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Schwule Klischees

Text: alis
Eben, ne, da war ich auf der ersten schwulen Party in meinem Leben. Und das, das muß ich jetzt erstmal verarbeiten. Und dafür müßt Ihr herhalten. Tut mir leid!

Zunächst zur Vorgeschichte: Ich wohne ja erst seit so zweieinhalb Monaten hier in Düsseldorf, in diesem Haus. Und seit einem Monat habe ich eine reizende Mitbewohnerin.

Die einzigen Leute, die hier keine Spießer sind, ist die WG ganz unten. Da wohnt einer, den ich hier mal als Hetero tituliere und einer, der ist schwul und hat seinen Freund dort quasi mitwohnen. Und wir sind ganz gute Kumpels und ich habe auch ÜBERHAUPTNICHTS gegen Schwule. Ob nu Junge oder Mädchen. Und die kriegen immer unseren Wohnungsschlüssel, wenn mal der Klempner kommt oder so und wir verstehen uns prächtig.

Und heute war die Geburtstagsparty vom Freund. Und wir natürlich eingeladen. Und das sind schon vielzuviele "Unds" in einem so kurzen Absatz. Daran könnt Ihr mal erkennen, wie ergriffen ich bin!

Aber irgendwie hab ich ja denn meine eingehämmerten Klischees zwischen den Ohren sitzen. Und die BESTÄTIGEN sich auch noch! Das macht mir Angst!

Es fing heute schon beim Einkaufen an. Da wollten wir dem Jungen was Gutes tun und selber auch ein bißchen glänzen und packten eine Flasche Champagner in den Korb. Veuve Clicquot Ponsardin. Fuffzich Glocken. Da meinte meine Mitbewohnerin zu mir: "Da is ja garkein schicker Karton drum, ob der überhaupt merkt, was für°n gutes Zeug das ist?" So sinngemäß. Und da hab ich gesagt: "Der is doch schwul, der weiß, was gut ist!" Klischee Nummer eins. Das kann ich weder falsifizieren, noch bestätigen. Die Pulle war nämlich im Laufe des Abends irgendwann einfach verschwunden. Ohne explizite Rückmeldung. Aber die Wohnung ist top eingerichtet! Soviel zum Geschmack.

Naja, wir da so hin, so gegen Elf, und die Tür geht auf und ich steh mittendrin, mit meinen Ossischafsaugen, und fühle mich wie im Fernsehen. Echt! Da stimmte alles: Da wummerte Technomucke, da liefen Jungs rum in engen Tihschörts und SCHNECKEN, Alter, da schnallzte ab! Also ich nich so, aber der gemeine Prototyp von Mann schon. Und da bestätigt sich Klischee Nummer zwei: Die Jungs sind immer von einem Schwarm heißer Bräute umgeben, weil die können da ABSOLUT keine Gefahr wittern, sondern einfach mal reden. Von Frau zu Frau. Denken die sich.

Tja, dann stehen wir da so indifferent in der Gegend rum, völlig abgemeldet, und unterhalten uns selbst. Und dann kommt Mel. Mel ist ein Mädchen (muß man ja immer dazu sagen), hüpft immer von einem zum andern, strahlt ihn aus Scheinwerferaugen an, erzählt ihm, daß sie Mel ist, textet ihn mit zusammengekniffenen Kiefern zu und trinkt dazu Apfelsaft. Mel ist auf E.

Irgendwann will man sich dann auch integrieren und geht in das Zimmer, aus dem die Technomucke wummert. Und fläzt sich auf°s Bett. Meine Mitbewohnerin wird ziemlich schnell in ein Gespräch mit der Freundin vom Hetero verwickelt, weil ihr der Weißwein ausgeht. Ich sitze daneben und kucke.

Die Freundin hat einen süßen Überbiß und einen Schmollmund, was sie zu einem niedlichen Lispeln verdammt. So der Typ, der in der Disco sofort von einer Horde geifernder Fickgeipel umringt wird und sich diesen Potentials (ich VERACHTE die Neue Deutsche Rechtschreibung) auch bewußt ist. Sie erzählt meiner Mitbewohnerin ihre komplette vernagelte Beziehungskiste, fragt mich zwischendurch mal nach einer "Thigarette", kuckt mich dabei mit dem Arsch nicht an und generiert weiter Syntax. Kontextfrei.

Das finde ich so klasse an diesem Tagebuch: Man kann eine Situation, in der man eigentlich mit VÖLLIGEM Desinteresse gestraft ist, als kompletten Eigensieg verkloppen. Geil!

Ich lümmele also so vor mich hin und mache mir einen Gedankestrich nach dem anderen. Und dabei fällt mir ein: Gedankenstrich, Hehe!, das könnte auch das Satisfaktionsinstrument eines stoppelbärtigen Mentalproleten sein, der sich gerade mit vier Fingern in der offenen Hose eine Beate-Uhse-Video reinzieht. Aber das nur am Rande.

Auf einmal prostet mir durch die offene Tür eine Lady mit einem Saftglas voller Weißwein zu, die mich irgendwie an Samantha Fox erinnert. Obwohl ihr dazu ein paar Zentimeter fehlen. Also nicht an der Größe, sondern... Ihr wißt schon!

Und ich, völlig unter Zugzwang, blicke hektisch um mich, suche ein Vehikel, das mich aus der Situation erlöst. Nach einigem wirren Umhertasten ergattere ich ein halbvolles Weinglas und proste zurück. Damit gibt sie sich zufrieden. Schwein gehabt! Doch die Gefahr ist nicht gebannt: Drei Sekunden später kommt ein Typ auf mich zu und will Feuer. Ich inspiziere ihn quickly von oben bis unten. So wie der sich darstellt, so männlich, mit zugeknöpftem Hemd und geshavtem Dreitagebart, will der garantiert WIRKLICH nur Feuer. NOCHMAL Schwein gehabt! Dabei hält er mich garantiert für stockschwul. Denn ich hatte es für eine gute Idee erachtet, mir zur Tarnung mein homosexuellstes Tihschört überzustreifen. So eins mit V-Ausschnitt von Haundemm. Böse Falle. Aber Ossi bleibt Ossi, da helfen keine Pillen!

Dann beobacht ich noch, wie sich eine komplett zur Lolita-Schlampe upgedresste Nullachtfuffzehnische ("Ische" ist sächsisch und kann näherungsweise mit "Mädchen" übersetzt werden), so mit Ultraminirock und Rape-Me-Zöpfchen, ihren knackigen Arsch bei Besoffentanzübungen an der noch knackigeren Standbox stößt und ein koitusprovozierendes "Huch" hervorstöhnt. Und genau in diesem Augenblick muß ich gehen. Denn soviel Praxisnähe kann ich mir dann wirklich nicht zumuten. Geschweige denn, bis morgen merken. Das muß jetzt raus. JETZT SOFORT. Deshalb mag man mir die eine oder andere holprige Formulierung verzeihen!

Aber ich mag sie wirklich leiden, die WG ganz unten! Und das ist KEINE Ironie!

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