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Prostituierte - ein Beruf wie jeder andere?

Text: nadean

Niemand ist für Menschenhandel. Sie findet genauso wenig Befürworter wie die Sklaverei. Mit Prostitution sieht es da anders aus. Einige sind dafür und unterstützen sie. Weitaus mehr finden es politisch korrekt, sie zu tolerieren. Die meisten aber finden Prostitution nicht unbedingt wünschenswert, dennoch irgendwie notwendig, denn zu wem sollten die ganzen Männer sonst gehen, um ihre sexuellen Neigungen ausleben zu können.



Doch ist Prostitution wirklich etwas anderes als Menschen- bzw. Frauenhandel? Ist Prostitution nun ein „Beruf wie jeder andere“ – gerade nach dem 2002 eingeführten Prostitutionsgesetz – oder doch „sexuelle Ausbeutung“? Hört man die Befürworter der Prostitution, so handelt es sich dabei um das „älteste Gewerbe der Welt“, das in gegenseitigem Einverständnis stattfindet, schließlich wird dafür bezahlt. Stigmatisiert werden SexarbeiterInnen nur, weil „Sexarbeit“ gesellschaftlich nicht anerkannt ist. Einige dieser Anhänger verstehen Prostitution gar als eine Art sexueller Befreiung: SexarbeiterInnen, die meisten von ihnen Frauen, würden für ihre Dienste finanziell vergütet, die man(n) normalerweise umsonst erwartet.  SexarbeiterInnen führen ein unabhängiges Leben und haben Sex mit wechselnden Partnern – eine Verhaltensweise, die sonst nur den Männern zugebilligt wird.



Die AnhängerInnen der Prostitution als „sexuelle Ausbeutung“ hingegen betrachten Prostitution als älteste Form der Unterdrückung und einen Eckpfeiler der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Der körperliche und psychische Zwang, der sich dahinter verbirgt, produziert einen Wirtschaftssektor des Missbrauchs, dessen Profite sich andere einstecken.



Drei bis fünf Prozent der Prostituierten arbeiten ohne Zuhälter



Mit Erschaffung des Prostitutionsgesetzes aus dem Jahre 2002 sind der Polizei die Hände gebunden, was die Strafverfolgung anbelangt. Denn es geht von „Partnern“ auf Augenhöhe aus, sagt Hauptkommissar Hohmann, der seit 14 Jahren Leiter des „Ermittlungsdienstes Prostitution“ in Stuttgart ist. „Der Gesetzgeber hat uns nach und nach sämtliche Instrumente aus unserem Werkzeugkasten genommen. Früher hatten wir den Paragraphen 180a, der die „Förderung zur Prostitution“ unter Strafe stellte, aber der wurde mit dem Prostitutionsgesetz abgeschafft“, so Hohmann.



Im benachbarten Frankreich gibt es den Paragraphen 225 des Code Pènal, der folgende Kriterien festlegt: Der Zuhälterei macht sich strafbar, wer ohne eigenes Einkommen mit einer Person zusammenlebt oder eine Beziehung mit einer Person führt, die sich prostituiert. Auch wer eine Prostituierte transportiert oder ihr Geld bei sich trägt, kann verfolgt werden. Man beachte, dass laut Hohmann nur drei bis fünf Prozent der Prostituierten ohne Zuhälter arbeiten. Bedeutet, dass 95 bis 97 Prozent einen Zuhälter haben. Und Zuhälterei ist nach wie vor strafbar. „Wir benötigen bei einer Ermittlung bisher immer die Aussage des Opfers, der Frau, und das ist das entscheidende Problem.  Der Gesetzgeber geht von „Partner“ in Augenhöhe aus. Das aber ist der totale Wahnsinn. Eine vollkommende Verkennung der Lage. Wir haben es hier meist mit eingeschüchterten, hilflosen, abhängigen Frauen zu tun“, so der Stuttgarter Hauptkommissar.



Prostitution in Deutschland salonfähig geworden



Prostitution wird in Deutschland auf absehbare Zeit nicht verboten werden – das Gegenteil scheint der Fall: Prostitution in Deutschland wird immer salonfähiger. In TV-Talkshows sitzen irgendwelche Lobbyistinnen oder bezahlte Frauen, die für 500 Euro Aufwandsentschädigung erzählen, wie geil sie Prostitution finden. „Ihre“ Frauen haben dafür weder Kraft noch Zeit, weiß Sabine Constabel vom La Strada in Stuttgart. Ein Großbordell hat neuerdings einen VIP-Bereich für Sportmannschaften, und seit der Lehman Brothers-Pleite investiert der vermeintlich biedere Handwerksunternehmer von nebenan lieber im Rotlicht-Milieu. Eine fatale Entwicklung.



Posttraumatisches Belastungssyndrom bei Prostituierten ähnlich hoch wie bei Kriegsveteranen



Befürworter von Sexarbeit erklären oft, „Indoor-Prostitution“ würde Prostituierten mehr Kontrolle und gleichzeitig eine höhere Sicherheit geben. Doch die angeblichen Vorteile haben nicht die Prostituierten, sondern einzig ihre Zuhälter. Untersuchungen ergaben, dass Prostitution in Bordellen vor allem Zuhältern mehr Kontrollmöglichkeiten verschafft. Video-Überwachung (Zuhälter schauen diese Live-Pornografie) und Alarmknöpfe sorgen selten dafür, dass eine Frau rechtzeitig Hilfe bekommt. Daher ist die Unterscheidung zwischen Straßen- und Bordellprostitution rein ideologisch und dient vor allem dazu, hartnäckig das Gerücht aufrecht zu erhalten, Prostituierte würden den Beruf freiwillig machen, seien gut bezahlt und hätten viel Spaß dabei. Zudem seien sie freiberuflich tätig und könnten so jederzeit kündigen.



Wie kommt es dann, dass das posttraumatische Belastungssyndrom (PTSD), das bei Prostituierten gemessen wird, ähnlich hoch ist, wie bei Kriegsveteranen, Folter- oder Vergewaltigungsopfern.  Menschen entwickeln dieses Syndrom, sofern sie Gewalttaten erleben, die mental nicht zu ertragen sind. Es kommt meist zu einer Abspaltung: Betroffene schieben die Gewalt weg, verlassen das innere Geschehen, unterdrücken oder verleugnen das Erlebte.  Das erklärt, warum die meisten Prostituierten Alkohol- oder Drogenabhängig sind – um auszuhalten, was ihnen geschieht. Nicht selten werden Prostituierte mit Drogen gefügig und abhängig gemacht. Um den Missbrauch, der konstant in der Prostitution stattfindet, auszuhalten, dissoziieren sich Betroffene. Sie schaffen sich ein neues „Ich“. Sie geben sich einen neuen Namen, mit dem sie fortan diese „Arbeit“ machen, und nicht selten verteidigt dieses zweite „Ich“ die Prostitution auch noch. Stetigem Missbrauch ausgesetzt zu sein; mit massiver Gewalt zum Weitermachen erpresst werden; das Trauma eines Kriegsüberlebenden erleiden, Drogen brauchen, um durchzuhalten – ist das ein „Beruf wie jeder andere“? Ein ganz klares "NEIN".   






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