Studieren ist nicht jedermanns Sache
Es ist 2.52 Uhr und ich liege schon wieder seit Ewigkeiten wach und wühle mich von einer Gedankenschublade in die Nächste, kein Ende in Sicht. Diese Schlaflosigkeit ist leider nichts Neues für mich, ich gewöhne mich allmählich daran. Mein Wecker ist auf 8.22 Uhr gestellt, damit ich morgen was schaffen kann, aber ich weiß jetzt schon, dass ich es vor 10 Uhr nicht hoch schaffen werde, auch wenn die Motivation beim Stellen des Weckers noch so hoch war. Ich merke wie mich das Abtippen dieser Gedanken gerade schon beruhigt, mein Herzschlag, der mir bis eben bis zum Halse pochte, und meine Atmung, die mir gerade noch die Ruhe nahm, sie regen sich ab. Worte als Ventil. Was ist der Grund für all diese Aufregung, was lässt mich seit gefühlten Ewigkeiten Nacht für Nacht nicht mehr schlafen? Die Ursache liegt in mir – der Theorie und in meinen Taten – der Praxis. Sie widersprechen einander, der eine zieht wo der andere schiebt. Der eine geht herunter und der andere klettert empor. Ich studiere mittlerweile im siebten Semester, drei Jahre in dieser einen Stadt. Mein Herz ist schwer, meine Gedanken auch. Ich stehe auf der Stelle und kann mich nicht von diesem Wirrwarr lösen. Immer wieder frage ich mich, was mach ich eigentlich hier? Wofür all das? Will ich das überhaupt? Was will ich denn dann? Wäre ich lieber woanders? Ist woanders denn eine Option? Kann man das machen? Nein, kann ich das machen? Warum bäumt sich alles in mir auf sobald das Thema „Studium“ zur Sprache kommt? Wieso stockt mir das Herz? Wie konnte es soweit kommen?
Ich bin noch so jung, 22 Jahre jung. Ich habe das ganze Leben noch vor mir, wenn es das Leben gut mit mir meint. Momentan spür ich die Güte nicht, nicht vom Leben, nur von meinen Eltern. Sie lassen mich schalten und walten, machen mir so etwas möglich, was ihnen vielleicht nicht vorbehalten war. Das schlechte Gewissen in mir rumort, plagt mich. Ich würdige das nicht, was sie mir ermöglichen. Das ist nicht meine Art, nicht mein Stil. Nie gewesen.
Davon weiß keiner was, meine Eltern vertrauen ihrem schlauen Kind. Warum sollten sie auch nicht? Es hat ja neunzehn Jahre lang zu Hause auch immer alles gut geklappt, was klappen sollte. Ich war stets schlaufüchsig, eloquent, zielstrebig und begabt – das haben immer alle gesagt. Die Noten haben gestimmt und die Pubertät konnte glücklicherweise auch überwunden werden. Alles gute Vorzeichen für die Zukunft. Ja, denkste. Hätte, wäre, könnte… ist aber nicht so. Und das wurmt mich so dermaßen, das macht mich so wütend über mich selber, dass ich ausrasten könnte. Die einzigen, die ein wenig von dieser Problematik kennen, sind meine Freunde. Natürlich nur in Dosen, und nicht so hart gegenüber mir selbst, denn das macht ja irgendwie schwach und klein.
Aber wo ist denn eigentlich das Problem, warum zieh ich das Studium denn nicht einfach durch? Wenn ich das so genau sagen könnte. Das Studium besteht für mich nur zu zehn Prozent aus Dingen, die ich sehr mag, die anderen neunzig Prozent sind und waren eine einzige Plage für mich. Sachen, die ich machen muss aber nicht will. Deshalb auch die fehlende Motivation, das fehlende Engagement. Was sonst im Übermaß vorhanden ist, ist plötzlich aufgebraucht. Da ist überhaupt kein Feuer mehr, dass dafür brennt, alles erloschen. Stattdessen türmen sich die Selbstzweifel, die inneren Vorwürfe, das omnipräsente schlechte Gewissen. All das lässt mich nicht mehr schlafen, es zermürbt mich allmählich. Ich würde so gerne hier weg, etwas anderes machen. Die Stufen des Studiums sind mir zu steil geworden, sie ekeln mich an, lachen mich aus oder sprechen eine Sprache, die ich nicht verstehe. Und es ist mir so bewusst, dass ich privilegiert bin. Das macht es ja so unendlich schwer für mich. Studieren ist nicht selbstverständlich, kostet Geld und ist nicht jedem möglich, der es gerne würde. Aber ich möchte es trotzdem nicht, denn es füllt mich nicht aus, sondern raubt mir den Verstand. So paradox das kling, so wahr ist es. Ja, ich habe lange gewartet mir das einzugestehen, aber nicht aus Undankbarkeit, sondern um dem Ganzen überhaupt eine Chance zu geben. Aber es ändert sich nichts, die Hürde wird nur immer größer. Mittlerweile ist es 3.32 Uhr. Die Nacht verstreicht immer mehr und alles in mir schreit nach einer Dosis Schlaf, aber die Gedanken werden es nicht zulassen. Erst, wenn der Körper so ausgelaugt von den wirren Überlegungen und Problemwelzungen ist, werde ich erschöpft in mich sinken können. So erschöpft am nächsten Tag, dass wieder keine Motivation aufkommen kann, stattdessen nur Wut und Verzweiflung über das Selbst. Wenn ich könnte, würde ich am liebsten alles hier stehen und liegen lassen, und einfach nur weg. Ich bin kein Davonläufer, ich bin ein Durchzieher. Aber ich kann das hier einfach nicht mehr länger durchziehen, so halbherzig. Dabei vergesse ich immer mehr, worin ich gut bin, was mich ausmacht. Und das will ich nicht. Ich habe das Gefühl, am Ende dieser Studienreise wird ein ausgelaugter, unmotivierter Mensch stehen. Ausgedörrt von dieser Zeit der Angst und des Zweifels. Ich möchte das nicht. Ich will so nicht sein. Und im Zweifel für mich selbst.