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In Norwegen

Text: appelsiinpiiken

 



Ich komme mit guten Vorsätzen in meine norwegische Familie und möchte von Beginn an alles richtig machen. Im Hinterkopf dabei alle charakteristischen deutschen Tugenden, sprich Sparsamkeit, Pünktlichkeit und Fleiß.



Doch während wir Deutschen gut dreimal soviel Energiekosten zahlen und vergleichsweise nur ungefähr die Hälfte verdienen, stoße ich bereits am ersten Tag auf Verständnislosigkeit und Verwunderung. Hier wächst der Strom offensichtlich auf Bäumen und dass das Wasser in einem Kreislauf immer wieder auf die Erde zurück kehrt, weiß schließlich jedes Kind. Weshalb also den Wasserhahn beim Zähneputzen ausschalten? Es geht ja nicht verloren und es ist doch so schön, bereits beim Betrachten der Zahncreme mit Eisbonbongeschmack ein beruhigendes Rauschen im Hintergrund zu hören. Geputzt wird später.



Das Licht brennt den ganzen Tag. Und die ganze Nacht. Es könnte ja sein, dass jemand nachts auf die Toilette muss. Und bevor derjenige unsanft gegen eine Wand rennt und womöglich die übrigen Hausbewohner aufweckt, schließt man lieber Freundschaft mit dem durch die Tür ins Zimmer dringenden Lichtstrahl. Offenbar ist bei Skandinaviern die Bildung des Schlafhormons Melatonin nicht abhängig von der Lichtintensität.



Für manche Lampen habe ich bisher noch immer keinen Lichtschalter gefunden. Aber sobald die Sonne hell genug scheint, fällt das Licht in der Wohnung gar nicht mehr auf.



Nach Beschreibung meines begehbaren Kleiderschrankes von daheim, der sich systematisch in drei Kategorien unterteilen ließ (sauber, dreckig aber noch tragbar, dreckig), werde ich mitleidig wie ein erst vor kurzem in die Zivilisation (re)sozialisierter Höhlenmensch betrachtet. Während ich in Deutschland oft noch einen Tag gewartet habe, bis die Waschmaschine richtig voll war, wird Kleidung in Norwegen grundsätzlich nur einmal getragen; selbst Jacken und Hosen wandern an jedem Abend in die Waschküche. Gleiches gilt für Handtücher. In der Bettwäsche darf immerhin eine Woche geschlafen werden, bevor die Bezüge von fünf Personen zusätzliche zwei Maschinen füllen. Die Waschmaschine läuft also mindestens dreimal pro Tag, an sieben Tagen die Woche. Zudem gibt es „finvask skittentøy“, was NIEMALS zusammen mit anderen Kleidungsstücken gewaschen werden darf und deshalb eine Extrarunde in der Trommel dreht. ALLEIN! Nun fragt sich die deutsche Hausfrau, wie und vor allem wo dies alles trocknen soll. Na, im Trockner natürlich! Alles, was nicht auf die zwei Wäscheständer passt, wird in das Gerät geworfen, das meine Mutter immer nur einmal im Jahr zum Trocknen der Daunenwinterjacken benutzt hat. Jener läuft folglich den ganzen Tag und trägt zusätzlich zu den konstanten molligen 24°C im Haus bei. Trotz offener Terassentür. Die Heizung ist ganzjährig in Betrieb.



Doch zurück zur Wäsche: Die Devise „alles trägt sich glatt“ mag in einem Einpersonhaushalt funktionieren, in dem ich das Sagen habe. In einem 5- bzw. nun 6- Personenhaushalt wird alles gebügelt. Außer Handtücher und Unterwäsche. Und meiner Wäsche. Schließlich muss ich bügeln.



Ein Gleiches gilt für die Spülmaschine: Nach jedem Essen wird die Maschine eingeschaltet. Ob nun zehn Teller samt Besteck drin stehen oder nur vier, ist nicht von Belang. Es gibt ja schließlich „kortvask“. Zumindest ist der obere Bereich der Spülmaschine so gut wie immer gefüllt, da hier niemand „sein“ Glas hat, sondern sich für jeden weiteren Schluck ein neues Glas aus dem Schrank nimmt.



Beim wöchentlichen Einkauf werden ca. 2000 NOK ausgegeben, neben den Lebensmitteln unter anderem für Kosmetik- und Waschartikel. Nachfüllseife ist ein Fremdwort und wird stattdessen jeden Samstag in neuen, unhandlichen Kunststoffbehältern gekauft. Einkaufskörbe – in welcher Form auch immer – könnten den Eindruck erwecken, in diesem Haushalt wird recycelt, und vorsichtshalber gar nicht erst benutzt. Anstelle die Waren in Körbe zu packen und nur einmal zum Auto zu laufen, werden an der Kasse stets 12 Plastiktüten gepackt (welche zwar extra kosten, aber offensichtlich nicht im Verhältnis stehen zu den nach jeweils zehn Waren aufgeführten Mehrwertsteuern) und der Gang zum Auto mehrmals zurück gelegt. Aber wehe, wenn ich dem Kleinsten mit fünf Blatt Toilettenpapier den Po abputzen möchte!



Immerhin zeigt sich die Familie bemüht, was die zukünftige gesunde Ernährung betrifft. Mit meinem Erscheinen beginnen sie Salat zu kaufen und mehr Gemüse zu essen. Abgesehen davon, dass in Norwegen alles (selbst das Mineralwasser) mit Konservierungsstoffen versetzt zu sein scheint, sind die Kinder bereits von der Vielzahl der Vitamine in einem Eisbergsalat abgeschreckt. Letzterer steht wirklich nur als eine Schüssel voller Salatblätter auf dem Tisch (meine Frage nach Olivenöl und Balsamico war erfolglos, kennt man offenbar nur aus dem Italien-Urlaub), lässt sich nur mit Schinken, Käse und Ketchup verspeisen und weil die Kinder so brav und gesund gegessen haben, dürfen sie zur Belohnung in die Süßigkeiten-Schublade greifen. Oder eine extra „brødskive“ mit „Nugatti“ essen. Nein, Nugatti ist nicht Nutella, auch wenn es farblich zunächst eine solche Assoziation zulässt. Nugatti besteht NUR aus Zucker und Fett und ist, um es annähernd essbar zu gestalten, mit Aromen und Farbstoffen zugesetzt. Ich sehe keine Suchtgefahr.



Während ich in Deutschland noch penibel darauf geachtet habe, Lebensmittel ohne „E´s“ zu kaufen, versuche ich nun, den Blick auf die Zutatenliste zu vermeiden, um nicht im gleichen Atemzug die Pickel auf meiner Haut sprießen zu spüren. Gibt es Langzeitstudien zum Abbau von Giftstoffen im Körper?



Ich beruhige mich mit dem Gedanken, dass alle Norweger trotz Nugatti groß und stark geworden sind, im Winter offensichtlich nicht frieren und ein Trampolin im Garten stehen haben.



Auf ein Jahr voller Erfahrungen!



 

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