Die lustigste Geschichte aller Zeiten
Kommen zwei Männer zum Arzt. Geht der erste ins Sprechzimmer und sagt: „Herr Doktor, ich hab diesen Schmerz im Kopf.“ Der Arzt gibt ihm ein Rezept. Dann geht der zweite Mann rein und sagt: „Herr Doktor, ich hab diese Schmerzen im Bein.“ Und dann folgt diese fette Hammerpointe, die den Leser förmlich vom Stuhl haut. Ja, so sollte es klappen. Das müsste endlich den Erfolg bringen, auf den ich schon so lange hinarbeite. Lyrik habe ich schon durch, politische Kommentare habe ich ausprobiert, mit geistvollen Betrachtungen zur aktuellen Kunst habe ich experimentiert. Ich schrieb Berichte, Reden, Grußkartentexte, Aphorismen, Kurzgeschichten und Biographien. Doch bislang: Alles ohne Erfolg. Jetzt also Witze.
Schon als Kind brodelte es in mir, ich sehnte mich nach einem Ausdrucksmittel. Ich wollte schreiben. Mit der Einschulung erhielt ich endlich das Handwerkszeug, das ich brauchte, um die Ungerechtigkeiten meiner Eltern anzuprangern und einer breiteren Öffentlichkeit (meinen Großeltern) bewusst zu machen. Ich nagelte selbstgeschriebene Thesen an meine Zimmertür, darunter die bahnbrechende Erkenntnis, dass Kinder mehr Fernsehen bräuchten. Zugegeben, diese frühesten Arbeiten entbehren noch der anspruchsvolleren Buchstaben vom hinteren Teil des Alphabets. Auch ist der Aufbau der Texte regelmäßig recht einfach gehalten. Mein Talent entfaltete sich erst allmählich, wie eine sich öffnende Rosenknospe.
Gymnasialzeit. Nun war mein Stil schon elaborierter, ließ keine Zweifel mehr an meiner Brillanz. Die Schülerzeitung kämpfte gerade mit dem Tod. In ihren letzten Zügen sprang ich der verbliebenen Rumpfredaktion zur Seite und steuerte als neuer Star-Kolumnist scharfsinnige Beobachtungen über die zwei-Klassen-Gesellschaft an unserer Schule bei. Damit brachte ich selbst die linksten Lehrer gegen uns auf und verpasste der Zeitung den Todesstoß. Offensichtlich hatte die herrschende Kaste eine umstürzlerische Kraft in meinem Wort gefunden. Mir wurde klar, dass mein Genie eine scharfe Waffe ist und Umwälzungen provozieren konnte.
Mein Ersatzkanal wurden die Leserbriefspalten der Lokalzeitung. Mit meinen diversen Arbeitspseudonymen deckte ich das gesamte Meinungsspektrum in der Stadt ab und bestritt die Auseinandersetzung zur neuen Umgehungsstraße praktisch im Alleingang. Ich habe mit all dem Schreiben keinen Pfennig verdient. Doch die demokratische Diskussionskultur verdankt mir viel.
Das Internetzeitalter bedeutete für mich: Unendliche Publikationsmöglichkeiten und eine grenzenlose Öffentlichkeit. Längst wusste ich, dass ich Autor werden würde. Sicherheitshalber studierte ich BWL. Das World Wide Web breitete sich rasant aus, und ich möchte hier nur andeuten, dass das exponentielle Wachstum der Anzahl der Websites proportional ist zur Anzahl meiner Texte in ebendiesem Netz. Ich bin fleißig, das Internet ist durchsetzt von meinen Arbeiten. Mein künstlerischer Ausfluss ist nicht zu hemmen. Ich habe mit all dem Schreiben bis jetzt keinen Cent verdient. Ich bin Künstler.
Nach dem Studium nahm ich einen Bürojob an – nur übergangsweise, bis zum Durchbruch. Und der steht jetzt unmittelbar bevor. Das humoristische Fach habe ich bisher immer vernachlässigt. Wie blind ich war! Wie stolz! Dabei habe ich völlig verkannt, dass ich über das Vehikel des Humors die Massen erobern kann. Beißende Kritik umhüllt der Witz mit einem Mantel der Gefälligkeit, der Harmlosigkeit – ohne jedoch vor den Eliten einzuknicken. Doch hängt die Wirkung an der Pointe, hier zeigt sich die wahre Meisterschaft dieser Disziplin. Sagt also der zweite Mann zum Arzt: „Herr Doktor, ich will das gleiche Rezept wie der Mann vor mir.“ Darauf der Arzt: „Aber Sie haben doch gar keine Kopfschmerzen!“ Darauf der Mann: „Ja, aber was man nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben.“