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Nur nicht die Seele ruinieren

Text: jackmarschall

Der TSV 1860 München steckt in finanziellen Nöten. Gibt es noch Hoffnung auf Genesung oder ist der Patient schon klinisch tot? Ein Hintergrundbericht von Jack Marschall







 

Wenn Christa Estermann früh um Neun das „Löwen-Stüberl" aufsperrt, campieren normalerweise schon die ersten Fans auf der Terrasse. Das war immer ein Ort, an dem sich jeder Sechz'ger gemütlich sonnen konnte und ein bisschen über die Bayern klatschte, den großen Rivalen gleich gegenüber, der nicht so ein schickes Vereinshäuschen besaß. Die Finanzkrise sei schuld, unkte man, als die „Roten" vor zweieinhalb Jahren ihr Vereinsheim abrissen, wohl wissend, dass der FCB an selber Stelle ein neues Leistungszentrum aus dem Boden stampfen würde. Am heutigen Dienstag begrüßt Estermann nur eine Hand voll blaue Vereinsmeier, die da auf der Terrasse des Löwen-Stüberls sitzen. 1860 steht kurz vor der Insolvenz und es scheint, als glaubten nicht einmal mehr die eingefleischtesten Fans an ein Wunder. Laut SZ-Informationen drücken die Löwen 8 Millionen Euro Schulden. Das Lizenzverfahren, was den Sechz’gern von der „Deutschen Fußball Liga" (DFL) aufgebrummt wurde, konnte gerade noch in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Präsident Dieter Schneider musste 5,3 Millionen Euro an Liquidität nachweisen, und wer ihn auf der Pressekonferenz am 17. Dezember erlebte, der begriff schnell, dass eine solche Summe für die Löwen nur durch einen ungeheuren Kraftakt zu stemmen war. Es warte eine „knallharte Sanierung und viel Arbeit“ auf den Verein, resümierte Schneider – nachdem er nächtelang über den Akten des Clubs gebrütet hatte. Was blieb ihm auch anderes übrig. Jahrelang hatte die Vereinsführung die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Fehler, die den Traditionsclub jetzt vielleicht in die Knie zwingen. 



Wie die Löwen „wild-zu-mosern“ begannen



Als Karlheinz Wildmoser 1992 die Geschäfte übernahm, war der TSV ein Scherbenhaufen, ein Verein der unter den Trümmerbergen der glorreichen Vergangenheit zu ersticken drohte. Doch Wildmoser brachte Geld und Investoren – und darüber hinaus auch den lang ersehnten Erfolg zurück. Sechzig marschierte ohne Umwege von der Bayernliga ins Oberhaus des deutschen Fußballs. „Die schönste Zeit in meinem Leben“, sagt Estermann heute nach 16 Jahren hinter der Theke im Löwen-Stüberl. Eine Erfolgsstory schien sich da Mitte der 90er unweit der Säbener Straße abzuspielen, dort, wo der große Rivale vom FC Bayern seine Runden drehte. Der neue Löwen-Boss dirigierte seine Untergebenen wie es ein Rudelführer macht – kompromisslos. Doch er dirigierte auch ohne sich die Frage zu stellen, wie der Verein nach seiner Amtszeit weiter existieren könne. „1860 hat unter Wildmoser seine Identität verloren“, sagt Roman Beer, erster Vorsitzender der „Freunde des Sechzger Stadions“ über den Altpräsidenten. Wildmoser hätte für eine Menge Geld viele Mittelklasse-Profis ohne Lokalkolorit geholt. Außerdem wäre er den Bayern erst ins Olympiastadion nachgedackelt, später dann in die "Allianz Arena". Auch Estermann macht nachdenkliche Miene, wenn sie auf den Umzug nach Fröttmaning angesprochen wird; und das nicht nur, weil sie am alten "Grünwalder-Stadion" hängt: „Das neue Stadion kostet einen Haufen Geld. Geld, das wir nicht haben!“



Bayern „light“, ein Millionengrab



Es ist schon verwunderlich, dass der Ur-Münchner Wildmoser nichts mit der Heimatstätte der Löwen an der Grünwalder Straße anfangen konnte und lieber in die Allianz Arena zog, um eine „Lightversion“ des FC Bayern zu inszenieren. „Der Stadionbau war der erste Schritt in den Bankrott“, sagt Beer. Als Fanbeauftragter und gelernter Architekt weiß er um die Risiken, die das riesige Stadion mit sich bringt. „Die Arena mit ihren 66000 Sitzplätzen war und ist für den TSV 1860 München eine Nummer zu groß.“ Es sei unverantwortlich von Wildmoser gewesen, einem Club, der die meiste Zeit unterklassig gespielt hätte, eine solch finanzielle Bürde aufzuhalsen. „Utopisch“ nennt Beer heute die Vorstellungen des ehemaligen Präsidenten, Zuschauerschnitte von 40 bis 50 Tausend zu generieren. Auch Estermann schließt sich der Meinung Beers an: „Wenn man überlegt, dass gegen Bochum nur 16000 Leute draußen waren, dann ist das schon erschreckend.“ Knapp 5 Millionen Euro brummt der TSV jedes Jahr an Miete ab, allein 2 Millionen davon für das Catering. Kosten, die man mit einem halbleeren Stadion nicht decken kann. Beim Catering bezahle man aktuell doppelt so viel wie verbraucht werde, bilanziert Beer. Unterm Strich sei die Allianz Arena in der zweiten Liga untragbar. 
       Als sich im Jahre 2001 die Bürger für den Stadionneubau im Münchner Norden aussprachen, da war Sechzig noch erstklassig. Man durfte als Vierter der Vorsaison sogar ein wenig Champions-League-Luft schnuppern, ehe man an Leeds United scheiterte. Die fetten Fernsehgelder waren zum Greifen nah. Der Aufstieg der Löwen verlief so rasant, dass man Wildmosers Vision gerne lauschte. Sein Traum war es die WM 2006 in München zu eröffnen – gemeinsam mit Franz Beckenbauer. Sechzig, so dachte der damalige Löwen-Boss, würde damit endgültig aus dem Schatten des großen FC Bayern treten. Als gleichberechtigter Partner stieg er in die Stadion-GmbH ein, man wollte Halbe-Halbe machen mit den Bayern. Die Geschichte, die dann aber folgte, ist allseits bekannt: Die Löwen stiegen ab und das WM-Eröffnungsspiel 2006 fand ohne Wildmoser statt. Der Patron aus Hinterbrühl musste sich wegen Korruption vor Gericht verantworten und war bis auf weiteres von seiner Tätigkeit als Präsident entbunden: „Wildmoser schaufelte sich draußen in Fröttmaning sein eigenes Millionengrab und zog uns gleich noch mit rein“, so Beer.



Unter Hoeneß’s Fuchtel



Nachdem die Ära Wildmoser ein jähes Ende genommen hatte, veranlasste der neue Geschäftsführer des TSV 1860 München, Stefan Ziffzer, alle Anteile an der Stadion-GmbH zu verkaufen. Und das nicht an irgendjemanden, sondern an den Stadtrivalen FC Bayern München. Die Stadionkosten sollten auf 5 Millionen Euro minimiert werden, auf ein Viertel des Gesamtetats. Dass in den Verträgen klein gedruckt stand, dass fortan zur Miete im „Stadion“ des verhassten Nachbarn gespielt würde und dieser sich damit eben mal die Kontrolle über die Sechz’ger sicherte, wurde schlichtweg überlesen: "Die Marke 'TSV 1860 München' hat darunter sehr gelitten", sagt Beer. Das Graue-Maus-Image drohe. Fans würden abtrünnig, Sponsoren suchten sich lieber einen Partner mit mehr Profil. 
       Doch gäbe es die Löwen noch, wenn der FC Bayern nicht ihre Anteile an der Stadion-GmbH abgelöst hätte? Wohl kaum. Wer Dieter Schneider, dem frisch gewählten Präsidenten der Sechz’ger, auf der Pressekonferenz im Dezember aufmerksam zugehört hat, nahm staunend zu Kenntnis, dass die Bayern einen großen Teil der Stadionmiete der Löwen stunden. Von gut 2 Millionen Euro ist die Rede. Ohne den deutschen Rekordmeister würde Sechzig die Lizenzauflagen der DFL kaum erfüllen können. Doch die Geduld von Bayern-Präsident Uli Hoeneß ist mittlerweile erschöpft: „Was wir unseren Fans zumuten, dass ist eigentlich unverantwortlich“, gab er neulich im Interview zu Protokoll. Da der TSV nicht liquide ist, versuchen die Bayern den Löwen auf anderem Wege die Leistungen zu kürzen. Jüngstes Beispiel ist das Bayern-Museum, welches nächste Saison in der Allianz Arena eröffnet werden soll und für das ein 1860-Fanshop weichen muss. Die Kooperation zwischen dem TSV 1860 München und dem FC Bayern München bleibt jedoch ein Drahtseilakt. Die ständigen Scherereien und Fluchtversuche der Löwen zurück nach Giesing treiben Hoeneß zur Weißglut. So sehr, dass er erst verkündete, er würde eigens den Defiliermarsch blasen, wenn die Löwen endlich aus der Arena auszögen. Doch auch der FCB-Boss weiß, dass es ohne die finanzielle Unterstützung eines Investors oder den politischen Willen der Stadt München keine alleinige Zukunft der Bayern in der Allianz Arena geben wird. Schlimmer noch: Würden die Sechz’ger Konkurs gehen, würden die Bayern auf den Stundungen sitzenbleiben. Hoeneß plädiert daher für einen „schnellstmöglichen Wiederaufstieg“ des TSV in die Bundesliga: „Nur das kann 1860 retten.“ Angesichts der momentanen Tabellensituation der Löwen nichts als Wunschdenken.



Sparen, sparen und nochmals sparen



Der neue starke Mann beim TSV, Dieter Schneider, macht gerade das, was er wohl am besten kann: marode Unternehmen sanieren. Erst vor kurzem hatte er ein Autohaus in Dachau wieder in die schwarzen Zahlen gerückt. Jetzt versucht Schneider die sterbenden Löwen am Leben zu erhalten. In der Verwaltung wird zukünftig kräftig eingespart: Teammanager Robert Hettich musste schon seine Koffer packen, alle anderen Mitarbeiter verzichteten freiwillig auf zehn Prozent ihres Gehalts. Auch die Mannschaft wird zur kommenden Saison umgebaut. Publikumsliebling Benny Lauth verabschiedet sich wohl nach Augsburg, vielversprechende Eigengewächse wie Moritz Leitner sind längst verkauft. Es scheint als würde in der Not tatsächlich jeder Stein beim TSV umgedreht werden. „Das tut den Verein in seiner momentanen Lage ganz gut“, findet Wirtin Christa Estermann, auch wenn ihr jedes Mal das Herz blutet, wenn ein Löwentalent anderswo gegen den Ball kickt. Der Vorstand der Freunde des Sechz’ger Stadions Roman Beer hofft derweil, dass sich Präsident Schneider keinen Großinvestor mit ins Boot holt: „Wenn der Club auch noch seine vereinsinternen Aktien verscherbelt, dann ist nicht nur die Marke '1860' komplett am Boden zerstört, sondern auch die Seele des Vereins für immer ruiniert.“



Das wird eine Mammutaufgabe für Dieter Schneider in den kommenden Monaten. Christa Estermann hat er jedenfalls gesagt, dass Sechzig nach dem Lizenzverfahren im Januar „über’n Berg“ ist. Und diese Mission hat Schneider erfolgreich gemeistert. So lässt es sich auch mal wieder unbeschwert sonnen auf der Terrasse des Löwen-Stüberls – wenigstens das hat man den großen Bayern noch voraus.




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