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Von der Jugend, der Deutschen Sprache und Liebesbriefen

Text: SebaSeb

„Früher war alles besser“ – eine gewagte These – der ich als zwanzigjähriger Student schon rein aus Prinzip nicht zustimmen kann. Aus der Perspektive einiger geschätzter älterer Herrschaften mag vielleicht die ein oder andere neumodische Errungenschaft, wie zum Beispiel das Navigationsgerät, als völlig überflüssiger Quatsch wahrgenommen werden, nicht zuletzt weil die von Petra, Gertrud oder Dieter meist mehr oder weniger sicher ans einprogrammierte Ziel geführt werdende „Navi-Generation“ dadurch ja ganz und gar den Orientierungssinn verliere. Nun, ich gebe offen zu, selber eher auf ein schepperndes Stimmchen zu hören, das vermeintlich den richtigen Weg kennt, als den Straßenschildern zu folgen, ohne mir den Weg im Vorhinein einmal auf der Karte angeschaut zu haben. Doch im Großen und Ganze fahre ich sehr gut damit.



In den letzten Tagen aber musste ich mir schweren Herzens eingestehen, dass ich meine trotzige Haltung gegenüber der „Früher-war-alles-besser-These“ für einen Punkt aufweichen muss – nämlich den, die deutsche Sprache betreffend. So viele Jugendliche können kein Deutsch mehr! Für die „krasse“ Sprache, die ich als Lehramtsstudierender in Schulpraktika, in meiner eigenen Schulzeit oder auch auf der Straße höre, muss ich mich fremdschämend an den Kopf fassen! Und hier kommt der Hörer noch einigermaßen glimpflich davon, denn die deutsche Rechtschreibung wird ja erst auf dem Papier interessant. Aber da kann man das Ausmaß schon erahnen, wenn man diesen Wortakrobaten ein Blatt unter die Feder legen würde. Diese Erfahrungen haben mich nachdenklich gemacht, nicht zuletzt weil ich selber bekennender Liebhaber der Deutschen Sprache bin: Warum scheint es so, als ob sich die Sprachkultur vor allem in unserer Generation langsam aber sicher in Luft auflöst? Und warum scheint es so, als ob die Liebe zum korrekt und eloquent gesprochenen und geschriebenen Wort allmählich verlischt?



Teil des Erklärungsversuchs sind sicherlich die Medien. Grundsätzlich find ich es in Ordnung, wenn Sendungen, die für Jugendliche produziert werden, versuchen, sich ein wenig am „Sprach-Slang“ der Generation zu orientieren. Welche Ausmaße das aber annehmen kann, zeigt eine Sendung im Spartensender „einsplus“. Hier faselt die Moderatorin anscheinend völlig konzeptfrei so jugendlich, dass man das Gefühl haben könnte, für jeden Satz, der den Regeln der deutschen Syntax folgt, verliere sie drei Zuschauer an den Bildschirmen. Hier hat man das Gefühl, dass alles was auf der Welt, mindestens auf jeden Fall das, was „die Jugend“ tangiert, unvorhersehbar und überraschend passiert, nur noch „krass“ ist. Das wahnsinns Adjektiv „krass“ wird da zu einem gierigen Laubsauger, das – ohne dass es jemandem auffiele – alle möglichen Synonyme verschlingt. Nicht zu vergessen den großen Bruder von „krass“, das Wörtchen „geil“. Wer aufmerksam war, wird feststellen, dass die Steigerungsformen, wie es Dieter Bohlen zum Beispiel schon richtig vormacht, gerne mit dem Attribut „mega“ gebildet werden – sprich „mega geil“. Durchaus ist auch eine Kombination wie beispielsweise „mega krass“ oder auch „krass geil“ denkbar. Dass die deutsche Sprache aber vor möglichen Synonymen nur so strotzt, scheint dabei wenn überhaupt peripher zu interessieren. Und das ist wahnsinnig schade! Es ist paradox, dass solche Sendungen im Kern bestimmt den Anspruch an einen „Bildungsauftrag“ haben – aber die „Sprachbildung“ betreffend, die meiner Meinung nach das grundsätzlichste Bildungsgut ist, kann man diese Sendungen nur milde belächeln. Und da möchte ich gar nicht erst anfangen bei Kindersendungen, in denen lustig bunte Wesen nicht einmal klare Wörter, geschweige denn klare Sätze artikulieren können. Ich meine, dass es ein Trugschluss ist zu glauben, dass krasse Jugendsprache Jugendliche eher an die Fernsehbildschirme zieht, als „sanftes“ und „normales“ Deutsch – die jugendlichen Themen würden immer noch authentisch und zeitgemäß präsentiert werden.



Dass man doch eher die große Pause herbeisehnt, als sich in der Schulstunde mit Interpretationen der deutschen Literatur-Klassiker auseinanderzusetzten, kann ich hier und da bestimmt nachvollziehen. Aber wie Goethe, Schiller und Konsorten kunstvoll und scharf überlegt Wort für Wort aneinanderreihen, Redewendungen einsetzten, Stilmittel benutzen, ist beeindruckend und in jedem Falle nachahmenswert. Aber das scheinen nur wenige beeindruckend und nachahmenswert zu finden. Und dann frage ich mich, wo Jugendliche an anderer Stelle mit der deutschen Sprache in Kontakt kommen und vor allem die deutsche Sprache schreiben und sprechen lernen.



Dabei ist es unglaublich wichtig, sich gerade in der heutigen Zeit eloquent ausdrücken zu können. Jeder junge Erwachsene muss Bewerbungen schreiben, Telefonate mit Führungspersönlichkeiten in Institutionen und Firmen führen, Vorstellungsgespräche bewältigen – sich eben gemäß dem Anlass gewählt ausdrücken können. Und ich bin mir sicher, dass so mancher Misserfolg nicht an der Sympathie oder am Können des Bewerbers scheitert, sondern am Problem nicht richtig Deutsch sprechen zu können. Wie „Kleider Leute machen“ machen noch stärker die Sprache und die Ausdrucksweise Leute. Oder um es mit den Worten von Sir Francis von Verulam Bacon, einem englischen Philosophen aus dem 16 Jahrhundert, zu sagen: „Die Sprache gehört zum Charakter des Menschen.“



An dieser Stelle sei nochmal deutlich gemacht, dass ich nicht finde, dass Jugendliche sich nicht mehr „normal jugendlich“ unterhalten dürfen, sondern ich meine, dass Jugendliche – eben wenn sie mit entsprechenden Menschen zu tun haben oder in entsprechenden Situationen sind - auch dementsprechend sprachlich agieren können sollten.



Ich kann nicht verstehen, wie es manchen Menschen (in dem Fall nicht nur Jugendlichen) offensichtlich so egal ist, was da aus ihren Mündern kommt. Ich kann nicht verstehen, wie man die einfache Unterscheidung zwischen „dass“ und „das“ nicht beherrschen kann oder noch viel schlimmer sagt, dass einem das völlig egal sei. Ferner kann ich ebenfalls nicht verstehen, dass man „wie“ und „als“ nicht auseinander halten kann. Und das sind ja nur „i-Tüpfelchen“ im Wirrwarr der deutschen Sprache.



Nicht besser machen das „Deutsch-Problem“ die Kurznachrichtendienste für Mobiltelefone. Da sind so manche Unterhaltungen so sehr verschlüsselt, dass man das Gefühl haben könnte, man hätte vergessen das neueste Update der Deutschen Sprache herunterzuladen, um eine korrekte Darstellung geboten zu bekommen. Ich gebe gerne zu, dass ich auf Zeichensetzung und Groß- und Kleinschreibung bei solchen Nachrichtendiensten selber nicht allzu großen Wert lege, aber im Kern sind meine Sätze grammatikalisch richtig. Und ich befürchte, dass wir, die wir wenigstens noch auf die Grammatik achten, ein dezimiertes Grüppchen sind, innerhalb der „Isch geh Bushalde“-Masse. Mein Blick bleibt hier nicht beschränkt auf die korrekte Reihung von (im Idealfall) richtig geschrieben Wörtern, sondern ich sehe mit mulmigem Gefühl in der Bauchgegend eine andere Auffälligkeit: Die breite Palette an Smileys oder auch „Emotions“, die wild in den Satz eingebunden werden können (dazu existiert im Übrigen im Moment noch kein Regelwerk, in welcher Satzfunktion diese Verwendung finden dürfen), verschlimmern die Situation um die Kunst der deutschen Sprache noch weiter. Denn die große Kunst ist es doch, ganz ohne zwinkernde Smileys ironische Sätze zu formulieren, die dann beim Gegenüber ganz klar als Ironie verstanden werden. Jetzt kann man aber völlig ohne große Anstrengung, also ohne sich überlegen zu müssen, wie ich jetzt dieses Satz am besten formuliere, dass klar wird, dass ich das ironisch und nicht ernst meine, praktisch jede plump daher geschriebene Aussage glasklar als „Achtung – ironisch gemeint“ eben mit einem Smiley kennzeichnen. Und wieder muss ich feststellen, dass der Kabarettist in manchen Jugendlichen dadurch völlig verloren geht – ganz davon abgesehen, dass das benötigte Vokabular sich ja wie oben bereits beschrieben um „krass“ und seine Steigerungsformen bewegt.



Die Folge daraus ist, dass man als junger Mensch nun meinen könnte, die gesprochene Sprache sei selbstverständlich auch die Sprache, die geschrieben wird. Man kann sich jetzt gut vorstellen, wie E-Mails oder Bewerbungsschreiben aussehen, die beispielsweise an „wichtige“ Personen versendet werden. Dass es, nebenbei bemerkt, gar peinlich sein kann, sich in normalem Deutsch in so manchen Jugendlichen Kreisen zu verständigen, sagt doch weiter so einiges aus.



Die steile These, mit der ich zum Ende komme, warum die Jugend nicht mehr richtig Deutsch kann, ist die folgende: Nicht zuletzt weil fast keine Jugendlichen mehr Liebesbriefe schreiben, geht die deutsche Sprache leise flöten. Meine Großmutter erzählte mir neulich, wie ihr Vater ihrer Mutter Woche für Woche ein Gedicht schrieb. Und auch in der Generation meiner Eltern war es Gang und Gäbe reizendes Briefpapier mit gefühlvollem Inhalt zu füllen, bis hin zur „Ja – Nein – Vielleicht – Frage“. Diese Generationen haben das andere Geschlecht nicht (nur) durch – ich übertreibe plump – schnelle Autos, Geld und gutes Aussehen beeindruckt, sondern vielmehr durch die Sprache! Wieviel Blätter mussten sich in den Mülleimer katapultieren lassen, weil die perfekte Formulierung für die Angebetete oder den Angebeteten noch nicht gefunden war. Es ist doch nur nachvollziehbar, dass die, die die süßesten zu Tränen rührenden Briefe schreiben konnten, die begehrtesten Mädchen und Jungen waren. Um einen Satz aus dem Film „what a man“ zu zitieren, den zwei ältere Damen über einen Fetzen Papier sagen, den „Alex“, der Protagonist, seiner Angebeteten überreicht: „Wer schreibt heute noch solche Briefe“. Und offenbar ist es so. Per SMS Beziehungen zu schließen und zu beenden, ohne groß auf die Wirkung der verwendeten Formulierungen und Wörter zu achten, scheint der Normalfall geworden zu sein.



Das Zitat des Bekannten Schriftstellers Oscar Wild „Das Leben ist zu kurz, um Deutsch zu lernen“ ist bestimmt richtig – aber so mancher Jugendlicher sollte dies eher als Motivation sehen, endlich damit anzufangen – zum eigenen Nutzen – und öfter genau zu überlegen, wie man das jetzt am besten formuliert. Aber auch alleine schon aus dem Grund, dass das „Früher war alles besser“ in Bezug auf die Sprache vielleicht hier und da stimmen könnte, sollte sich etwas ändern.



Und dass wir wieder anfangen sollten Liebesbriefe zu schreiben, ist ja völlig klar!



 

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