Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.
Gesunde Alternative zur Profitmaximierung
In einer globalisierten Welt wandern arbeitsintensive Industrien unweigerlich in Billiglohn-Länder ab. Doch ein niederösterreichisches Unternehmen trotzt den Gesetzen des Marktes und feiert in seiner Kundenzeitschrift: 25 Jahre Krise.
In Wien stehen beim Flohmarkt in der Früh 300 Leute Schlange. Die verkaufen 1000 Schuhe in drei Tagen. Winfried Burda, 37, sagt das ohne Bitterkeit. Er muss sich in seinem Laden in Nürnberg erst eine Stammkundschaft aufbauen. Wie in allen GEA-Geschäften findet die Flohmarkt-Aktion auch in Nürnberg zweimal im Jahr statt. Ende Januar und Ende August läuft das Schuhgeschäft schlecht. Im August haben sich die Kunden bereits mit Sommerschuhen eingedeckt, denken aber noch nicht daran, Winterstiefel zu kaufen. Im Januar ist es umgekehrt. Große Wühltische, auf die sich Schnäppchenjäger stürzen könnten, fehlen aber. Mitten in dem hellen Laden in der Burgstraße 7 stehen fein säuberlich aufgestapelte Schuhkartons. Darin sind die Flohmarkt-Exemplare, die reguläre Ware liegt in schmalen, hohen Holzregalen aus.
Um der Krise der Schuhindustrie zu trotzen, gründeten
österreichische Schuhmacher einen selbstverwalteten Betrieb
GEA bedeutet Gesunde Alternative, ist aber auch eine Anlehnung an Gaia, die Erdgöttin der griechischen Mythologie. Die Produkte, Möbel und Schuhe, fertigen die Angestellten in den Waldviertler Werkstätten in Schrems. Schrems ist eine 5000-Seelen-Gemeinde in Niederösterreich. Hier herrschte die arbeitsintensive Textil- und Schuhwirtschaft vor, bis die Betriebe in den achtziger Jahren nach Osteuropa abwanderten. Der österreichische Sozialminister Alfred Dallinger reagierte auf die Krise, indem er selbstverwaltete Betriebe staatlich förderte. Ab 1984 fertigten Schuhmacher in Schrems in Eigenregie Waldviertler, Schuhe von hoher Qualität und Langlebigkeit. Doch die Arbeiter hatten Angst, mit ihrem Vermögen für Verluste des Betriebes haften zu müssen. Deshalb gaben sie die Selbstständigkeit 1991 wieder auf. Der Wiener Unternehmer Heini Staudinger übernahm die Leitung der Schuhwerkstatt. Seitdem werden Waldviertler Schuhe hauptsächlich in Heini Staudingers GEA-Geschäften in Österreich, Deutschland, Luxemburg und der Schweiz verkauft.
Angenehmer als Turnschuhe
Der erste Kunde an diesem Tag, Jürgen H. aus dem Hersbrucker Landkreis, kommt gar nicht wegen der Flohmarkt-Aktion. Der Enddreißiger möchte seine Schuhe zur Reparatur bringen. Ein Arbeitskollege hatte dem Krankenkassenangestellten den Laden empfohlen. Da Jürgen H. unter einem Schwitzfuß leidet, sind Schuhe aus reinem Leder für ihn angenehmer als Turnschuhe. Er ist bereit, für Qualität ein paar Euro mehr auszugeben und spart lieber woanders.
Waldviertler sind kein Wegwerfprodukt. Man kann sie zur Reparatur einschicken oder neu besohlen lassen. Die Modelle sind schlicht und bleiben auch in der Folgesaison im Programm. Bei vielen Modellen ist die Sohle handgenäht, man sieht es an der leichten Unregelmäßigkeit der Nähte. Das Leder stammt aus Gerbereien mit hohen Umweltstandards. Zum Beipiel von der Gerberei Heinen bei Mönchengladbach, die ihre Tierhäute ausschließlich aus Deutschland bezieht und 2009 als Tannery of the Year, als Gerberei des Jahres nominiert ist.
Ulrike P. besitzt bereits seit einigen Wochen Waldviertler Schuhe. Sie schaut sich zwischen den kniehoch aufgetürmten Schuhkartons mit Flohmarktmodellen um. Die 48-jährige Gerontologin aus Nürnberg schätzt die angenehme Atmospähre im Laden. Die Schuhe findet sie bequem, freut sich aber auch darüber, dass es keine Birkenstock-Treter sind.
Der Verkaufspreis beträgt etwa das Doppelte des Einkaufspreises
Bei den meisten Modellen bewegen sich die Preise zwischen 100 und 140 Euro. Worin besteht der Unterschied zu einem Markenturnschuh, der um die 90 Euro kostet? Winfried Burda erklärt geduldig, normalerweise würden Schuhe mindestens zum Zehnfachen des Einkaufspreises verkauft. Ein Schuh, für den der Händler fünf Euro zahlt, steht dann also für fünfzig oder sechzig Euro im Regal. Im Preis wird auch berücksichtigt, dass ein gewisser Anteil im Schlußverkauf reduziert veräußert wird. In Winfried Burdas Geschäft beträgt der Faktor zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis etwa eins zu zwei. Rabattaktionen gibt es nicht. Dass die Schuhe bei der Flohmarkt-Aktion günstiger sind hat einen besonderen Grund: es handelt sich nicht um reduzierte Ware, sondern um eigens angefertigte Schuhe aus Lederresten. Das Leder wird nicht berechnet, sondern nur die Arbeitszeit und die übrigen Materialien, etwa für die Sohle. So beträgt der Preis beispielsweise 99 statt 139 Euro.
Für Eva B. aus Nürnberg stimmt das Preis-Leistungsverhältnis der Waldviertler jedenfalls. Die gebürtige Österreicherin ist seit 15 Jahren Kundin aus Überzeugung. Die selbstständige Mittvierzigerin findet den Reparatur-Service genial. Sie teilt die Visionen des Unternehmens und bezieht die philosophisch ausgerichtete Kundenzeitschrift brennstoff im Abonnement.
Wenn es vernünftig ist, dann mach ich es, auch wenn es sich nicht rechnet.
GEA-Chef Heini Staudinger ist kein typischer Unternehmer. Verlust möchte er natürlich nicht machen, aber der Gewinn steht auch nicht an vorderster Stelle. Unter den 65 Beschäftigten besteht ein Einkommensgefälle von eins zu zwei. Das bedeutet: vom Schuster bis zum Designer, den Chef eingeschlossen, erhält keiner mehr als das Doppelte des niedrigsten Lohnes. Wenn Heini Staudinger bei seinen Lieferanten in Ungarn und Tschechien größere Stückzahlen bezieht, drückt er nicht den Preis. Er bittet dann um Nachlässe, wenn das Geschäft nicht so gut läuft. Das Credo des Österreichers mit den strubbeligen Haaren lautet: Wenn Geld da ist, dann frag ich mich nicht ob es sich rechnet, sondern ob es vernünftig ist. Und wenn es vernünftig ist, dann mach ich es, auch wenn es sich nicht rechnet.
Für Winfried Burda rechnet sich der GEA-Laden noch nicht. In seinem Geschäft erzielt er einen Jahresumsatz von circa 160.000 Euro, in etwa das Doppelte wäre nötig. Aber der Ingolstädter bereut es nicht, seinen Job als Angestellter an den Nagel gehängt zu haben, um Schuhe zu verkaufen. Er weiß, dass es vier bis fünf Jahre dauert, bis sich der Laden trägt. Trotzdem hat er keine Sorgenfalten auf der Stirn, sondern Lachfalten um die blauen Augen. Anfangs war er skeptisch, fuhr für zwei Tage ins Waldviertel und schaute sich die Werkstätten genau an. Jetzt blüht er auf, wenn er von den Hintergründen und der Geschichte der Waldviertler erzählt. Ihm gefallen der Umgang mit den Kunden, die Produkte und die Selbständigkeit. Während der ersten zwei Stunden hat der Flohmarkt neben den Stammkunden zwar nur drei junge Frauen mit bunten Taschen in den Laden gelockt, dafür läutet das Telefon umso öfter. Winfried Burda braucht nur einen Satz um die freundliche, aufgeschlossene Atmosphäre im Laden auf das Telefongespräch zu übertragen: GEA Nürnberg, hier ist der Winni, hallo.
In Wien stehen beim Flohmarkt in der Früh 300 Leute Schlange. Die verkaufen 1000 Schuhe in drei Tagen. Winfried Burda, 37, sagt das ohne Bitterkeit. Er muss sich in seinem Laden in Nürnberg erst eine Stammkundschaft aufbauen. Wie in allen GEA-Geschäften findet die Flohmarkt-Aktion auch in Nürnberg zweimal im Jahr statt. Ende Januar und Ende August läuft das Schuhgeschäft schlecht. Im August haben sich die Kunden bereits mit Sommerschuhen eingedeckt, denken aber noch nicht daran, Winterstiefel zu kaufen. Im Januar ist es umgekehrt. Große Wühltische, auf die sich Schnäppchenjäger stürzen könnten, fehlen aber. Mitten in dem hellen Laden in der Burgstraße 7 stehen fein säuberlich aufgestapelte Schuhkartons. Darin sind die Flohmarkt-Exemplare, die reguläre Ware liegt in schmalen, hohen Holzregalen aus.
Um der Krise der Schuhindustrie zu trotzen, gründeten
österreichische Schuhmacher einen selbstverwalteten Betrieb
GEA bedeutet Gesunde Alternative, ist aber auch eine Anlehnung an Gaia, die Erdgöttin der griechischen Mythologie. Die Produkte, Möbel und Schuhe, fertigen die Angestellten in den Waldviertler Werkstätten in Schrems. Schrems ist eine 5000-Seelen-Gemeinde in Niederösterreich. Hier herrschte die arbeitsintensive Textil- und Schuhwirtschaft vor, bis die Betriebe in den achtziger Jahren nach Osteuropa abwanderten. Der österreichische Sozialminister Alfred Dallinger reagierte auf die Krise, indem er selbstverwaltete Betriebe staatlich förderte. Ab 1984 fertigten Schuhmacher in Schrems in Eigenregie Waldviertler, Schuhe von hoher Qualität und Langlebigkeit. Doch die Arbeiter hatten Angst, mit ihrem Vermögen für Verluste des Betriebes haften zu müssen. Deshalb gaben sie die Selbstständigkeit 1991 wieder auf. Der Wiener Unternehmer Heini Staudinger übernahm die Leitung der Schuhwerkstatt. Seitdem werden Waldviertler Schuhe hauptsächlich in Heini Staudingers GEA-Geschäften in Österreich, Deutschland, Luxemburg und der Schweiz verkauft.
Angenehmer als Turnschuhe
Der erste Kunde an diesem Tag, Jürgen H. aus dem Hersbrucker Landkreis, kommt gar nicht wegen der Flohmarkt-Aktion. Der Enddreißiger möchte seine Schuhe zur Reparatur bringen. Ein Arbeitskollege hatte dem Krankenkassenangestellten den Laden empfohlen. Da Jürgen H. unter einem Schwitzfuß leidet, sind Schuhe aus reinem Leder für ihn angenehmer als Turnschuhe. Er ist bereit, für Qualität ein paar Euro mehr auszugeben und spart lieber woanders.
Waldviertler sind kein Wegwerfprodukt. Man kann sie zur Reparatur einschicken oder neu besohlen lassen. Die Modelle sind schlicht und bleiben auch in der Folgesaison im Programm. Bei vielen Modellen ist die Sohle handgenäht, man sieht es an der leichten Unregelmäßigkeit der Nähte. Das Leder stammt aus Gerbereien mit hohen Umweltstandards. Zum Beipiel von der Gerberei Heinen bei Mönchengladbach, die ihre Tierhäute ausschließlich aus Deutschland bezieht und 2009 als Tannery of the Year, als Gerberei des Jahres nominiert ist.
Ulrike P. besitzt bereits seit einigen Wochen Waldviertler Schuhe. Sie schaut sich zwischen den kniehoch aufgetürmten Schuhkartons mit Flohmarktmodellen um. Die 48-jährige Gerontologin aus Nürnberg schätzt die angenehme Atmospähre im Laden. Die Schuhe findet sie bequem, freut sich aber auch darüber, dass es keine Birkenstock-Treter sind.
Der Verkaufspreis beträgt etwa das Doppelte des Einkaufspreises
Bei den meisten Modellen bewegen sich die Preise zwischen 100 und 140 Euro. Worin besteht der Unterschied zu einem Markenturnschuh, der um die 90 Euro kostet? Winfried Burda erklärt geduldig, normalerweise würden Schuhe mindestens zum Zehnfachen des Einkaufspreises verkauft. Ein Schuh, für den der Händler fünf Euro zahlt, steht dann also für fünfzig oder sechzig Euro im Regal. Im Preis wird auch berücksichtigt, dass ein gewisser Anteil im Schlußverkauf reduziert veräußert wird. In Winfried Burdas Geschäft beträgt der Faktor zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis etwa eins zu zwei. Rabattaktionen gibt es nicht. Dass die Schuhe bei der Flohmarkt-Aktion günstiger sind hat einen besonderen Grund: es handelt sich nicht um reduzierte Ware, sondern um eigens angefertigte Schuhe aus Lederresten. Das Leder wird nicht berechnet, sondern nur die Arbeitszeit und die übrigen Materialien, etwa für die Sohle. So beträgt der Preis beispielsweise 99 statt 139 Euro.
Für Eva B. aus Nürnberg stimmt das Preis-Leistungsverhältnis der Waldviertler jedenfalls. Die gebürtige Österreicherin ist seit 15 Jahren Kundin aus Überzeugung. Die selbstständige Mittvierzigerin findet den Reparatur-Service genial. Sie teilt die Visionen des Unternehmens und bezieht die philosophisch ausgerichtete Kundenzeitschrift brennstoff im Abonnement.
Wenn es vernünftig ist, dann mach ich es, auch wenn es sich nicht rechnet.
GEA-Chef Heini Staudinger ist kein typischer Unternehmer. Verlust möchte er natürlich nicht machen, aber der Gewinn steht auch nicht an vorderster Stelle. Unter den 65 Beschäftigten besteht ein Einkommensgefälle von eins zu zwei. Das bedeutet: vom Schuster bis zum Designer, den Chef eingeschlossen, erhält keiner mehr als das Doppelte des niedrigsten Lohnes. Wenn Heini Staudinger bei seinen Lieferanten in Ungarn und Tschechien größere Stückzahlen bezieht, drückt er nicht den Preis. Er bittet dann um Nachlässe, wenn das Geschäft nicht so gut läuft. Das Credo des Österreichers mit den strubbeligen Haaren lautet: Wenn Geld da ist, dann frag ich mich nicht ob es sich rechnet, sondern ob es vernünftig ist. Und wenn es vernünftig ist, dann mach ich es, auch wenn es sich nicht rechnet.
Für Winfried Burda rechnet sich der GEA-Laden noch nicht. In seinem Geschäft erzielt er einen Jahresumsatz von circa 160.000 Euro, in etwa das Doppelte wäre nötig. Aber der Ingolstädter bereut es nicht, seinen Job als Angestellter an den Nagel gehängt zu haben, um Schuhe zu verkaufen. Er weiß, dass es vier bis fünf Jahre dauert, bis sich der Laden trägt. Trotzdem hat er keine Sorgenfalten auf der Stirn, sondern Lachfalten um die blauen Augen. Anfangs war er skeptisch, fuhr für zwei Tage ins Waldviertel und schaute sich die Werkstätten genau an. Jetzt blüht er auf, wenn er von den Hintergründen und der Geschichte der Waldviertler erzählt. Ihm gefallen der Umgang mit den Kunden, die Produkte und die Selbständigkeit. Während der ersten zwei Stunden hat der Flohmarkt neben den Stammkunden zwar nur drei junge Frauen mit bunten Taschen in den Laden gelockt, dafür läutet das Telefon umso öfter. Winfried Burda braucht nur einen Satz um die freundliche, aufgeschlossene Atmosphäre im Laden auf das Telefongespräch zu übertragen: GEA Nürnberg, hier ist der Winni, hallo.