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Karen Duve: Dies ist kein Liebeslied

Text: ena
„Mit sieben Jahren schwor ich, niemals zu lieben. Mit achtzehn tat ich es trotzdem. Es war genau so schlimm, wie ich befürchtet hatte.

(…) Alle andern hatten Freunde und Sex, sie hatten Berufe, gingen auf Parties und Reisen, und freuten sich fünf Tage lang aufs Wochenende. Also ging ich ebenfalls mit Männern ins Bett und mit Frauen in Bars, scheiterte in diversen Jobs, langweilte mich auf Festen und woanders und schnitzte mir sonntags mit einem Kartoffelschälmesser Muster in die Oberarme.“



Schon nach diesen ersten paar Zeilen verstand ich, weshalb meine Freundin mir dieses Buch nur mit ausdrücklicher Warnung geschenkt hatte. Es hatte sie in eine Krise geschmissen, aus der sie gewachsen war und wahre Größe gewonnen hatte, so kitschig es auch klingen mag. Wer dieses Buch liest, der wird das Wort Kitsch wie allergisch meiden. Den Begriff Krise jedoch wird erst recht eine Bedeutung bekommen.

Oder so lässt es einen kalt, je nachdem. Kein Werk für jedermann, doch trifft es dich, dann richtig. Alle andern werden es als Klischee abtun. Vor allem Männer. Und ich bestätige euch allen: was da beschrieben wird, ist nicht Klischee und nicht irgendeine tragische Geschichte, es ist Wahrheit. Für viele.



Auf berührend kalte und distanzierte Weise erzählt die übergewichtige, verzweifelte Anne ihr Leben von Kindheit über Jugend bis zum jetzigen Zeitpunkt, wo die immer noch junge aber gezeichnete Frau sich befindet, nämlich im Flugzeug nach London, um endlich abzurechnen. Mit sich selbst, mit ihrem vergangenen Glauben. Ihrem Glauben, den einen Mann zu lieben, der sie niemals widerlieben wird. Und das tragische am Ganzen: sie hat dicke Beine. Nicht, dass dick sein an sich schlecht wäre, aber mit dünnen Beinen ist es einfacher, nicht geliebt zu werden.



Doch ihr ewigwährender Kampf um die Traumfigur, die sie doch nicht erlangen wird, ist an sich nicht Hauptthema. Auch ihr Außenseiterdasein, das sie sich von Zeit zu Zeit aufbaut, und ihr Mitläuferhandeln sind nur Waffen zum eigentlichen, der Schlacht ums Geliebtwerden, von Eltern, Umfeld und vor allem von Männern. Von dem Mann, den sie liebt.



Verurteilend und zugleich verteidigend stellt sich dieses Buch über alle, die im Anne-Stil handeln – und dies mit Recht. Denn punktgenau erfasst es Beweggründe und Stimmungen zu Taten, die man nicht will und doch begeht, und wirft diese einem mit einer Brutalität an den Kopf, die man nicht schadenlos übersteht. Doch neben dem „da siehst du was du tust, weshalb, und wie grässlich armselig es doch ist“ ist auch Trost vorhanden. Denn die Botschaft, dass man selbst nichts daran ändern kann, ob man geliebt wird oder nicht, dass das halt geschieht und man nichts dazu beitragen kann, nimmt eine Last von den Schultern. Kann man nicht viel leichter durchs Leben gehen, wenn man WEISS, dass man nur sich selbst sein muss und sich zeigen wird, was draus wird?



Ob man nun den Schluss als Neubeginn, als Erlösung deuten will oder man ihm – wie ich - keine Bedeutung beimaßt, ist jedem selbst überlassen. (Empfehlen würde ich jedoch erstes da die Krise sich sonst möglicherweise länger hinzieht als dies gut ist.) Demzufolge werden auch nicht alle denselben Eindruck vom Buch behalten. Lesen, fühlen, leben. Sagt mir doch bitte wie ihrs aufgefasst habt, vielleicht ergibt sich ja eine spannende Diskussion.

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