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Hosen runter

Text: boro
Die drohende Musterung ein Erlebniss, einmalig, wie die erste praktische Führerscheinprüfung.

Ich komme morgens an, im Kreiswehrersatzamt, einem grauen Betonklotz auf der Landkarte mit elektrischen Türen, die zuvorkommend aufschwingen. Durch irgendeinen weiteren Sensor ausgelöst geht das Licht an und weist mir den Weg die Treppenstufen nach oben bis hinter die Glastür rechts. Ich bin zu früh sage ich entschuldigend und mit einem Lächeln, macht nichts erwidert einer der beiden Soldaten hinter der improvisierten Rezeption und malt einen Strich auf ein Blatt Papier. Ohne Worte reicht mir der zweite ein Formblatt, ausfüllen sagt der andere. Ich verlasse das eingespielte Team im Tarnanzug in Richtung Lobby, ein heller Raum, eine Art Wartesaal mit ordentlich aufgereihter Bundeswehrliteratur und einem Fernseher. Die beiden Tarnanzüge tuscheln irgendwas, vermutlich über die Sinnlosigkeit ihrer grünbraunen Tarnanzüge inmitten des großen pastellfarbenen Raumes.



Ich fülle den Zettel aus und warte, lese die ADAC Motorwelt und kurz bevor sich mir die Stärken und Schwächen verschiedener Autobatterien im Einzeltest offenbaren sollten werde ich in ein Zimmer gerufen, Aufnahme der Personalien, Personalausweiß, Führerschein, Sozialversicherungsnummer. Was ich nach der Musterung zu tun gedenke fragt mich der Mann am anderen Ende des Tisches förmlich. Verweigern antworte ich, soso darauf er merklich kühler. Ich bekomme einen weißen Plastikbecher mit meinem Namen und darf wieder in die große Halle die sich merklich gefüllt hat. Meine ADAC Motorwelt ist mittlerweile auch vergeben, egal denke ich mir während sich neben mir ein Klassenkamerad niederlässt.



Der nächste Aufruf, das nächste Zimmer, Fenster sperrangelweit offen und auziehen bis aufs Hemd, Socken und Unterhose. Toilette, Becherchen füllen, abstellen und wieder ins voherige Zimmer. Erneuter Aufruf, Voruntersuchung. Eine Ärztin begrüsst mich überschwänglich, erkundigt sich nach meinem werten Befinden das hoffentlich gut sei. Ich gebe ihr meine gesammelten Atteste, sie staunt und kopiert gleichzeitig, dann misst und wiegt sie mich, ich darf wieder zurück ins kalte Zimmer. Dort treffe ich wieder auf meinen Klassenkamerad und 3 weitere Gestalten in Rippshirt, Unterhose, Socken und Adiletten, ein Anblick der an Ekel Alfred zur Fussballweltmeisterschaft vor der Glotze erinnert. Nun gut, die ADAC Zeitung ist auch wieder mit von der Partie und ich vertiefe mich in das große Winterreifenspecial. Nach und nach piept es von der Decke, abwechselnd, Herr Soundso, Zimmer 117...Herr Undsoweiter Zimmer 118. Herr Soundso und Herr Undsoweiter kommen nach einiger Zeit wieder, ziehen sich wortlos an, murmeln etwas von viel Glück Jungs und verschwinden.



Piep, Zimmer 118. Ein Doktor mit einer Hornbrille begrüsst mich, setzen. Ob er meine Atteste denn schon gelesen hat frage ich ihn, ja ja selbsverständlich fällt er mir ins Wort. Ich verbeiße mir eine Antwort. Dann geht es los, Kinderkrankheiten?...weiß ich nicht mehr, Masern, Windpocken und Röteln bestimmt, bei Mumps bin ich unsicher. Lungenentzündung ja sage ich, steht auch im Attest der Klinik, er nickt nur. Nieren sind ok, Kreislauf auch. Und die Gelenke fragt er. Steht im Attest sage ich, Skoliose im Rücken, Hüftschaden und zweigeteile Kniescheibe, er runzelt die Stirn und tippt etwas in seinen Computer von dem ich nicht weiß ob es gut oder schlecht ist. Die Augen? Aufgrund eines Medikamentes ständig trocken und entzündet, darum die Brille und es steht auf dem Attest der Augenärztin verkneife ich mir.

Soso murmelt er und tippt wieder etwas ein.

Kniebeugen, 20 Stück, hintereinanderweg, Puls und Blutdruck messen, hervorragend entfährt es ihm, und weiter, sehr schön.

Hinstellen, Hose runter, ein prüfender Griff, Hose hoch, anziehen und Diagnose. Er redet etwas von Schäden an Gelenken, Rücken und Augen die er berücksichtigt, aber ausmustern kann er nicht.



Gut, Mist denke ich mir und gehe wieder in das kalte Zimmer, ziehe meine Sachen an, wünsche den Jungs viel Glück und gehe zurück in die erste Wartehalle. Mein Klassenkamerad sitzt dort, T2 hat ihn der Doktor eingestuft, weil er fünf cm zu klein ist, das ärgert ihn sichtlich. Ich werde wieder aufgerufen, zum letzten Mal. In einem Zimmer hinter der dritten Tür rechts im linken Gang erklärt mir ein freundlicher Herr das auch ich mit T2 eingestuft wurde, da ich aber verweigert habe dürfe ich nun wieder heim fahren, die Musterung ist abgeschlossen.



Ich verlasse den Raum, als ich zum letzten Mal die Wartehalle betrete frage ich mich nach den Musterungskriterien der Bundeswehr. Kniescheibe, Hüften, Rücken und Augen kaputt und T2. Der andere ist nur 5 cm zu klein und T2 anstelle von T1. Wahrscheinlich ist der gesamte Fitnesskram nur Farce und alle Prüfungen nur Zeitvertreib, alles hängt bestimmt mit dem berühmten Griff unter die Gürtelinie zusammen, darum ist er T2, wegen den fehlenden 5 cm denke ich mir noch, Ironie muss wohl sein, die Türen schwingen wieder auf.


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