Die Frau vom Finanzamt 4
Auf dem Weg zum Auto sagte ich zu Andrea, dass ich sie in ihren Gummistiefeln wunderschön fände, und dass jetzt nur noch der passende Regenmantel fehlen würde, dann wäre sie die perfekte Frau. Andrea lächelte gequält. Zu gerne hätte sie das für bare Münze genommen, aber sie ahnte, ich hätte das nur so dahergesagt. Und das stimmte ja auch. Meine Aussage war sehr leichtfertig von mir. Unter einer perfekten Frau stellte ich mir wahrhaft etwas anderes vor, als Andrea, jedenfalls keine behinderte Frau, die im Rollstuhl saß. Sie musste das gespürt haben, blickte traurig auf ihre neuen Gummistiefel.
Hatte ich etwa falsche Erwartungen in Andrea geweckt? Dachte sie, ich würde etwas mit ihr anfangen? Dachte sie, da würde sich etwas tun zwischen ihr und mir? Ich selbst war auf einmal unschlüssig, was ich denn überhaupt mit der Gummistiefelaktion bezwecken wollte. Nun hatte ich einer jungen gehbehinderten Finanzbeamtin mehr oder weniger gegen ihren Willen zu Paar Gummistiefeln verholfen. Und weiter? Was käme als Nächstes?
So richtig kam ich mit meinen Gedanken nicht mehr klar. Was als ein Spiel begann, geriet nun außer Kontrolle. Aber war es überhaupt ein Spiel, was ich da spielte?
Ich hatte doch ganz bewusst diesen Schritt gewagt. Andrea hatte sich darauf eingelassen, sie hatte nichts zu verlieren, höchstens ihre Unschuld, so sie die denn noch hatte. Und falls ja, so hätte sie sicher nichts dagegen, sie zu verlieren. Gut, seine Unschuld zu verlieren, das kann ungewollt schön sein oder, trotz dem es gewollt ist zum Alptraum werden. Wenn sie ihre Unschuld durch mein Zutun verlieren wollte oder sollte, dann wünschte ich allerdings, dass es für sie ein schönes Erlebnis werden würde. Was für Gedankenspiele. Aber wie sollte es denn nun weitergehen? Ich war am Zuge, ich musste den nächsten Schritt tun. An dem traurigen Blick von Andrea konnte ich schon erkennen, dass diese junge Frau einen kleinen Funken Hoffnung in das gesetzt hatte, was ich mit meinen Komplimenten und Anspielungen lostrat.
Ich konnte nicht mehr zurück. Aber warum auch? Auch ich hatte doch nichts zu verlieren. Andrea ist eine Frau, will als Frau behandelt werden, dann soll sie das haben. Und als normale Frau durfte sie nicht erwarten, den Mitleidsbonus zu bekommen. Wenn es funktioniert, so hätte ich eine Freundin, vielleicht mehr, wenn wir nicht zusammenpassen würden, dann hätte sie ein Paar Gummistiefel und gegebenenfalls einen Regenmantel im Schrank.
Doch, sagte ich zu Andrea, das meine ich so, wie ich es gesagt habe. Andrea blickte zu mir auf. Wir waren am Transporter angekommen, ich half ihr wieder auf den Sitz. Diesmal behielt ich meine Hand absichtlich an ihrem Hintern, ließ sie kleben, an ihrer Kunstlederhose. Andrea bemerkte das, setzte sich einfach hin, nahm meine Hand mit ihrem weichen Hintern in ihren Besitz. Nun waren unsere Blicke auf gleicher Höhe. Wir sahen uns an. Ich blickte in stahlblaue wunderschöne Augen, die mich fragend ansahen. Meine Hand lag immer noch unter ihrem Hinterteil, Andrea machte keinerlei Anstalten sie freizugeben. Ich hatte den Eindruck, sie wollte zeit schinden, wollte nicht, dass gleich alles vorbei ist, wenn wir bei ihr Zuhause angekommen wären und ich sie und ihr Elektromobil dort abgeliefert hätte.
Das wollte auch ich nicht. Unsere Wünsche gingen in dieselbe Richtung, doch wie sollten wir nun weiter vorgehen?
Schließlich ergriff Andrea das Wort: würdest du mich auch in Sachen Regenmantel beraten? fragte sie schüchtern. Für eine Frau, die kurz zuvor noch vehement gegen das Tragen eines entsprechenden Wetterschutzes gewehrt hatte, klang das nun ganz handzahm. Andrea hatte ihre Strategie geändert. Jetzt war sie bereit, auf meine Vorstellungen und Wünsche einzugehen, wollte sehen, wie weit ich wirklich gehen würde, ob ich Wort halten würde, ob wir uns tatsächlich näher kommen würden. Aber natürlich, liebend gern antwortete ich. Ab hier gab es kein Zurück mehr, der Weg war klar. Allein, mir fiel auf Anhieb kein Laden ein, bei dem man einen Regenmantel kaufen konnte. Wir würden das Internet bemühen müssen. So sagte ich ihr das dann auch. Andrea fragte, wann ich denn Feierabend hätte. Daraufhin erklärte ich ihr, dass ich im Prinzip nur dann los muss, wenn ein Notfall per Telefon käme, ansonsten hätte ich alle zeit der Welt. Ob denn niemand auf mich warten würde, fragte sie noch, sicher in Anspielung darauf, ob ich denn in einer Partnerschaft leben würde. Ich verneinte. Andreas Gesichtszüge hellten sich sichtlich auf. Sie wirkte geradezu erleichtert. Wenn du Zeit und Lust hast, können wir bei uns Zuhause im Internet stöbern schlug Andrea vor. Gern nahm ich das Angebot an. Wir fuhren zu ihr. Rückwärts rangierte ich in die breite Einfahrt. Andreas Mutter hatte bereits ängstlich auf ihre Tochter gewartet, kam sofort aus dem Haus gelaufen. Andrea hatte ihren Rollstuhl in der Garage stehen. Von dort aus konnte sie direkt ins Haus fahren. Ihre Mutter kam mit diesem Rollstuhl an, begrüßte mich freundlich und fragte, was denn gewesen sei. Ich erklärte ihr den Fehler, und das bereits alles wieder in Ordnung sei, kein großes Problem. Dann half ich Andrea in den Rollstuhl. Andreas Mutter bemerkte sofort, dass ihre Tochter nicht ihre Schuhe an hatte.
Andrea würde ihr das später erklären, sie ließ ihre Mutter regelrecht abblitzen. Darf ich sie zu einem Kaffee einladen? fragte Andreas Mutter. Sehr gern antwortete ich und fügte an, dass ich bereits von ihrer Tochter eingeladen worden sei. Andreas Mutter schaute ihre Tochter fragend an. Andrea erklärte ihr, dass wir im Internet noch etwas suchen wollten. Damit gab sich die Mutter zufrieden. Ob ich denn den Transporter in der Einfahrt stehen lassen könne, wollte ich wissen. Gewiss doch, mein Mann ist auf Geschäftsreise in Indien, der kommt erst in zwei Wochen wieder lautete Frau Rosenthals Antwort. Andrea führte mich direkt in ihr Reich. Ein riesiges Zimmer, ein Wintergarten, es war sehr gemütlich eingerichtet.
Andrea zog ihre Jacke aus und hängte sie über einen Stuhl. Ihre Gummistiefel behielt sie an. Dann fuhr sie ihren Computer hoch. Ich fragte, ob denn die Stiefel noch bequem sein würden. Andrea meinte, sie würde sich immer noch sehr wohl fühlen in den Stiefeln. Ich setzte mich zu ihr. Andreas Mutter klopfte bei Andrea an, bevor sie eintrat. Offenbar wollte sie die Privatsphäre ihrer Tochter respektieren. Herrenbesuch ist sehr selten bei Andrea meinte sie und verließ den Raum wieder. Selten ist gut meinte Andrea, ich hatte noch nie Herrenbesuch fügte sie hinzu. Das allerdings klang etwas verbittert. Wir nahmen uns Kaffee und begannen mit unserer Recherche. Was ich denn vorschlagen würde, meinte Andrea.
Am liebsten hätte ich sie ja in einem schönen glänzenden Lackmantel gesehen, mit Kapuze oder einem passenden Südwester. Doch es sollte ja auch für das Elektromobil zweckmäßig sein und wirklich vor Regen und Nässe schützen. Ihre Gummistiefel würden ja schon etwas abhalten, Aber würde ein Lackmantel dazu passen? Gelb fiel aus, die Farbe mochte sie nicht, das hatte sie mir bereits beim Finanzamt klar gemacht. Schick sollte es sein und funktional, so viel war klar. Und leicht sollte er sein, nicht so schwer am Körper hängen. Mir fielen einige Herstellerseiten auf Anhieb ein, wir durchstöberten die Seiten auch und Andrea war überrascht, was es für tolle Regenmäntel gab. Tatsächlich entdeckten wie auf der Seite eines Händlers einen Regenmantel, der voll meinen Vorstellungen entsprach. Es handelte sich um einen PVC-Regenmantel im Trenchcoat-Stil aus recht schwerem, aber ungefütterten PVC, mit zwei Knopfreihen, und sehr lang, so dass auch beim Sitzen auf dem Elektromobil kein Regen oder Nässe vorn oder an den Beinen eindringen konnte. Eine Kapuze besaß dieser Mantel nicht, aber es gab einen phänomenalen, fast rundum zu schließenden Südwester, passend zu dem Mantel.