Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

JGA – WTF? Oder: Jung, gesellig, nervig!

Text: FrauBuergie
Samstag morgen, im ICE 216.
Junggesellinnenabschied – allein schon die Sperrigkeit dieses Wortkonstruktes raubt mir den Atem. Nichts an diesem Begriff swingt. Nichts groovt. Nichts funkelt. Gemessen an diesem Worttölpel verheißt das britische Hen Night nahezu schon beschwingte Leichtigkeit und dionysische Ausgelassenheit.

Jung-ge-sell-in-nen-ab-schied. Im Geiste immer wieder über das groteske Silbenflickwerk stolpernd harre ich der Dinge, die da kommen mögen. In stoischer Stetigkeit schiebt mich der Zug weg von meiner Heimat Köln Richtung Süden – in diesem Falle – wie mir meine Furcht einflüstert: Richtung Sekthysterie und qualvoll inszenierter Heiterkeit. Dabei glaube ich – trotz meiner anhaltenden Ressentiments gegenüber besagten Veranstaltungen – dass dieser spezielle JGA (wie der Profi nonchalant zu sagen pflegt) durchaus den Aufwand der Reise wert sein könnte. Schon bei Silkes standesamtlicher Trauung im vergangenen Herbst erwiesen sich die relevanten Gäste als  gewinnende Zeitgenossen - und das selbst unter erschwerten Bedingungen wie einem sehr hohen Sekt-Bier-Wein-Averna-Konsum. Silke, die im kommenden Herbst auch kirchlich zu vermählende Braut, kenne ich aus Schulzeiten. Wir teilten viele Momente der Kleinstadtidylle, welche stets Hand in Hand mit ihrer Schwester der Kleinstadtapathie anzutreffen war.

Bei ersten pubertären Ausgehanläufen in der nahe gelegenen Metropole Köln kopfwippten wir nicht nur verstohlen am Rande von studentenübersättigten Tanzflächen; unvermeidlich war auch die Kollision mit den obligatorischen grölenden, bierfahnenschwenkenden Schwachsinnsclustern, angeführt stets von einem armseligen Alphatier, welches schlingernden Schritts zu tumben Schweinerein aufforderte. Damals schon konnte ich mir ersprießlichere Tätigkeiten vorstellen, als einem schelmisch-schäl grinsenden Buben ein herzförmiges Stück aus seinem schnapsbesifften Hosenboden zu schneiden, um ihm dieses dann auch noch – der Gipfel des Schwachsinns – abzukaufen. Nicht zuletzt: um so das Phänomen der organisierten Rabatzmache weiter zu nähren, um vielleicht zur Sternstunde der Heiterkeit im Leben des armen Bräutigams beizutragen.  Eine immerwährende Rabatz-Konstante: die männlichen Rudel kündigen sich von Weitem durch dröhnendes Gegröle an, die weiblichen Schwärme durch glucksend und quietschend geäußerte Überspanntheit.

Wie traurig muten diese sich selber mühsam bei Laune haltenden müde gefeierten Aushilfsclowns an, die mit fuchtelnden Armen erfolglos Kontakt zur sie umströmenden Passantenschar suchen. Diese alarmierte Masse strebt im Normalfall beim Wittern des Unheils auseinander, umrtrippelt den Tross unauffällig, um sich dahinter wieder gleich einem Bächlein nach dem Umfließen eines Steins zu vereinen - frohlockend, dem Schafott der Guten Laune entgangen zu sein.

Allein optisch schrecken die Gruppen schon mit ihren ach-so-frechen Mottoshirts ab. Bei Aufschriften wie „Mein letzter Tag in Freiheit“ drängen sich mir Assoziationen zum letzten verzweifelten Aufschrei vor dem qualvollen Verenden in der Wüste auf. Die Klamotte fordert auf: Schaut her - obwohl ich im Begriff bin, etwas so unverzeihlich spießiges zu tun wie ein Eheleben zu führen, habe ich den Schalk hoch zwei im Nacken und schreite unbeschwerten Herzens ins Verderben. Absolution vor dem Gott des immerwährenden Spaßes. Monotonie-Prophylaxe – nicht rezeptpflichtig und auch für Kassenpatienten. Wie schlimm muss die Vorstellung von der eigenen Ehe sein, um anzunehmen, die einzige Rettung bestünde im halbwegs freiwilligen Tragen eines Teddykostüms und dem Blockieren öffentlicher Verkehrswege mit einem Bierbike?

Zwischen Caipi und Kleiner Feigling, I-Will-Survive-Karaoke und Salzteigherzverkauf fragt sich so manche Braut sicher, was sie in einem vorherigen Leben wohl verbrochen haben mag, um so hart gestraft zu werden. Stehen die Sterne gut, so nehmen alle Beteiligten die Veranstaltung gleichsam sportlich, Karaoke-Blamagen werden souverän auf die leichte Schulter genommen, und der Gedanke „Na, zum Glück ja nur alle paar Jahre mal“ verströmt einen Hauch von Trost.

Fraglich an der ganzen Geschichte bleibt bisweilen, wie sehr sich die Braut selber überhaupt nach einem derartig gearteten Zusammentreffen sehnt. Mit eiserner Vehemenz und warndenden Blickes trägt so manche Angehende ihre Bitte um Erlass des Junggesellinnen-abschiedes vor der Trauzeugin vor. Wurde diese weise von der Braut ausgewählt, dann wird sie gnädigt der Bitte stattgeben und Ruhe wahren. Nur außerordentlich arglistige Trauzeuginnen lassen ihre Schäfchen fröhlich ins offene Messer laufen, frei nach dem Motto „Wer Nein sagt, meint eigentlich Ja“.

Meine Fahrt gen Süden wird mir von der Gewissheit versüßt, dass sich unsere Braut diesen Tag tatsächlich gewünscht hat, dass sich alle Statistinnen dieses Absurden Theaters einander grün sind – und nicht zuletzt, dass weder Bierbike, Mottoshirts noch uninspirierte Pflichtspiele auf dem Programm stehen. Noch eine viertel Stunde, dann beginnt der Ernst der Spaßigkeit.

Sonntag früh, 1:30 Uhr im Boot, Würzburg

An der Nordseeküste... ram tam tam tam... Wie konnte das passieren? Inmitten einer Ansammlung von aufgetakelten Postpubertären versuche ich im Wechsel, die abgedroschenen Oldies und Schlager zu ignorieren, die aus den Boxen wumpern und mich – erschöpft vom Versuch, wegzuhören, damit anzufreunden. Ersteres gelingt mir ob der übers Ziel hinausgeschossenen Lautstärke nicht, Letzteres scheitert an... naja, an der Tatsache, dass es sich eben um Schlager handelt. Warum bin ich zu müde, dem DJ, einem hageren Milchgesicht, mit sofortiger Konfiszierung seines Taschengeldes zu drohen, wenn er nicht mit sofortiger Wirkung seine Playlist ändert? Lustlos wippe ich ein wenig mit, mein solidarisches Hey-wir-haben-doch-Spaß-zusammen-Lächeln vertrocknet langsam aber stet.

Dabei hatten wir bis dahin reizende gemeinsame Stunden mit erfrischender Frischluft, anregenden Gesprächen, vielerlei wohlschmeckenden Getränken, delikatem Essen und einer zumutbaren Dosis Schabernack. Beim mittäglichen Zusammentreffen aller aus unterschiedlichen Himmels-richtungen Angereisten freut sich unsere Braut sichtlich über unsere Überraschung und erledigt im Folgenden – unter Einfluss diverser Gläser Sekt – bereitwillig alle  Aufgaben, die uns in den benebelten Sinn kommen. Einen frivolen Kuhkopf von professioneller Hand auf die Wange geschminkt hangelt sie mit verbundenen Augen die Kletterwand des Würzburger Volkfestes hoch, feuert ihre Quietscheente beim Würzburger Wildwasser-Enterennen an und bewahrt sogar ihre Würde beim mühseligen Verkauf von kitschig zu einem Strauß drapierten Schokoladenherzen.

Apropos Würde: Was so ein bisschen Sekt mit mir anstellt! Aus der Dr. Jeckyll des Anstandes wir eine Mrs. Hyde der unkontrollierten Albernheit. Ich werde zu meinem eigenen Feindbild, freue mich überschwenglich über meine eigenen grenzdebilen Spielideen für Sarah, die ich – ein Lallen unterdrückend – heraus in die Landschaft pruste. Zum Glück ist die Sekt-Umnachtung dank der Wanderung zur Festung bis zum Abend verflogen und weicht einer Wein-Bräsigkeit. Wir sitzen in der versöhnlichen Abendsonne gut gelaunt hinter unseren gullideckel-großen Pizzen, und ich entlocke den Verheirataten unter uns einige mitunter amüsante Kennenlernanekdoten. Alles ist gut. Es geht also doch. Innerlich klopfe ich mir anerkennend auf die Schulter: Du hast Dich versöhnt mit einem Phänomen mit dem wohl in alle Ewigkeit schlimm klingenden Namen Junggesellinngeabschied.

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: