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"Mode macht Männern Angst"

Die britische Stilikone Jeremy Hackett über den wahren Gentleman und Socken zum Fest
Text: jetzt-redaktion
Im Club des Hotels Intercontinental am Londoner Hyde Park spielt leise Klaviermusik, Gurkensandwiches und Scones laden zum Afternoon Tea ein. Daumendicker Flor dämpft Schritte und Gespräche. Jeremy Hackett, 57, schlendert durch den Saal. Der Gründer des britischen Herrenausstatters Hackett London trägt einen Dreiteiler aus grauem Flanell mit feinen Streifen. Die Socken sind rot, die Krawatte auch, die schwarzen rahmengenähten Schuhe blitzen. Hackett lernte bei den besten Schneidern Londons in der Savile Row, verkaufte Secondhand-Anzüge und gründete 1979 sein eigenes Label. Unter dem Namen Mr. Classic hält der Stilpapst, Buchautor und Blogger ein Auge auf das, was Männer für guten Geschmack halten.

 



SZ: Haben Sie heute schon einen besonderen Stilunfall bemerkt, Mr.Hackett?



Hackett: Ich sah eben einen Herrn mit fürchterlichen Schuhen aus Leopardenfell. Er hätte einfach schlichte braune Lederschuhe zu seinem braunen Anzug tragen sollen. Schuhe dürfen einen nicht in grellen Farben anschreien. Mit seinen Füßen sollte man kein Aufsehen erregen, sie sind bei Männern nicht der vorteilhafteste Teil der Anatomie. Viel zu viele Männer kleiden sich nicht, sie verkleiden sich.



SZ: Was eigentlich schwer zu begreifen ist. Stilfibeln für Herren verkaufen sich millionenfach. Und doch sieht man in der Fußgängerzone weiter das Grauen.



Hackett: Solche Bücher machen sich hübsch im Regal, aber keiner liest sie. Den meisten Männern ist es einfach egal, wie sie aussehen. Und dann gibt es natürlich die, die fürchterlich viel Geld haben, und sich trotzdem schrecklich anziehen.



SZ: Das ist eine sehr pessimistische Sicht auf Ihre Geschlechtsgenossen.



Hackett: Ja, aber es gibt Ausnahmen.



SZ: Welche Nation kleidet sich am stilvollsten?



Hackett: Die Briten natürlich.



SZ: Natürlich.



Hackett: Das liegt daran, dass Kleidung bei uns eine andere Tradition hat als im Rest Europas. Hier ist das Ziel der maßgeschneiderte Anzug. Wer einmal solch einen Anzug getragen hat, gibt sich ungern mit weniger zufrieden. Zudem gibt es in England so viele Anlässe, sich besonders zu kleiden, die es anderswo nicht gibt: die Einladung zum Dinner, die Landpartie, das Polospiel, Ascot. Der britische Gentleman muss sich dabei nicht damit herumquälen, was er anzieht, es gibt für jede Gelegenheit einen strikten Dresscode. Diese Verbindlichkeit macht ihn zum Vorbild in aller Welt. Das schätzen auch die Italiener, die ja gerne für sich diese Stilhoheit reklamieren. Eigentlich sehen sie aber am besten aus, wenn sie sich britisch kleiden. In Deutschland ist Maßschneiderei kein Thema, Deutsche kaufen von der Stange.



SZ: Sie trauen den deutschen Männern modisch nicht sehr viel zu, oder?



Hackett: In jedem Land gibt es Menschen, die sich stilvoll kleiden. Also gibt es auch Deutsche, die das tun, gleichwohl zurückhaltender als Italiener. Guter Stil ist nicht zwingend ein landesweites Phänomen. Man denkt, dass Franzosen sich gut anziehen. In Paris sieht man diese Männer natürlich, aber sobald man die Stadt verlässt, ist es wie bei den Briten außerhalb Londons: nicht schön. Trainingsjacken, Sneaker, Jeans - das ganze Elend.



SZ: Gibt es Dinge, die Sie in Deutschland mehr verkaufen als anderswo?



Hackett: Flanell, Gehröcke und vor allem Tweed in schwerer Qualität, was erstaunlich ist, weil die Briten froh sind, dass es endlich leichte Varianten gibt. Die Deutschen pflegen einen Stil, von dem sich manche Briten schon verabschiedet haben. Heute machen wir im Rest Europas mehr Umsatz als in England.



SZ: Aber es ist schon albern, wenn deutsche Männer sich in Tweed und Cord hüllen und englischen Landadel spielen, oder? Die Briten lachen doch darüber.



Hackett: Fußballfans mögen noch über Deutsche lachen, der Rest schon lange nicht mehr. Ich habe in Hamburg und München sehr stilvolle Menschen getroffen. Es sind Städte mit altem Geld, da ist das Bewusstsein ausgeprägter. Frankfurt ist der graue Businessanzug, da wird wenig experimentiert, was etwas langweilig ist. Deutsche sollten nun nicht mit einem Bowlerhut herumlaufen wie ein Londoner Banker, davon würde ich wirklich abraten. Aber das macht ja auch keiner.



SZ: Sehr beliebt sind hierzulande auch britische Collegeschals. Darf man so einen Schal mit den Hausfarben der jeweiligen Universität, etwa Cambridge oder Oxford, tragen, wenn man da nicht war?



Hackett: Wenn Sie nicht wissen, was die Farben bedeuten, ist es okay, sonst sollte man es lassen. Wenn man Menschen trifft, die dort waren, wird das peinlich. In England würde man das nie tun.









SZ: Ein ewiger Streitpunkt ist auch: Welche Schuhe zu welcher Anzugfarbe?



Hackett: Ich empfehle grundsätzlich schwarze Schuhe. Vor allem Amerikaner tragen gerne braune Schuhe zu blauen Anzügen, was ich nur für sehr zwanglose Anlässe in Betracht ziehe, etwa die Landpartie. Aber aus Leder müssen sie sein - und gepflegt. Wer wissen will, ob er einen Gentleman vor sich hat, blickt kurz nach unten: Die Schuhe sagen alles. Billige Schuhe machen den teuersten Anzug kaputt.



SZ: Müssen die Socken zur Krawatte passen? Zu den Schuhen? Oder zur Hose?



Hackett: Es gibt diese strengen Regeln nicht mehr. Ich trage fast nur navyblaue Socken, ich habe eine Kommode voll davon. Nur zum schwarzen Abendanzug passen sie nicht. Da ist Schwarz ein Muss.



SZ: Der ideale Krawattenknoten?



Hackett: Der Four-in-hand, er hat genau die richtige Stärke und sitzt ideal leicht schräg. Riesige Knoten in knalligen Farben finde ich anstößig. Auch lasse ich das Einstecktuch weg, wenn ich eine Krawatte trage. Alles andere wäre zu viel.



SZ: Was geht sonst noch nicht?



Hackett: Ich persönlich lehne Gürtel in Anzügen ab, sie stören das Gesamtbild. Ich trage ausschließlich Anzüge mit verstellbarem Hosenbund. Es werden unglaublich viele Anzüge mit Gürtelschlaufen hergestellt, weil es das ist, was die Leute wollen. Und es sollten vier Knöpfe am Anzugärmel sein, mit dreien geht man nicht aus dem Haus. Natürlich sollte man sie knöpfen können. Oft sind sie ja nur aufgenäht ohne Funktion. Das wirkt billig.



SZ: Alber Elbaz, der Designer des französischen Couturiers Lanvin, trägt nie Socken, auch nicht, wenn es schneit.



Hackett: Das ist okay - für ihn. Bei 30Grad barfuß Slipper zu tragen, ist vertretbar. Über alles andere sollten wir einen Mantel des Schweigens decken.



SZ: Können Sie noch ohne Schüttelkrämpfe auf die Straße gehen?



Hackett: Ich versuche, schlechten Stil zu ignorieren und freue mich, wenn einer gut kombiniert. Oder wenn ich schöne Stoffe sehe. Grade sah ich eine Patchworkdecke. Das Muster habe ich mir aufgemalt in mein Notizbuch, das ich stets mit mir führe. Vielleicht verwende ich ihn für Shorts, zum blauen Blazer. Sowieso sollte jeder Mann einen blauen Blazer besitzen.



SZ: Haben Sie eine Stilikone?



Hackett: Der Künstler David Hockney. Er kombiniert sehr schräg, aber es wirkt natürlich, als wäre es ein Teil von ihm.



SZ: Dann verehren Sie sicher Tom Wolfe, den Meister der weißen Anzüge?



Hackett: Das ist mir zu aufgesetzt. Es gibt Menschen, bei denen sieht es natürlich aus, bei anderen nach harter Arbeit. Tom Wolfe ackert hart. Es ist zu schön, zu gewollt. Verkleidet, nicht gekleidet. Das gilt auch für Elton John - furchtbar!



SZ: Wer zieht sich noch ganz übel an?



Hackett: Ach, man sieht so viel schlechte Freizeitkleidung. Jeder Mann sieht besser aus, wenn er eine Silhouette hat, wie ein Anzug sie schafft. Und ich hasse es, wenn ich Männer meines Alters sehe, die sich zu jung kleiden. Wenn Vater und Sohn sich gleich anziehen, oder alte Männer mit zu schmalen Anzügen. Gruselig.



SZ: Das Königshaus schätzt Ihre Mode, man sieht sie in Ascot und bei der Fuchsjagd. Wenn man Sie sieht, denkt man, dass Sie in einem Herrenhaus aufgewachsen sind. Das Gegenteil ist der Fall.



Hackett: Die ersten sechs Jahre meines Lebens wuchs ich im Heim auf, dann wurde ich adoptiert, meine Adoptiveltern waren Arbeiter. Mit diesem Hintergrund schätzt man vieles mehr und weiß, wie schnell alles vorbei sein kann. Als Kind liebte ich es, Herrenhäuser zu besichtigen, auch habe ich den Mitschülern etwas vorgespielt; die wussten nicht, dass ich aus dem Heim kam und früher Sachen aus dem Charity-Shop trug. Guter Stil war anfangs eine Flucht, heute ist es für mich eine Lebenseinstellung.



SZ: So kamen Sie also irgendwann zu maßgeschneiderten Anzügen.



Hackett: Ich habe mir meine eigene Kleidung ausgewählt, seit ich sechs war, und ich weiß bis heute, dass Stil keine Frage des Geldes ist, sondern der Einstellung. Die macht einen Gentleman aus, nicht die Familie, aus der man stammt oder der Club, dem man angehört. Als ich adoptiert wurde, nahmen meine Eltern mich mit in ein Bekleidungsgeschäft, und ich durfte mir etwas aussuchen. Es ist 50 Jahre her, aber ich weiß genau, was es war: karierte Shorts, cremefarbenes Hemd, karierte Krawatte. Ich habe es direkt anbehalten. Auf der Busfahrt nach Hause war ich so aufgeregt, dass ich mich übergeben musste - auf mein neues Outfit.



SZ: Heute besitzen Sie sicher ein riesiges Ankleidezimmer, oder?



Hackett: Ich habe einen Schrank mit höchstens 20 Anzügen. Beschränkung ist wahrer Reichtum. Ein Kunde von mir hat allein 87 Tweedanzüge, dreiteilig. Immer derselbe Stil, nur unterschiedlicher Stoff. Ich trage meine Anzüge sehr lange, vielleicht hat das mit meiner Kindheit zu tun. Manchmal sortiere ich aus, dann behalte ich die angefertigten, den Rest bringe ich zum Charity-Shop. Ich habe lange Zeit gebrauchte Maßanzüge aus der Savile Row verkauft. Aus der Oberschicht hatte ich viele Kunden. Snobismus funktioniert in England andersherum: Je reicher man ist, desto lieber kleidet man sich Secondhand. Ralph Lauren war auch oft bei mir im Laden. In den achtziger Jahren hat er säckeweise Sachen gekauft und nach Amerika geschafft. Er hat sie für Designdetails gebraucht: Knopflöcher, Abnäher.



SZ: Frauen reden wahnsinnig viel über Kleidung, Männer weniger.



Hackett: Männer machen das für sich aus, sie wollen in Ruhe gelassen werden - von den Frauen. Mode macht Männern Angst, sie hassen Shopping regelrecht. Daher ist es wichtig, dass Herrenmode sich nicht zu stark verändert, das würde uns überfordern. Wir wollen nicht stundenlang Sachen anziehen, sondern kaufen.



SZ: Was kann man als Frau da tun?



Hackett: Uns in Ruhe lassen. Wenn Männer alleine einkaufen, muss das nicht zwingend schiefgehen. Wir nehmen gerne Beratung an - von fremden Menschen.



SZ: Socken zu Weihnachten?



Hackett: Unbedingt! Das ist besser als die vielen gruseligen Dinge, die sonst verschenkt werden - solange es feine Baumwollsocken sind oder Wollsocken aus bester Qualität. Höchstens zwei Blockstreifen, keine albernen Motive, keine wilden Muster. Natürlich sollten sie bis zur Wade reichen. Blasse Winterhaut will keiner sehen. Ich möchte alle Frauen ermutigen: Kauft Männern Socken zum Fest.



Interview: Claudia Fromme

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