49 Tage . Teil 1
Es sind noch 49 Tage bis zu meinem 30. Geburtstag. Hätte man mich vor 10 Jahren gefragt: „ Frau Hummel, wie sehen Sie sich in 10 Jahren?“ dann hätte ich gelächelt und geantwortet: „Ich habe einen netten Mann, ein Häuschen in einem Vorort von Stuttgart und vielleicht schon ein Kind“. Ich hätte bestimmt nicht gesagt: „ Meine Mutter beschließt, von nun an lesbisch zu sein. Mein Freund vögelt meine Schwester. Meine Mitbewohnerin züchtet Marihuana in unserer Wohnung. Ich habe die Steuerfahndung am Arsch kleben, habe 20 Kilo Übergewicht und meine Katze ist stark Suizidgefährdet“. Dummerweise wäre das aber die Wahrheit gewesen. Aber wir fangen ganz von vorne an.
Ich heiße Mareike und dich, liebes Tagebuch, habe ich seit 15 Jahren in einer meiner Wühlschubladen liegen. Ich habe es bis jetzt nicht übers Herz gebracht dich wegzuschmeißen. Man weiß ja nie ob man nicht doch mal Lust bekommt sein Leben in Sätzen zu offenbaren. Da wird einem erst richtig bewusst, wie beschissen es einem geht. Und wenn ich dir erzähle wie beschissen, wünscht du dir wahrscheinlich, ich hätte dich nie aufgeschlagen. Zu spät.
„Zu spät“ ist eine dieser Wortaneinanderreihungen, die ich schon immer gehasst habe. Es verfolgt mich schon mein ganzes Leben lang.
Es sind wie gesagt noch 49 Tage bis zum großen Knall vor dem ich schon immer Panik hatte und wenn ich nicht aufpasse klingeln die Wörter „zu spät“ bald schon wieder in meinem Ohr. Nur ist es dann nicht einfach nur die Lehrerin die mich Nachsitzen lässt sondern das Gefängnis oder die Klappse. Ich bin mir nicht sicher, was ich schlimmer finden soll.
Mein Leben verlief beschaulich. Nachdem ich mit 19 Jahren mein Abitur mit Bestnoten von Hinten nicht bestanden hatte, packte ich meine Koffer, hinterließ meinen Eltern einen Abschiedsbrief und trampte nach Frankreich. Ich dachte mir, die Welt hat mein wahres Talent einfach noch nicht entdeckt. Ich habe mich in Lion mit Kellnern, Putzen und weiteren lukrativen Aufträgen ganze 2 Monate über Wasser gehalten, mit meinem verdienten Geld das Zugticket zurück nach Deutschland gekauft und meiner Mutter erzählt ich sei nur zurück, weil ich sie so vermisst habe. Sie hat mir kein Wort geglaubt und hat dafür gesorgt dass ich in der Metzgerei von Papa eine Ausbildung mache und habe diese sogar mit Bestnoten bestanden. Nicht, dass dies eine Kunst gewesen wäre mit meinem grandiosen Wissen, aber man muss das einfach erwähnt haben.
Meine verzogene Schwester mit ihrem Püppchenhaften Gesicht hat ihr Abi mit Bestnoten von vorne bestanden und dann vorbildlich studiert. BWL. Natürlich, was auch sonst. Und auch dort verzauberte sie die Menschheit mit einem vorbildlichen Abschluss. Wir sind ja alle so unheimlich stolz auf dich. Alle vier Monate stellte sie der Familie ihre neue große Liebe vor. Sie hatten so wunderbare Namen wie Jason, Jack, Sören oder auch einfach nur Torben. Bei soviel wohlklingenden Silben kam meine Mutter ganz durcheinander und nannte sie einfach nur „Schätzchen“. So wie bei meiner Mutter alles nur „Schätzchen“ war. Ein Schlüsselerlebnis meiner Kindheit ist da ganz ungeschlagen die Szene, wo sie meiner maskulinen Schwimmlehrerin, die ich heute als Kampflesbe bezeichnen würde, folgendes an den Kopf warf: „ Ach Schätzchen, Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, dass meine süße Tochter zu fett sei um beim Turnier mit zu schwimmen. Schauen Sie doch mal in den Spiegel, Schätzchen. Dann wissen Sie, was fett ist.“
Muss ich erwähnen, dass meine Mutter mit samt ihren Klamotten und einem Veilchen reicher im Wasser lag und vom Bademeister gerettet werden musste?
Ja, ja. Meine Mutter ist schon ein Unikat aber dazu komme ich später. Ich mache erst einmal bei mir weiter.
Nach dem ich meine Ausbildung, wie schon erwähnt, mit Bravour beendet hatte und die Welt immer noch nicht bemerkte, dass ich etwas ganz besonderes bin, schlachtete ich einfach ein paar Jahre vor mich hin, hatte die ein oder andere unwichtige Beziehung und mit 24 bin ich dann von daheim ausgezogen. Ich zog mit meiner besten Freundin Johanna in eine nette 3 Zimmer Wohnung und bin Stück für Stück ein klein wenig erwachsen geworden. Und irgendwann stand er dann vor der Tür. Mein Traummann.
Ok, die Tatsache, dass er mir einen Vorwerk Staubsauger verkaufen wollte war nicht besonders romantisch aber einem geschenkten Gaul schaut man ja auch nicht ins Maul.
Da stand er also da, in seinem grünen Dress und es war Liebe auf den ersten Blick. Zumindest bei mir. Er leierte seinen Verkaufsspruch runter: „Guten Tag. Mein Name ist Simon Michels und ich weiß was Sie jetzt denken. Nicht schon wieder ein Vertreter. Aber glauben Sie mir, Sie werden es nicht bereuen. Die Firma Vorwerk gibt es seit 1920 und mit diesem tollen Staubsauger können Sie Dinge anstellen, die Sie vorher für unmöglich gehalten haben.“ Ähm, ja. Mein Staubsauger und ich, wir wollten schon immer ganz außergewöhnliche Dinge tun. Ich starrte ihn einfach ungläubig an und als er meinen leicht apathischen Blick bemerkte, schluckte er eine weitere Lobeshymne auf diese Höllenmaschine hinunter. „Geht es Ihnen gut, Frau äh Hummel? Sie sehen irgendwie nicht, wie soll ich sagen, gut aus.“ Blubbert er besorgt. Das unsere Liebe gleich mit den Worten: „ Sie sehen nicht gut aus“ begann, war sehr romantisch. „Mir geht’s gut, glaube ich. Nur ein Glas Wasser, dann ist alles gut. Wollen Sie nicht reinkommen, Herr Michels?“ Ich schaute ihm tief in Augen. Ich meine, wer mir da widersteht ist entweder schwul oder blind. Er biss an, wusste ich es doch. „Ja. Ja ich komme mit rein und dann trinken Sie ihr Glas Wasser und in der Zeit bereite ich schon mal alles für unsere kleine Präsentation vor.“ Der geht aber ran, dachte ich. Was will er mir denn präsentieren? Ich musste mich setzten und war schon ein bisschen enttäuscht als er nur den Staubsauger auspackte. Er versuchte hektisch den Stecker in die Steckdose zu stecken und schien schon an sich zu zweifeln weil es einfach nicht klappen wollte. Ich wieß ihn dezent darauf hin, dass dies Steckdosen mit Kindersicherung sind und er begriff. Besser spät als nie. „Haben Sie Kinder, Frau Hummel?“ Ich sah Traurigkeit in seinem Blick! Ja, ganz deutlich. Juhu. Mein Herz machte einen kleinen Sprung. „Nein. Es ist wegen meiner Katze. Silbereisen hat ein leichtes Suizidproblem. Aber seit dem ich ihm ein bisschen Marihuana unter sein Futter mische, geht es schon besser.“ Die Traurigkeit wich schlagartig aus seinem Blick und wurde zu blankem Entsetzen . „Sie haben Ihre Katze Silbereisen genannt? Da hätte ich auch gute Lust zu sterben. Und Marihuana? Was Sie Ihrem Körper antun ist Ihr Problem, aber dass mit der Katze ist Tierquälerei!“ bäfft er mich an. Ich konnte es nicht glauben. Jetzt packt er wahrscheinlich gleich seine Greenpeace Visitenkarte aus und meldet mich bei der Drogenfahndung, dachte ich. Ich antwortete ihm im höflichsten Ton: „Herr Michels, jetzt hören sie mir mal zu. Ich kann meine Katze nennen wie ich möchte. Und wenn ich dieses Tier Harald Junke nennen würde – es wäre ihm scheißegal. Es kann mich nicht v-e-r-s-t-e-h-e-n. Und ein bisschen Gras hat noch niemand geschadet. Sie sollten das vielleicht auch mal probieren. Vielleicht direkt aus dem Napf von Silbereisen? Aber das trauen Sie sich ja sowieso nicht. Denn nur ein Spießer verkauft Staubsauger!“ Mittlerweile war mein Tonfall laut und aggressiv und Mr. Spießer guckte angewidert. Ich merkte, jetzt setzt er zum finalen Vernichtungsschlag an. Männer lassen sich ja viel gefallen, aber wenn ihr Ego provoziert wird, hört der Spaß auf. Er lief zum Fressnapf meiner Katze und lies mich nicht aus den Augen. Vorsichtig bückte er sich, hob den Napf auf, roch daran und dann, ich konnte nicht glauben was ich da sah. Er schaufelte sich eine ganze Hand Silbereisenmatsche in den Mund ohne sein Gesicht zu verziehen. „Was machen Sie da?“ schrie ich ihn an. Ich rannte zu ihm, riss ihm den Napf aus der Hand und verpasste ihm eine Ohrfeige. Er hatte die Rechnung ohne Silbereisen gemacht, der nichts mehr hasst, als wenn man ihm den Teller wegnimmt (das hat er von mir). Er kam aus der Küche geschossen und sprang meinem Vertreter direkt in den Schritt. Aus Erfahrung wusste ich, da kann man nix machen. Man muss einfach warten, bis sich Silbereisen abreagiert hat. Ich versuchte die Sachlage Herrn Michels zu erklären, der das allerdings gar nicht witzig fand. Ich zog ihn mit auf die Couch, brachte ihm eine Tasse Kaffee, während Silbereisen immer noch fröhlich im Schritt meines männlichen Besuchers schmatzte. Da mein Mitleid von Minute zu Minute größer wurde und Herr Michels seiner Situation sowieso ausweglos entgegen sah, fingen wir an uns zu unterhalten, über dies und das. Sein Leben, mein Leben und irgendwie wurde der Mann mit dem Staubsauger noch richtig nett. Silbereisen hatte irgendwann genug von seinem Schritt und Herr Michels, den ich mittlerweile Simon nennen durfte, saß immer noch auf meiner Couch. Wir wechselten von Kaffee zu Wein und dann zeigte er mir doch noch etwas anderes wie seinen Staubsauger. Und was soll ich sagen. Ich war entzückt und relativ schnell verliebt.
...Fortsetzung folgt....