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Fast genial von Benedict Wells

Text: heiss_fettig

Benedict Wells kündigte Fast genial an, da erschien gerade sein zweites Buch. Seit dem freute ich mich darauf. Zu Weihnachten bekam ich es geschenkt. Eine Buchkritik.

Mit Becks letzter Sommer legte Wells aus dem Stand eine guten Start hin: Von großen Tageszeitungen behandelt und in der Neon empfohlen wurde es sogleich ein Erfolg. Auch Wells persönliche Geschichte hatte mir imponiert. Nach dem Abitur zog er nach Berlin, schlug sich tagsüber mit schlecht bezahlten Jobs durch, um Nachts zu schreiben. Diese Konsequenz beeindruckte mich*. Und sie zahlte sich aus, sein zweiter Roman wurde als erster bei Diogenes veröffentlicht, ich glaube, er war - 1984 geboren - der jüngste Schriftsteller, dem diese Ehre zuteil wurde. Kurze Zeit darauf folgte Spinner, eine Art Behandlung Wells Berliner Zeit.

Fast genial ist also der erste Roman, den Wells nach seinem Durchbruch schrieb. Obwohl mir seine ersten Werke sehr gefielen, fand ich doch, dass das junge Alter des Verfassers nicht verborgen bleibt. Ich dachte mir, dass das mit zeitlichem Abstand dazu verfasste Werk ein Schritt nach vorne wäre. Doch getäuscht, es wurde ein Schritt zurück.

Die grobe Handlung klang schon mal vielversprechend: Ein durchschnittlicher Junge erfährt, dass er Teil eines Experiments ist, bei dem das Sperma von Nobelpreisträgern zur Züchtung von Genies verwendet wurde. Eine spannende Ausgangssituation, sind die Handlungsmöglichkeiten doch so vielfältig. Wird ihm dieses Wissen das Selbstvertrauen geben, etwas unerhörtes zu tun? Erst einmal macht er sich, begleitet von zwei Freunden, auf die Suche nach seinem Vater.

Nachdem ich das Buch zur Seite legte, fragte ich mich, warum Wells diese Geschichte geschrieben hatte, warum 322 Seiten gefüllt wurden. Es passiert so viel, auf der Reise durch Amerika, und trotzdem hinterlässt das Buch ein schales Gefühl. Es muss ja nicht immer eine Lehre aus der Geschichte geben, doch ein Motiv oder Motivation sollte doch zu finden sein. Verstärkt wird dieses Gefühl durch die teilweise holzige Sprache. Auch an abgedroschenen Metaphern mangelt es nicht. Ein Beispiel:

Die größten Komplexe hatten aber die Menschen, die im Pine Tree Trailerpark draußen am Stadtrand hausten. Es waren Verrückte, Verlierer oder kaputte Familien, und selbst die meisten Kinder wirkten seltsam verstört, mit raspelkurzen Haaren, schlechten Zähnen und einem debilen Gesichtsausdruck, den man nur bekam, wenn einem das Leben die Ungewissheit ins Gesicht getackert hatte.

Auch wenn ich noch nie einen Trailerpark betreten habe, wirkt diese Beschreibung auf mich weniger der Realität als Filmen wie 8 Mile entsprungen, und tatsächlich wird Eminems Geschichte immer wieder aufgegriffen. Namedropping, in Büchern im speziellen, empfinde ich doch als sehr billige Methode, sich mit dem wissenden Leser zu verbünden, sich durch das Fallenlassen der Reizworte die Coolness der Marken anzueignen. Einmal wird beispielsweise erwähnt, dass Anne-May eine Ray Ban Sonnenbrille trage. Was soll uns das sagen? Es gibt so viele verschiedene Modelle dieser Marken, dass dieser Begriff der Phantasie kein bisschen weiterhilft. Durch das Namedropping kann der Autor mit wenigen Sätzen Figuren erschaffen wie Anne-May, die rätselhafte Schöne, doch sie ist genauso klischeebeladen wie Francis Freund, ein Nerd wie aus dem Bilderbuch. Die Hauptfigur Francis ist hingegen einfach nur langweilig. Es gibt so manche unerwartete Wendung, doch nicht immer fügt sie sich logisch in die Geschichte ein. Und so zieht sich die Geschichte hin, um mit einem Finale in Las Vegas mutlos zu enden.

Vielleicht braucht man, um ein guter Schriftsteller zu sein, tatsächlich doch eine gehörige Portion Lebenserfahrung. Wells will nun erst einmal eine mehrjährige Pause vom Schreiben einlegen. Irgendwie bin ich doch gespannt, was danach noch von ihm zu lesen sein wird.

*:  Schwester und Cousin Wells sind in der selben Branche tätig, das relativiert den Mut ein wenig.




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