Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Spermabäume

Text: maar
Berlin ist großartig. Und es riecht nach Sperma.

Großartige Städte haben merkwürdige Seiten. Und eine solche wird heute – von einer ketzerischen Hamburgerin- ein bißchen näher beleuchtet.



Lange Zeit war Berlin für mich ein graues Moloch, eine stinkende Hauptstadtverlagerung, viel zu unübersichtlich, um sich dort zurecht zu finden. Mein begrenzter Kleinstädter-Horizont war viele Jahre einfach zu unterentwickelt, um den Reiz dieser Stadt zu erspüren.

Dank meines Bruders und meines Exes, dem Mitbewohner, kam ich nun das zweite Mal mit neuem Hirn, mit neuer Persönlichkeit nach Berlin.



Der Kulturkarneval, das intime Stammlokal, an die Wand projizierte Probleme mit nicht nachvollziehbaren Lösungen in einer tuffigen Vagina-Bar, nicht-klimatisierte Trams und unheimlich viele perfekte Momente - ein Wochenende, welches dem kleinen Hamburger mal so einen richtigen Berliner zeigte.



Was sich jedoch in schweren Geruchsschwaden immer wieder durch die brütende Stadt zog, war ein chemischer, fast chlorartiger, jedoch nicht gänzlich zu identifizierender Geruch. Einen Tag verbrachten zwei Hamburgerinnen mit Zuständen wie: "Oh, riech mal, da isses schon wieder", oder: "Ey, es stinkt hier, laß mal abhauen".



Und dann kam Samstag. An dem wir aus dem Fernsehturm wankten, ja fast stürzten, an dem wir beinahe vor der Fast-Food-Kette zusammenbrachen, halb verhungert, lechzend nach einem Burger. Und weil's so schön war, sollte im Freien gegessen werden. Der Platz, den wir uns aussuchten, war umgeben von -wie soll es auch anders sein- diesem merkwürdigen Geruch. Doch vor Hunger war es uns egal, wir setzten uns, wir ertrugen alles.

Ich saß nun da, kurz vor dem Exitus auf dieser Bank vorm Fernsehturm, entwickelte meinen Whopper, öffnete meinen Mund (und verschloß meine Nase), um gleich genußvoll hineinzubeißen, da sprudelte es aus ihr -meiner Mitburgeresserin- heraus: "Ich hab's: Das ist eindeutig Spermageruch!"



Mein Körper: Kieferkrampf, Maulsperre, Hungertod.

In meinem Kopf: Schwänze, Körperflüssigkeiten, das volle Pornoprogramm.

Der Whopper in meiner Hand. Das Sperma in meinem Hirn. Die Burgergeschichte war somit gelaufen. Denn von nun an war sie da, diese Assoziation mit der einzig möglichen Lösung, eben jener Körperflüssigkeit. Es konnte nichts anderes sein. Wie hatten wir bloß so lange nicht darauf kommen können?



Meine plietsche Volkskundlerin stellte wenig später die Behauptung auf, es müssen Bäume sein, die diesen "Duft" verbreiteten. Sie hätte da schon verdächtige Genossen entdeckt. Man mag sich vorstellen, wie oft wir von nun an Sperma erschnupperten.



Ein vernebeltes Wochenende in Berlins heißen Gassen. Überall dieser Geruch von mittelaltem Camenbert. Eine ganze Stadt stank nach Sperma! Welch Witz, wenn man sich all die Designerbrillen tragenden Feindbilder ins Gedächtnis rief. Alle eingelullt vom Geruch einer Flüssigkeit, über die sich bis heute noch Frauen stritten, ob sie sie schluckten oder spuckten. Berlins Coolness ad absurdum geführt.







Das Wochenende war hervorragend. Und was blieb, war eine kräftige Nase Sperma.










Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: