Endlich was zu tun - Ein Dienstagabend im Waschsalon
Es ist kurz nach sechs. Die Neonröhren brennen schon eine Weile, flimmern mich an, mit ihrem kalten Licht. Menschen huschen kaum mehr sichtbar an den dunklen Schaufenstern vorbei. Das Radio spielt „Blue Eyes“ und die Waschmaschinen summen mit. Heute war nicht viel los hier, im SB-Waschsalon in der Schweppermannstraße in Nürnberg. Nachdem Oliver Meyer, der Geschäftsführer, wie jeden Vormittag gegen halb elf nach dem Rechten gesehen hatte, war kaum jemand hier. Nur Moni, die junge Frau von gegenüber, die sich bei meinem Kollegen ihren Kaffee geholt hat, bevor sie zur Arbeit ging. Und natürlich Frau Hinze und Frau Lamprecht, die sich hier fast jeden Nachmittag treffen. Weniger, um Wäsche zu waschen, sondern eher um zu tratschen. Dass der schicke Herr Fischer von nebenan eigentlich tief verschuldet ist, hätte selbst ich nie geahnt! Auch am Abend ist nur eine Handvoll Leute hier, jeder mit seiner Wäsche beschäftigt oder vertieft in Bücher und Zeitschriften. Ich bin auf jeden Fall unterbeschäftigt.
„Klick“, da geht die Tür. Was ist das denn? Ein Neuer? So etwas ist hier selten. Die anderen Kunden bemerken ihn kaum. Nur ich hier in der Ecke kann ihn ungestört beobachten. Unsicher wirkt er. Wohl das erste Mal in einem Waschsalon. Dabei müsste er schätzungsweise um die dreißig sein – nicht gerade das Alter, in dem man das erste Mal selbst wäscht.
Er sucht sich Maschine fünf aus. Gute Wahl – beste Sicht für mich.So vorsichtig, wie er seine Sachen einräumt, scheinen die ihm besonders am Herzen zu liegen. Markenklamotten bestimmt, die waren sicher teuer.
Jetzt wird’s interessant: Ob er wohl genug Münzen dabei hat? Drei Euro fünfzig klein braucht er. Tatsächlich – die letzten Geldstücke kramt er heraus, um sie einzuwerfen. Bleibt wohl mal wieder nichts übrig – ich werde wohl weiter warten müssen. Viel wird zwar heute nicht mehr los sein, aber von den durchschnittlich 50 Kunden pro Tag sind wir auch noch weit entfernt, ein bisschen Hoffnung bleibt also noch.
Und was hat der jetzt vor? Sieht aus, als würde er sich am liebsten mit zu seinen Sachen in die Maschine setzen, um aufzupassen. Er schaut schon arg besorgt drein, als sich die Trommel zu drehen beginnt. Komisch, dass die Leute immer solche Angst um ihre Klamotten haben. „Hey... Hey, ist das normal, was die da macht? Die schleudert einfach trocken!“ fragt er jetzt, ziemlich ziellos in den großen, kahlen Raum hinein. „Hm? Jaja.“
Die Antwort kommt von Bernd. Bernd ist Stammkunde hier. Er kommt ziemlich genau alle zehn Tage, meistens mit gleich zwei Sporttaschen voll Wäsche. Während die erste Ladung gewaschen wird, holt er die zweite, dann wird getauscht und getrocknet, und die erste Ladung wieder heimgebracht, während die zweite im Trockner herumfliegt.
Die Routine ist ihm anzumerken – manchmal geht er zwischendrin noch einkaufen und ist exakt eine Minute bevor die Wäsche fertig ist, wieder zurück. Perfektes Timing. So etwas mag Bernd.
Der ängstliche Neue, als Marc-Simon hat er sich inzwischen vorgestellt, ist dankbar und scheint der Auskunft Bernds zu trauen.
An der großen Heißmangel neben der Eingangstür wird es derweil etwas lauter: Zwei ältere Frauen – die eine noch um einiges älter als die andere – und ein Mann sind dabei, Tischdecken zu bügeln. Sie streiten über die beste Methode. „Geh her Gerch, des kannst doch ned einfach durchnudeln, da mou mer scho mehr Obacht gehm!“ – „A geh zou, dei aana Faldn, desweecha geht aa die Weld ned under...“ Die Familie Kirchbichler ist also auch wieder da: Sie kommen einmal im Monat aus Boxdorf hierher, nur wegen der Mangel. „Des is hald scho bragdisch, so a großer Büchelaudomad“, sagt Oma Kirchbichler dann immer, und ist begeistert, „wei schnell dass des gehd!“
Marc-Simon bekommt währenddessen eine kleine Nachhilfestunde von Bernd – sogar mich hat er kurz erwähnt, als „ganz netter Zeitvertreib“...
Wenige Minuten später ist Maschine fünf fertig und Marc-Simon schiebt einen der roten Waschkörbe auf Rollen mit seinen sorgfältig aus der Maschine gesammelten Markenklamotten Richtung Trockner, vorbei an Herrn und Frau Anfinogenow, die gerade dabei sind, ihre Wäsche zusammenzulegen.
So manch ein Staffellauf-Trainer hätte eine wahre Freude daran, ihnen hier beim Arbeiten zuzusehen. Ohne ein Wort zu verlieren, sortiert das russische Ehepaar, legt zusammen, befüllt und leert die Maschinen, arbeitet Hand in Hand, ergänzt sich perfekt, jeder Griff sitzt. Das ist Routine. Kein Wunder, nach fast zwölf Jahren. Sie waren zwei der ersten Kunden, als der Laden im Juli 1999 von der NORMA zum Waschsalon wurde.
Marc-Simon will inzwischen den Trockner bezahlen, drei mal einen Euro, für drei mal zwölf Minuten. So, wie Bernd es ihm empfohlen hat. Doch jetzt scheint ihm das Kleingeld auszugehen: Er zückt einen Zehn-Euro-Schein und schiebt ihn in den Automaten.
Ha! Und jetzt – „Klingelingeling“, das Wechselgeld: 14 Fünfzig-Cent-Stücke rasseln in die Rückgeld-Schale. Das ist meine Chance!
Marc-Simon bückt sich verärgert, sammelt das Kleingeld aus dem Automaten und dreht sich rum. Mein Zeichen. Ich beginne sofort mit meiner Lichter-Show – und tatsächlich, er sieht mich – und beißt an! „Eine Runde Flippern, während die Sachen trocknen, kann ja nicht schaden“ murmelt er und wirft die ersten fünfzig Cent in meinen Münzeinwurf.
Es ist kurz nach sieben. Das Radio spielt „Leila“.
Und ich habe endlich was zu tun!