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Auf schmalem Grat

Text: MapleLeaf
Sekten, Gurus und Gehirnwäsche: Wie gefährlich sind moderne Seelenfänger? Um diese Frage zu beantworten, wählte Frank Plasberg eine riskante Strategie: Auch ein Sprecher von Scientology Deutschland kam ausführlich zu Wort.



Volles Risiko bei hart aber fair: Frank Plasberg hatte sich dazu entschlossen, zu seiner Debatte über moderne Sekten und Seelenfänger den Pressesprecher von Scientology Deutschland einzuladen. Die Quittung: Jürg Stettler nutzte jede Gelegenheit, um Scientology schlagwortartig und mit viel Selbstmitleid zu verharmlosen. Er beklagte «Diffamierung durch den Verfassungsschutz» und warb noch im selben Atemzug für Webseiten seiner Organisation. Seine Kirche werde vom Staat diskriminiert. Moderator Plasberg musste sich von Anfang an ordentlich ins Zeug legen, den eloquenten Scientologen zu bremsen, damit auch andere Gäste zu Wort kommen konnten.



Aussteiger Wilfried Handl, der 28 Jahre lang Mitglied der Organisation gewesen war und leitende Positionen bekleidet hatte, zeichnete ein anderes Bild: «Bei Scientology geht es allein darum, Macht über andere Personen zu gewinnen und auszuüben. Sie sind alles Mögliche, aber sicher keine Kirche. Pläne für eine massive Machtausweitung in Deutschland liegen schon bereit.»



Dass bei Scientology mit harten Bandagen gekämpft wird, zeigte Stettlers Reaktion: Der Pressesprecher fiel Handl mehrfach ins Wort und verhöhnte den Aussteiger als «Hochstapler» und «Wanderzirkus, der immer wieder durch Talkshows geistert», während dieser die Strukturen und Hierarchien in der Scientology-Organisation beschrieb.



Rückenwind für die Sekte kam von Pfarrer und Moderator Jürgen Fliege, der auf Religionsfreiheit pochte und eine Scientology-Hysterie attestierte, die «angesichts von fünf- bis sechstausend Mitgliedern in Deutschland völlig überzogen ist». Die Jugendarbeit der Scientologen sei in ihren Grundzügen kirchlicher Jugendbetreuung sehr ähnlich.



Das Format funktionierte



Lange Erfahrung mit Scientology kann der ehemalige Innenminister Bayerns, Günther Beckstein, vorweisen – er machte aus seiner Abneigung kein Hehl: «Bei der Kirche zielt Jugendarbeit darauf ab, selbstbestimmte Persönlichkeiten zu erzeugen. Bei Scientology dagegen soll das Leben von der Hierarchie der Organisation bestimmt werden. Daher sind sie eindeutig eine gefährliche Sekte, die völlig zu Recht vom Verfassungsschutz beobachtet wird.»



Frank Plasberg hatte genau recherchiert: Jedem Monolog des Scientology-Pressesprechers ließ er harte Fakten folgen: Sein Team hatte Videobeiträge über Praktiken wie das Auditing gedreht, die auch zeigten, was der Scientology-Pressesprecher verschwieg oder in der Diskussion geschickt wegbügelte.



Ausgezeichnet vorbereitet und recherchiert



Wie gefährlich Scientology für den Einzelnen wirklich wird, konnte selbst Stern-Reporter Freddy Gareis, Sondergast des Abends, nur ansatzweise sagen: Er hatte vier Monate lang verdeckt in der Scientology-Organisation recherchiert und konnte beeindruckende Videoaufnahmen und Tonaufnahmen aus einem System der totalen Kontrolle beisteuern. Sehr anschaulich beschrieb er den Druck, den Scientology von Anfang an auf Mitglieder ausübt.



Wer mit Demagogen, Sektenführern und Extremisten redet, läuft immer Gefahr, dass sie den Auftritt für ihre Zwecke nutzen und die Debatte dominieren. Dessen war sich Frank Plasberg ganz offensichtlich bewusst. Dabei hat er sich auf einem sehr schmalen Grat bewegt – denn auch sein Gegenspieler von Scientology war ausgezeichnet vorbereitet und hat den Moderator mächtig ins Schwitzen gebracht. Dennoch ist Plasberg das Meisterstück gelungen: Zwar hat er Scientology-Propaganda in aller Ausführlichkeit zugelassen, er konnte sie aber dank guter Recherche und straffer Moderation gleich im Anschluss sachlich und nachvollziehbar widerlegen. Das Ergebnis: Eine hochspannende, stellenweise auch sehr beklemmende Sendung.

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