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Die Frau vom Finanzamt 5

Text: Gueneslikoer

Beides gab es in schwarz und eben in jenem von Andrea so verhasstem gelb.



Bei dem Anblick verschlug es selbst Andrea den Atem. So etwas sollte sie anziehen?



Ich fand es unheimlich sexy und stellte mir bereits vor, wie es aussähe, wenn sie in dem Outfit auf ihrem Elektromobil angerauscht käme.



Aber doch nicht zur Arbeit protestierte Andrea. Nein, aber mich würdest du zu einem glücklichen Menschen machen sagte ich zu Andrea. Die sah mich zweifelnd an, wusste nicht, was sie davon halten sollte. Die Gummistiefel würde sie ja durchaus auch im Amt anziehen, da war sie bereits überzeugt. Sie schwitzte nicht so sehr, kalt waren sie auch nicht, kein Wind oder Zugluft könnte ihren Füßen mehr etwas anhaben, und würde bei jedem Wetter trocken bleiben. Die Argumente griffen. Aber ein solch extrovertiertes Kleidungsstück, wie dieser Regenmantel mit diesem noch extrovertierteren Hut dazu? Gut, beide Teile waren erstaunlich günstig, das musste man sagen. Und gefallen würde es ihr schon, in schwarz natürlich, das Andere käme ja überhaupt nicht in Frage. Aber ins Amt auf keinen Fall. Privat, für eine Spazierfahrt, das könne man überlegen. Wasserdicht ist er ja, das hätte ich alles gut überlegt, mit der zweiten Knopfreihe und der Länge, da wäre sie gut geschützt. Und der Regenhut, pardon Südwester, ja auch der sah sehr robust aus, würde das Gesicht rund herum schützen, die Haare könnte man zu einem Zopf binden oder glatt unter dem Mantel tragen, beides wäre möglich.



Findest du, dass ich hübsch bin? fragte Andrea auf einmal. Bist du antwortete ich. Dann schwärmte ich von ihren schönen langen Haaren, ihren blauen Augen und dem weichen Po, mit dem sie auf meiner Hand gesessen hat.



Trotzdem bin ich ein Krüppel, deswegen nimmt mich keiner, kam es sehr verbittert hinterher. Ich sagte ihr, dass sie von mir erwarte, wie eine normale Frau behandelt zu werden, dann bitte solle sie sich auch so benehmen und nicht anfangen, in Selbstmitleid zu versinken.



Das wäre der wahre Grund, weswegen ein Mann nichts von ihr wissen wolle, nicht ihre Behinderung an sich. Sie selbst bringe ja mit solchen Äußerungen ihre Behinderung in den Focus, obwohl ja genau das gerade keine Rolle spielen sollte.



Die Kopfwäsche musste sein, und ich hatte das Gefühl, dass sie verstand, was ich meinte. Ich sagte ihr, dass ich auch niemals eine Frau kriegen würde, wenn ich jedes Mal vor Selbstmitleid rumjammern würde, dass ja doch keine bereit sein würde, für mich Regenmantel und Gummistiefel anzuziehen, weil es mich total scharf macht. Man muss es sagen und gut. Entweder, der Partner akzeptiert es oder nicht. Immer wieder davon anzufangen und rumjammern bringt gar nichts.



Andrea sah mich an. Ich drehte ihren Bürostuhl, auf den sie sich zum Internetsurfen  hingesetzt hatte, zu mir und nahm Andrea in den Arm. Sie war sichtlich überrascht darüber, wehrte mich aber nicht ab. Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein im Umgang mit uns Männern würde dir gut tun sagte ich zu ihr. Gut, dann bestellen wir das jetzt, sagte Andrea, und wenn es da ist, machen wir einen Regenspaziergang ergänzte sie ihren Satz.



Damit war ich höchst einverstanden. Bei dem langen Mantel könnte sie ja auch ein Kleid oder einen Rock darunter anziehen, meinte ich. Gern auch aus Kunstleder, ein schönes Material. Andrea nahm meine Hand und legte sie auf ihr Knie. Findest du die Hose auch schön? fragte sie. Ich antwortete ihr, dass sie in ihrer Hose sehr sexy aussehen würde und dass mich das Material auch ganz schön antörnen würde. Aber es ist eben nur eine Hose. Wie ich das meinen würde, wollte Andrea wissen. Woraufhin  ich ihr zu verstehen gab, dass der Mensch zählt, der drin steckt, und das sei sie, die hübsche Andrea, aber dass die Hose auch unpraktisch wäre, zumindest für gewisse zwischenmenschliche Aktionen. Andrea verstand, was ich meinte. Die könne man ja dann ausziehen, wenn es soweit wäre, meinte sie. Schon, aber dann wäre ja auch das Prickeln nicht mehr da, das bei der Berührung des Materiales entsteht, war mein Einwand.



Andrea hatte sichtlich Mühe, sich als normaler Mensch zu geben, so wie sie behandelt werden wollte. Immer wieder wollte sie auf ihre Gehbehinderung  zurückkommen, kriegte aber gerade noch so die Kurve. Sie wollte mehr, hatte aber offenbar Angst vor sich selbst. Ich war inzwischen fest entschlossen, Andrea in die Liebe einzuführen, wenn sie es zulassen würde. Drängen würde ich sie auf keinen Fall, aber eine gewisse Anspannung hatte sich schon bei mir angestaut. Doch da war dann noch die Frage der dauerhaften Bindung. Ich musste Andrea klar machen, dass es keinen Mitleidsbonus geben würde.



Mal angenommen, du würdest dich mit mir einlassen, wie würde das mit uns weitergehen? fragte ich. Andrea antwortete prompt und sehr, sehr offen: ich habe keine Erwartungen. Aber ich möchte ein ehrliches Verhältnis haben. Wenn du mit mir schlafen möchtest, dann sage ich nicht nein, ich hatte noch niemals einen Mann. Und ich erwarte auch nicht, dass du mich danach gleich heiratest. Aber nur fürs Bett bin ich mir zu schade. Wenn, dann musst du auch etwas für mich empfinden. Und denk daran, ich möchte zwar als normaler Mensch behandelt werden, aber Verrenkungen kann ich mit meinen Beinen nicht machen.



Jetzt musste ich erstmal tief Luft holen. Das war ja ein mehr als eindeutiges Angebot. Aber was sollte ich jetzt darauf antworten? Mir war doch gar nicht klar, ob ich Gefühle für diese Frau empfinden würde. Das würde doch seine Zeit brauchen, das kann ich doch nicht einfach so entscheiden. Liebe war es auf keinen Fall, was ich für Andrea Rosenthal empfand, eher eine Neugier, gepaart mit einer gewissen Erregung wegen des Regenmantel, des Südwesters und den Gummistiefeln. Letztere trug sie immer noch an den Füßen. Sinngemäß stotterte ich das dann auch so hin, sagte ihr, dass ich sie nicht verletzen möchte, dass ich schon große Lust auf sie hätte, aber die große Liebe könne sie derzeit nicht erwarten, das müsse die Zeit zeigen, Gefühle sind nicht planbar.



Ich wusste inzwischen nicht mal mehr, ob Andrea die Bestellung überhaupt abgesendet hatte.



Aber sie hatte. Und sie hatte auch schon bezahlt. Wir hatten beide Probleme, mit dem klar zu kommen, was wir angefangen hatten. Ich war nicht mehr allein in meinem Drang. Andrea hatte nachgezogen, hatte Regeln und Bedingungen festgelegt, war bereit, den nächsten Schritt zu gehen.



Es war inzwischen Abend geworden. Mein Telefon blieb stumm, keine Notfälle. Andreas Mutter klopfte und fragte, ob sie uns einen Schnittchenteller zum Abendessen bereiten solle. Sie war sichtlich bemüht, ihrer Tochter ein Privatleben zu ermöglichen, aber auch dafür zu sorgen, dass ich mich wohl und sicher fühlte bei Andrea. Andrea fragte, ob ich denn noch ein wenig Zeit haben würde, und falls ja, ob ich denn auch noch Lust hätte, ein bisschen bei ihr zu bleiben. Gern wollte ich das, trotz des Gefühlskarussells, spannend war es allemal zwischen Andrea Rosenthal und mir, dem Norbert.



Es gab einen bunten Teller mit belegten Broten, dazu Gurke, Paprika, Cola und Limonade. Ein Kostverächter war Andrea nicht, aber auch keine siebenköpfige Raupe. Wir unterhielten uns über Musik und Belangloses. Dann sagte Andrea: ich will dich nicht bedrängen, aber wenn du Lust und Zeit hast, kannst du morgen wiederkommen. Ah, Rausschmiss, dachte ich, und wollte langsam gehen. Doch so meinte Andrea das gar nicht. Ich solle doch gern noch bleiben, sie wolle mich nicht loswerden, im Gegenteil, sie wollte, dass ich heute noch bleibe und morgen auch wieder zu ihr komme. Ach, so war das gemeint. Na dann könne ich doch gleich über Nacht beleiben, dann würde ich mir den Weg sparen, scherzte ich. Wenn ich eine Zahnbürste hätte, dann sollte ich das doch ruhig tun,meinte Andrea trocken, und ich hatte das Gefühl, sie meint, was sie sagt.

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