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Die Königin lebt, es lebe der König!

Text: Spassmacher

Das Jahr 2013 ist noch jung und wird einige Überraschungen bereithalten. Etwa in England: Es dürfte dies das letzte volle Jahr der Regentschaft Königin Elisabeths sein. Gelingt es den Windsors nicht, die Nachfolge in die erfolgreiche Tradition Elisabeths zu stellen, ist die britische Monarchie in Gefahr.



Von außen betrachtet erscheint die Monarchie in Großbritannien wie in Stein gemeißelt. Dabei sitzt der englische Monarch weit weniger fest im Sattel, als man denken könnte. Denn die englische Geschichte ist zu weiten Teilen eine der Entmachtung ihres royalen Herrschers. Angefangen bei der Magna Charta bis hin zur parlamentarischen Monarchie heutiger Gestalt, konnten sich die englischen Könige (mit nur einer kurzen Unterbrechung in den Cromwell-Jahren) nur halten, indem sie – erst dem Adel, dann dem Parlament – immer neue Zugeständnisse machten. König sein, das geht heute nicht viel über repräsentative Pflichtübungen hinaus – und selbst diese letzte Rechtfertigung des Königtums gerät in Gefahr, wenn sich immer mehr Staaten des Commonwealth gegen den englischen Monarchen als ihr Staatsoberhaupt entscheiden.



Das Gespenst der Republik geht um in England – und erscheint vielen Untertanen schon lange nicht mehr als nur zweitbeste Lösung. Den Weg von der Monarchie zur Republik sind viele europäische Nachbarn gegangen, an Vorbildern fehlt es also nicht. Die öffentliche Meinung Großbritanniens schlägt mal mehr, mal weniger zugunsten der republikanischen Staatsform aus. Entscheidend für die Stimmungslage ist ohne Frage die Person des Monarchen. Nur ein umsichtig handelnder, kluger und vor allem vor dem Volk und den politischen Institutionen demütiger König wird sich in der Öffentlichkeit das Ansehen erwerben, welches das Königtum vor allzu rigoroser Kritik und revolutionärer Gefahr schützt und so zur Lebensversicherung für das Königtum wird.



Mit der amtierenden Königin Elisabeth II. hat das Vereinigte Königreich eine solche Monarchin. Gegen Ende ihrer Regentschaft lässt sich sagen: Die Briten sind alles in allem zufrieden mit ihrer Königin. Dass dies nicht so sein muss, zeigen die gefährlichen Auswirkungen der royalen Eskapaden der Königshäuser Schwedens und Spaniens. Gelingt es den Windsors nicht, die Nachfolge in die erfolgreiche Tradition Elisabeths zu stellen, ist auch die britische Monarchie in Gefahr.



Bislang hatten die Windsors Glück. Die vergleichsweise noch junge Dynastie hat sich mit der sechzigjährigen Herrschaft Elisabeths fest auf dem Thron etabliert. Für die öffentliche Wahrnehmung ist die außerordentlich lange Herrschaft in ihrer Bedeutung gar nicht zu überschätzen: Zwei Generationen von Briten kennen überhaupt keinen anderen König. Die Regentschaft überspannt turbulente Zeiten, wie den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, den wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegsjahre, die schmerzhafte Wirtschaftskrise der 70er und 80er Jahre mit Hyperinflation und hoher Arbeitslosigkeit, die rigorose Thatcher-Reformpolitik, die deutsche Wiedervereinigung und die Angst vor der deutschen Übermacht, Cool Britannia der 90er, Kriege und schließlich die Finanzkrise, welche die City seit Jahren schüttelt. Während dieser Zeit haben sich das Land und das einstige Weltreich radikal gewandelt, gingen die Kolonien genauso verloren wie die Schwerindustrie. Die Premierminister wechselten stetig, sogar der einstmals gefeierte Churchill fiel in Ungnade. Die Mehrheiten im Unterhaus änderten sich – doch die verbindende Klammer, die diese Gesellschaft in all den Jahrzehnten zusammenhielt, war Königin Elisabeth. Jeder Brite wusste: Egal was kommt, die Königin würde auf ihrem Posten bleiben. So wurde sie zur zentralen Identifikationsfigur des zum Teil arg gebeutelten Volkes. Die bemerkenswerte Kontinuität der vergangenen Jahrzehnte besteht nicht in der Institution der Krone, sondern in der Person der Throninhaberin.



Die Windsors wissen das. Die Zukunft des englischen Volks hängt nicht am Königtum, wohl aber die der Dynastie. Und wie jede Dynastie versucht auch diese Familie, ihre Stellung zu bewahren. Nach den guten Erfahrungen einer stabilisierenden Wirkung der langen Ära Elisabeths werden die Windsors versuchen, dieses für die Krone so segensreiche Wunder mit der nächsten Regentschaft zu wiederholen.



Kommt dafür ein König Charles (oder George VII.) in Betracht? Die Nummer eins der britischen Thronfolge ist bereits jetzt 64 Jahre alt und könnte bei einer Thronbesteigung in den nächsten ein bis zwei Jahren von vielleicht zehn, vielleicht fünfzehn Jahren Regentschaft ausgehen. Danach wäre ein erneuter Wechsel auf dem Thron nötig. Doch es  sind gerade diese Fluktuationen, welche das Risiko der Instabilität in sich tragen – und welche die Windsors vermeiden wollen.



Überhaupt, dieser Charles: Im Moment mögen seine Beliebtheitswerte hoch sein. Doch wie lange noch? Kaum ein anderes Familienmitglied ist je in vergleichbarer Weise Opfer solch massiver Stimmungsschwankungen der Öffentlichkeit geworden. Seine königliche Würde ist längst im unerbittlichen Mahlwerk der sensationslüsternen englischen Boulevardpresse zerrieben worden. Anlässe dafür bot er zur Genüge: Neben seinen oft hämisch aufgenommenen Meinungsäußerungen zu Architektur und Landwirtschaft, bekannte sich der Kronprinz zu einer außerehelichen Beziehung zu Camilla Parker Bowles, was schließlich zur Ehescheidung führte. Übrigens: Der englische König ist zugleich weltliches Oberhaupt der anglikanischen Kirche, in der trotz ihrer pikanten Genesis unter Heinrich VIII. Ehebruch und Scheidung nicht gerade das theologische Fundament bilden.



Im Gegensatz dazu steht sein ältester Sohn William geradezu als Lichtfigur da. Seine Kindheits- und Jugendjahre verbrachte er unter dem Schutz einer freiwillig eingegangenen Selbstverpflichtung der Presse, auf Berichterstattung zu verzichten. Das hat sich für die Royals gelohnt, bis heute erscheint sein Image makellos. William steht zwar in der Thronfolge nur an zweiter Stelle, er ist aber bereits jetzt die Projektionsfigur sämtlicher royalen Hoffnungen im Vereinigten Königreich. Und vor allem hat er einen entscheidenden Vorzug gegenüber Charles: Er ist jung. Gelangt William bald auf den Thron, könnte ihm eine Regentschaft von vierzig und mehr Jahren bevorstehen – und die Windsors ihre Erfolgsgeschichte, die mit Elisabeth II. ihren vorläufigen Höhepunkt erlebt hat, fortsetzen.



All dies zusammengenommen dürfte der Fahrplan der Windsors folgendermaßen aussehen: Sobald Prinz William Vater eines gesunden Thronfolgers geworden ist, tickt die Uhr. Ihm wird noch eine Frist von vielleicht einem halben, höchstens einem Jahr gewährt werden. Dann dankt Königin Elisabeth ab, Charles verzichtet auf den Thron, und William wird König des Vereinigten Königreichs. Die Krönung erfolgt in der Regel einige Zeit nach der Ausrufung zum König, in diesem Fall wahrscheinlich Anfang 2015. Die Vermählung von Prinz Charles mit seiner Jugendliebe 2005 deutet genau in diese Richtung. Mit ihrer Einwilligung zur Eheschließung dürfte die Königin ihren Ältesten für dessen Thronverzicht entschädigt haben.



Für viele ist diese Abfolge der Dinge undenkbar. Sie verweisen auf das außerordentliche Pflichtbewusstsein der Königin und können sich ihre Abdankung einfach nicht vorstellen. Dabei vergessen sie, dass Elisabeth bereits jetzt auf die 90 zugeht und von einem Andauern ihrer bemerkenswerten körperlichen und geistigen Verfassung nicht zwangsläufig ausgehen kann. Viel schwerer wiegt jedoch die Fehleinschätzung, Elisabeth „klebe“ förmlich am Thron. Dabei bedeutet ihr die Zukunftssicherung der englischen Monarchie und ihrer Dynastie viel mehr als die persönliche Regentschaft. Gerade weil Elisabeth ihr Amt stets ernst genommen hat und in bestmöglicher Weise ausfüllte, wird sie nun umsichtig und nüchtern ihre Nachfolge regeln. Sie weiß, dass ein junger und populärer König mit frischem Elan in der Mediengesellschaft viel mehr zur beständigen Akzeptanz der Monarchie beitragen kann, als eine gebrechliche, alte Königin, die sich ohnehin bei immer mehr offiziellen Anlässen wird vertreten lassen müssen. Niemand würde ihr den Thronverzicht übelnehmen, ist ihre Lebensleistung doch unbestritten. Die Königin lebt –doch der König heißt William.

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