlangen würde. Beards Fotografien fliegen nämlich überall herum, werden benutzt, wieder entfernt, noch einmal entwickelt, beklebt, verworfen, bis er wahrscheinlich irgendwann selbst nicht mehr sagen könnte, was nun seiner Kamera entsprungen ist und was nicht. Mal werden seine Fotografien mit weniger Schweineblut besudelt, mal mit mehr, mal mit Farbzeichnungen umrandet, mal für eine seiner Collagen verwendet. Besucher seines Ateliers oder Apartments berichten von chaosartigen Zuständen seiner Aufnahmen: „Sie liegen überall; zwischen Büchern, unter dem Bett und am allerliebsten auf dem Boden“, schrieb einmal Tom Jacobi vom Stern spezial: Fotografie. Man müsste aufpassen, dass man die verklebten Fotos nicht unter der Schuhsole unbemerkt aus der Wohnung trägt.



Womöglich kann man verschiedene Arten in Beards Werk unterscheiden. Da wären zunächst die Fotos. Meist nackte Modelle oder lebendige bzw. tote Wildtiere in Afrika oder beides zusammen. Dann die Collagen, die überwiegend aus einem stark vergrößerten Motiv und vielen, vielen kleineren Fotografieschnipseln zusammengesetzt sind und anschließend, scheinbar völlig willkürlich, mit Schweineblut „verschönert“ werden (Es hält sich das Gerücht, dass, wenn ihm mal wieder jener animalische Saft ausgegangen wäre, er auch schon zur eigenen Ader gelangt hätte, aber wahrscheinlich handelt es sich hier eher um eine Mythos, denn für Beards Collagen braucht man viel Blut, da reicht es nicht, sich mal eben mit dem Küchenmesser zu ritzen). Manchmal greift er neben dem Blut aber auch zu Farbzeichnungen, Schrift, Zitaten oder sonstigen Fundsachen, wie Spielkarten, Federn, toten Vögeln und Schlangenhäuten.

Dann gibt es da noch die Fotografien seiner eigenen Bilder, mit halb nackten Modellen vor seinen vergrößerten Fotografien und Collagen, posierend oder sich mit anderen auf seinen überdimensionalen Bildern wälzend, als würde eine Intertextualität in der Fotografie existieren.

Und dann die Tagebücher. Hat man sie nicht selbst einmal als Fotografien gesehen, wird es schwer fallen sich auch nur ein ungefähres Bild davon zu machen. Man stelle sich eine Kalenderkladde vor, in welche die gesamte Welt mit einer schier ungeheuerlich großen Kraft hineingedrückt und dann mit einem riesigen Pürierstab auseinandergefetzt worden ist, sodass eigentlich kein kausaler Sinnzusammenhang mehr existiert zwischen dem Hineingeworfenen, zwischen den Bildern und Texten, Zeichnungen und Objekten. Zeitungs- und Fotografieschnipsel, Einträge, Eintrittskarten, Federzeichnungen aus Tintenflecken, Schmetterlingsflügel, Blut, Lippenstift rauchende Schornsteine: alles zusammen, ineinander, aufeinander, nebeneinander; Bilder von Hieronymus Bosch sind dagegen geradezu übersichtlich. Es gibt kein oben, kein unten, kein links und rechts, Foto 1 besteht zu Teilen aus Foto 2, in welchem ebenfalls wieder Spuren aus Foto 1 zu finden sind, es gibt kein Anfang und kein Ende. Wenn sich jemals eine Rhizom-Struktur deutlicher in menschlicher Arbeit gezeigt hat, dann wahrscheinlich hier.



Und trotzdem formt das Chaos, diese Collagen aus Hunderten von Fragmenten so etwas wie unseren momentanen Menschheitszustand „am Ende der Geschichte“: Scheitern von Ideologie, Scheitern von Tradition, Scheitern von Religion, Scheitern des technischen Fortschritts. Es ist, als wenn der alte Adam sich noch einmal die Auswirkungen, aufgelöst bis zum völligen Synkretismus, des Sündenfalls vor Augen führen wollte und dabei Unmengen an dicken Schweinebluttränen auf das Gesehene vergießen würde.



Was Beard aber in seiner Arbeit schafft, ist grandios! Als Betrachter beschleicht einen das Gefühl, hier wäre das Unmögliche tatsächlich möglich geworden, nämlich ein Abbild unserer Wirklichkeit herzustellen, aber eben nicht ein fotorealistisches, sondern eines, welches gleichermaßen auch unsere Gefühle, Psyche, Affekte und Triebe, unseren geschichtlichen Hintergrund, unser Denken und unser tiefstes Verborgenes mit in sich aufgenommen hat und uns beim Betrachten wieder vor Augen hält. Das macht seine Collagen und Bilder sowohl ästhetisch, wie auch grausam. Grausam nicht nur wegen der tausenden Elefanten, die an der damaligen, vom Menschen verursachten Überpopulation verenden mussten, der verstümmelten Menschenkörper und des Blutes, sondern vielleicht vielmehr wegen der Erkenntnis, dass es zumindest für uns Menschen keinen Halt mehr vor dem Straucheln im Bekannten geben kann , weil alles sich als falsch herausgestellt hat.



Beard schafft es in seinen Arbeiten einen Flickenteppich aus allem, was um uns existiert, herzustellen: Zitaten, Bildern, Mythen, Gegenwart und Vergangenheit, Fundsachen der Augenblicke, zusammengesetzt wie in einem Rauschzustand. Seine Collagen strotzen nur so vor Konnotationen, Symbolen und Metaphern, welche aber wiederum nicht an bestimmte Interpretationen gebunden sind, sondern sich bei jedem Betrachter wieder neu, wieder anders zusammensetzten können. Natürlich – sein Blick ist ganz klar westlich geprägt, wie durch die Augen von Blixen oder Hemingway scheint in Beards Motiven eben auch immer die Suche nach dem „Ursprünglichen“, dem „paradiesischen Zustand“ zu sein, was auch immer das sein mag. Doch wie sollte es anders sein? Den eigenen „Kulturblickwinkel“ wird man nie ganz verlassen können, Stuart Hall lässt grüßen! Seine Bilder aber geben genau unseren globalen Seelenzustand wieder: verstehen wollen, aber nicht können, handeln wollen, aber nicht wissen wie, täglicher Kampf gegen mich und gleichzeitig alle anderen, Gewirr, Chaos, Verwirrung in einem nicht enden wollenden Strudel.



„The end of the game“ hieß Peter Beards erstes und bekanntestes Buch, in dem er in den 60er Jahren das Massensterben der Dickhäuter in Kenia auf geradezu poetische Weise dokumentierte. Der Titel scheint es ihm angetan zu haben, immer wieder taucht er gekritzelt in seinen Collagen auf, gleich einer unverrückbaren Tatsache, die uns die Apokalypse prophezeien wollte. Aber vielleicht darf man das auch nicht so dogmatisch sehen. Genauso wie es uns in allen unseren geisteswissenschaftlichen Disziplinen schwer fällt, uns ein Anfang nach dem, ja, eigentlichen Ende, sich ein jenseitiges Konzept nach der Moderne, oder gar der Postmoderne (so man sie als Begriffsgegenstand akzeptiert) vorzustellen. Da ist es viel zu leicht einfach an Tykwers „Lola rennt“ zu verweisen, wo ja bekanntlich „nach dem Spiel gleich vor dem Spiel“ war, aber vielleicht sollten wir ein ganz kleines bisschen genau so Beards Arbeiten lesen, uns ein unendliches Ende denken, in dem dann aber doch irgendwann wieder jemand sagt: „Faites vos jeux“ – Bitte, das Spiel machen!



Peter Beard ist am 22. Januar 2008 siebzig Jahre alt geworden – Herzlichen Glückwunsch!

JAN DREWITZ


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