tretboot fahren und flirten.
Ganz früher war ich ja voll der Sexist. Da schäme ich mich heute richtig für. Aber so mit 12 Jahren, da fand ich Mädchen einfach nur doof. Alle. Später dann legte sich das ein wenig und ich wollte eine Freundin, am besten eine, die erfahren war, die könnte mir viel beibringen, deswegen sprach ich die Mädchen aus den Klassen über mir an, mit Belanglosigkeiten ins Gespräch kommen, dachte ich mir und sagte üblicherweise Dinge wie: "ey, du bist alt, oder?". Später brachte mir Muttern das flirten bei.
Und ich dachte lange, sie hätte es schlecht gemacht, denn wenn ich mit Frauen flirte, dann klappt das nur in 98% der Fälle. Früher hat mich das voll runtergezogen, aber heute weiß ich, dass etwa 5% aller Frauen lesbisch sind. Ich erzähle das, weil vielleicht auch andere traurig deswegen sind und ich mag keine traurigen Männer, aber auch keine traurigen Frauen und auch keine traurigen Lesben. Wobei Lesben sind ja auch Frauen: meistens zwei und nackt, das habe ich im Internet gesehen, find ich gut. Schwule sind auch meistens zwei und nackt, finde ich auch gut: bleiben mehr Lesben für mich übrig.
Aber wie gesagt: 98 % aller Frauen reagieren auf mein Flirten, manchmal muss ich lange vor Ihnen rumhüpfen, manchmal benutze ich meine Triangel, selten die Vuvuzela, aber 98% nehmen mich wahr. Einige runzeln nur die Stirn, aber viele reden sogar mit mir. Sie sagen dann so Dinge wie "nee" oder bäh.
Zuletzt war ich besonders verliebt in Annette. Deswegen schrieb ich ihr einen Liebesbrief. Das ist nicht ganz einfach für mich, denn ich habe Schreib-Tourette. Also, reden tue ich recht normal, aber beim Schreiben kann ich nicht anders, als immer schlimme Schimpfwörter einzubauen. Deswegen schrieb ich: Liebe potzblitz! Annette, verflixt und zugenäht himmerhergottsakkra ich will mit dir pfui deibel gehen Schweinekram und so weiter. Sie schrieb mir zurück, schlug mir eine Tretbootfahrt 16 Uhr auf der Lahn vor.
Ich freute mich und organisierte das Gepäck für die Fahrt. Picknickkram, halt Teller und auch vor allem: eine Fahne, weil: falls wir eine unbekannte Insel entdecken würden, dann müssten wir sie in Besitz nehmen und würden uns vielleicht darauf niederlassen und spätestens nach einigen Jahren kann man seine Kleidung nicht mehr tragen und dann muss sie nackig rumlaufen, das fände ich cool. Vielleicht wäre die Insel bewohnt, dann könnten wir in Frieden mit den Eingeborenen wohnen oder wir versklaven sie oder wir klauen ihnen ihre Lebensgrundlage, welche wahrscheinlich aus dreckigen Wasser oder Enten besteht. Eingeborene halt.
Vielleicht gäbe es auch einen Kulturschock, so wie damals mit den Europäern und den Indianern, wo beispielsweise die Europäer den Indianern ihr Land wegnehmen wollten. Da dachten sich die Indianer, dass Land niemanden gehören könnte und die Europäer dachten, dass Land sehr wohl jemanden gehören könnte, und jetzt könnte man meinen, dass seien ganz unterschiedliche Standpunkte, aber: am Ende hatten gewissermaßen beide Recht gehabt, da kann man mal sehen.
Ich war rechtzeitig am Bootsverleih, verstaute den Proviant und die Fahne und was man alles so braucht und wartete. Ich machte sogar einige kleine Luftlöcher ins Tretboot, damit ist man auf der sicheren Seite wenn es kentert und man darunter begraben ist. Als ich mit allen Vorbereitungen fertig war, fragte ich einen Passanten, wie lange es noch bis 16 Uhr sei und er sagte noch zwei Sekunden. Ich machte die Augen zu und da ich nicht so gut bis zwei zählen kann, zählte ich zweimal bis eins, dann machte ich die Augen wieder auf und da war eine wunderwunderschöne Frau. Wer sich eine wunderhübscheste Frau der Welt nicht vorstellen kann, der kann sich ja einfach eine zweithübscheste Frau der Welt vorstellen, damit klappts auch. Deswegen sah ich Annette auch nicht sofort, aber dann halt doch.
Ich half ihr gentlemanlike beim Einsteigen und wir fuhren los. Ich bot ihr ein Glas O-Saft an, das klingt vielleicht nicht nach viel, aber da kann man immerhin 2 Liter Capri-Sonne draus machen, da kann man eigentlich nicht meckern. Annette sagte Danke und ich fand das super, und manchmal, wenn man etwas nett findet, dann knufft man jemanden ja an den Oberarm, aber ich fand es ja nicht einfach nur nett, sondern sogar super, deswegen machte ich es etwas kräftiger. Da fiel sie ins Wasser. Hm.
Ich wollte sie retten, aber plötzlich bekam ich so ein komisches Gefühl in der Brust, auch leichte Beklemmung und meine Kiefermuskulatur fühlte sich verspannt an. Ich machte mir Sorgen und tippte deswegen meine Symptome in die Hypochonder-App meines Smartphone und stellte fest, dass es sich wahrscheinlich um Schuldgefühl handelte. Soso. Annette war immer noch nicht aufgetaucht und ich dachte nach.
Dachte mir, tu ich was gegen mein Schuldgefühl, tu ich einfach so, als ob ich es nicht gewesen sei. Am besten, ich brächte das Boot zum verschwinden. Und wenn sie dann auftaucht, dann ist da kein Boot und noch bevor sie nachdenken kann, werfe ich ihr dann ein: Das war eine ganz schön doofe Idee von Dir mit Kleidung in der Lahn zu schwimmen, wenn ich so drüber nachdenke bin ich ganz schön sauer auf Dich und um anzutesten, wie das so bei ihr ankommen würde, würde ich am Ende vielleicht ein bin ich nicht einfügen, denn erstens ist das so ein schönes britisches isn´t it und zweitens mag ich das: Ich bin ganz schön sauer auf Dich, bin ich nicht.
Ich stand also mit einer Flasche Spüli am Bug des Tretboots und drückte das Spüli in die Lahn. "Geh weg Oberflächenspannung" dachte ich mir, "Verschwinde!" dachte ich mir. Denn wenn die Oberflächenspannung weg wäre, dann würde ja das Boot sinken, das Boot sank aber nicht, Eintagsfliegen machen das so, Boot nicht, wahrscheinlich gab es irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen für den Fall, dass so ein Boot in eine Gegend mit niedriger Oberflächenspannung kommt. Wie auch immer. Annette tauchte auf. Ich improvisierte.
Du badest, während ich das Boot sauber mache, aber ich bin sowieso gerade fertig, bin ich nicht, sagte ich. Annette wirkte sauer und nass und wollte zurück. Deswegen fuhr ich zurück. Ich erzählte ihr, dass ich ihr hinterhergetaucht wäre, sie aber nicht gefunden hätte, dass ein großer Raubvogel sie erwischt hätte, wenn ich sie nicht weggeschubst hätte, dass ich sie vermisst hätte, dass sie von der Treppe gefallen sei, aber so richtig überzeugte sie das alles nicht. Als wir wieder am Bootsverleih ankamen, fragte ich sie, ob sie mit mir gehen wolle und sie schaute mich lange an und sagte, dass sie lesbisch sei. OK sagte ich, denn mein Herz ist groß genug für zwei Frauen.