"Wir haben uns geliebt. Irgendwie"
Scherzhaft wird gerne gesagt, dass es zwei Kategorien Männer gibt. Die zum Ficken … und die zum Füttern. Ist auch gar nicht unwahr, denn beides schließt sich meiner Erfahrung nach tatsächlich aus. Ich möchte aber etwas Drittes hinzufügen: Die zum Gucken.
J. ist einer davon. Er ist einfach auf eine sehr maskuline Art und Weise. Geformt und beraten durch kluge Frauen vor mir hat er sogar Stil, ganz neben einem unfassbaren Körper und dem größten Geist den ich kenne. Wahrscheinlich würde er schmunzeln, wenn er das liest, denn Humor hat er auch und schreiben tut er selbst. Klingt perfekt, oder? J.'s Abgründe sind fast schon klischeehaft serientauglich, weshalb ich mich lieber auf die Nacht selbst beschränke.
Stundenlang haben wir uns unterhalten, etwas gezankt, gelacht und waren schon irgendwo zwischen guten Freunden und Verliebten. Alles was ich vorher von ihm kannte, waren Bilder, ein paar Daten und nette Zeilen. Im Internet spannend, im Leben ein Kracher.
Nach den Stunden kannte er mich, ausgefragt war ich. Ganz schön nackt um ehrlich zu sein. Und was war er? Ein schönes Geheimnis, immer noch unergründet und für mich zu keinem größeren logischen Zusammenhang zu kriegen.
„Wir müssen keinen Sex haben“, sagte er verständnisvoll, als er merkte wie ich zögerte und den Umschaltpunkt bei mir suchte. Bis zu dem Zeitpunkt war mir nicht klar, wie vergeistigt ich war. Wenn mich jemand auf der Ebene traf war es kaum möglich umzuschalten und körperlich zu werden. War es doch als würden wir uns ewig kennen und … besonders er mich.
Weil er aber eindeutig ein Mann zum Ficken war, habe ich umgeschaltet. Alles Kopfsache bei Kopfmenschen.
Gute Entscheidung, denn sein Körper war dem einer griechischen Statur gleich. Die Oberschenkel so trainert, dass ich darauf hätte mein Brot schneiden können. Die Brust so geformt, dass sie zum Daraufschlafen nicht mehr in Frage kam, der Rücken so definiert, dass ich staunte und die Arme so glatt, breit und stark wie aus "300". Am liebsten hätte ich ihn fotografiert oder gemalt. So habe ich nur geguckt.
Mein persönliches Empfinden danach war auch gut, irgendwie zufrieden, toller Mann. Vielleicht ein bisschen zu auf-ihren-Orgasmus fixiert, aber ich beschwere mich nicht, da gibt’s Schlimmeres. Nur der Satz:“ Aber das muss doch gehen... eher so?“, war nicht unbedingt notwendig.
Als ich ihn höflich zum Anziehen und Gehen bewegen wollte, machte er mir klar, dass die Fahrt nach Hause definitiv zu weit sei. „Aha“, sagte ich. Das weiß ich noch genau. Etwas verblüfft, denn es war ja schon frech. „Schnarchst du?“, war die zweite Sache die ich sagte. Gleich mal Fronten abstecken.
Tat er nicht und es war schön einen schönen Mann, der auch zu Schlafproblemen neigt, neben sich liegen zu haben. Besonders als sich seine Schlafprobleme in ein zweites Mal Sex bündelten. Und wow, seitdem bin ich eine Verfechterin des zweiten Mals. Das war ein Unterschied von Tag und Nacht. Seitdem benutze ich nach dem ersten Mal gerne das Wort „angefickt“, denn das trifft es am besten, schließlich geht da noch mehr.
Morgens fielen ihm sogar die unterschiedlichen Ohrringe auf und ganz pärchenhaft saßen wir auf meinem Balkon. „Schön“ sagte ich. „Schön“ sagt er.
Ja, schön war's. Wenn ich die Nacht beschreiben müsste, dann mit „Wir haben uns geliebt“. Nicht mehr und nicht weniger. Unheimlich intensiv auf allen Ebenen.
Das nächste Mal war schlecht, das Mal darauf wollte er „keinen Sex“ (???!!) und das letzte Treffen vor seinem Umzug fiel aus.
Zu schön um wahr zu sein.
