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Der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens

Text: matahari
Ich bin mir nicht sicher, ob ich es bereue, damals nicht mit ihm ins Bett gegangen zu sein. Dann wäre es heute wohl nicht mehr so –

Samstag Abend. Um acht holt er mich ab. Wir essen noch eine Kleinigkeit, gehen die paar Schritte in die Tanzschule. Er zahlt, ich lächle, wir wechseln unsere Schuhe. Vorsichtig wagen wir einen ersten Tanz. Noch ungelenk, aus dem Tritt, meine Drehungen haben nicht diesen Schwung, unsere Schritte nicht die gewohnte Präzision. Wir stolpern über unsere eigenen Füße, halten uns lachend aneinander fest.



Ein kleines Bier. Vertraute Gespräche über Studium, Musik, Beziehungen. Unser Verhältnis ist geklärt. Er hat eine Freundin, ist glücklich, damals war ich vergeben, nein, zwischen uns läuft nichts. Alles ist ausdiskutiert und so können wir uns ungehemmt ironisch anflirten.



Langsam wird die Musik besser. Feuriger. Ich taue auf. Wir finden unseren Rhythmus wieder, die Schritte, die Figuren, ich wirbele um ihn herum, er fängt mich auf, geht vor mir in die Knie, dreht mich wieder... Ich schwebe über die Tanzfläche. Oh, wie ich das liebe.



Wir genießen die Blicke der frustrierten Vierzigjährigen, die gerade die Grundschritte beherrschen. Unser Tango ist pure Leidenschaft, die Rumba an Spannung nicht zu überbieten. Beim Paso Doble sieht man den Stierkämpfer vor sich, wie er das rote Tuch schwenkt. Beim Wiener Walzer verschmelzen wir zu einer Einheit; von allen Männern, mit denen ich getanzt habe, führt er den Walzer am Besten.

Wir lachen, schmachten uns an, natürlich nur weil es zum Tango / Rumba / Paso dazugehört, dieses Schmachten. Mein Endorphinspiegel steigt und steigt, ich werde wieder eine Woche high sein.



Damals hatten wir zusammen in den Mai hineingetanzt, es war genauso überwältigend, wir danach so aufgekratzt, dass wir uns nicht zurückhalten konnten – und nur mit Mühe voneinander losreißen. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob es nicht hätte anders laufen sollen... Nein, es ist schon gut so. Richtig viel ist nicht passiert, die Stimmung war eine Weile etwas verändert, aber jetzt sind wir über diese Phase hinweg.



Wir tanzen also, die Salsa ist eigentlich das Beste, ich werde zur Latina, die Umgebung verwandelt sich in eine Szene aus einem Jennifer-Lopez-Video, wir schauen uns in die Augen, und in diesen paar Minuten glaubt uns keiner, dass wir nicht zusammen sind. Danach lachen wir, gehen noch ein Bier trinken und reden übers Uniorchester.



Noch ein Foxtrott. Lässig. Ein langsamer Walzer. Und wieder ein ChaCha. Warum spielt der DJ nach dem ChaCha immer eine Rumba? Es muss wohl so sein.



Und plötzlich ist wieder alles anders. Die Stimmung hat sich um eine Nuance verschoben. Ich merke es daran, dass ich ihm nicht mehr in die Augen sehen kann. Wir hören auf zu lachen, zu reden und zu flirten. Nur noch diese Rumba... „and time, time is not on my side“ Ich liebe den Rhythmus bei diesem Lied, die Spannung. In jedem Schritt ist diese Spannung zu spüren. Ich halte die Augen gesenkt, nur ab und zu schaue ich ihm kurz an, aus den Augenwinkeln. Jedesmal macht mein Herz einen Sprung.



Walzer. Ich liege in seinem Arm und genieße die Nähe. Wie vorher - doch plötzlich alles nicht mehr scherzhaft, mit diesem ironischen Unterton. Sondern wortlos. Die Tanzschule um mich herum mit den Vierzigjährigen und dem gnadenlos witzigen DJ verschwindet. Ich schließe die Augen, lege den Kopf an seine Schulter. Seligkeit für 3:27 min.



Zwölf Uhr. Wortlos verlassen wir die Tanzfläche, wechseln die Schuhe, blinzeln in die klare Nachtluft. An der Kreuzung trennen sich unsere Wege.



„Tschüߓ – „Es war schön“ – „Ja.“ – „Bis in zwei Wochen.“

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