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Notizen vom Tollwood. Heute: Das Publikum war wieder wundervoll

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Das Publikum ist ein eher unbekanntes Wesen. Seine Reaktion auf alles, was sich auf der Popularitäts-Skala jenseits von Robbie Williams bewegt, ist unkalkulierbar. Das Publikum kann jubeln, Zugabe schreien, oder einfach nur quatschen. Die kreisförmige, leere Fläche zwischen ihm und der Bühne gilt als stumme Huldigungs-Einheit – so viel Aussagekräftiger als ein zögerlicher Applaus. Desto kleiner die Fläche, desto größer die Anerkennung. Oft ist das Publikum vergleichbar mit einem lauernden Raubtier. Genauso wahrscheinlich, wie ein Tiger auf „Miez, miez“ reagiert, schert es sich um gut gemeinte Appelle wie: „Kommt doch mal ein bisschen näher“. Entweder die Zuschauer nähern sich von alleine, oder eben nicht. Gelegentlich wollen sie die Band-Beute gar erlegen. Dann fauchen sie Gemeinheiten wie: „Buh!“ und „Ausziehen!“ Dazu fliegen leere Bierdosen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Tollwood-Publikum im SZ-Zelt hat bisher noch keine leeren Bierdosen geschmissen, zum Glück. Zufrieden schnurrt es in dem warmen, hellen Ball vor sich hin und lauscht verzückt und heiter den verschiedenen Bands. Es sieht immer ein bisschen anders aus, je nachdem welche Musikrichtung gerade präsent ist. Reggae verlangt nach Dreadlocks, Metal nach schwarzen, ausgeleierten T-Shirts, Pop nach Röhrenjeans und Ballerinas. Abgesehen von solchen Style-Klischees gibt es noch ganz bestimmten Typen, die auf Konzerten immer zugegen sind, unabhängig von Musikrichtung und Veranstaltungsort. Dazu zählt der Konzert-Proll, der sich eher zufällig auf die Veranstaltung verlaufen hat, rotzvoll ist und vor der Bühne umhertaumelt. Irgendwann steht er wankend neben einem hübschen Mädchen und nuschelt: „Wie hei-heischt du eigentlisch?“. Nach der obligatorischen Abfuhr betrinkt er sich munter weiter und grölt „Shalalaaaaaaa“ in Richtung Bar statt Bühne. Es gibt es den tanzenden alten Mann, der sich ein Stück seiner Rock-Jugend bewahrt hat und mit geschlossenen Augen und schwingenden Armen – wie damals auch schon bei Pink Floyd – die Musik mit dem ganzen Körper nachfühlt. Dabei beansprucht er sehr viel Platz. Vor ihm steht manchmal ein kleines Kind, das ihn mit offenem Mund anstarrt. Papa macht so was nie. Dann gibt es die Girls. Sie sind die jüngsten und modischsten Konzertbesucher, leben in der Regel im Herkunftsort der Band und finden mindestens ein Bandmitglied extrem niedlich (in der Regel den Bassisten). Auch wichtig auf Konzerten: die besten Freunde. Sie stehen immer in der ersten Reihe. Selbst, wenn sie die Musik hassen. Dafür bekommen sie umsonst Bier aus dem Kühlschrank im Backstage. Nach dem Konzert sagen sie Sachen wie: „Echt toll, nur der Sound! Ich weiß gar nicht, was der Mischer da schon wieder angestellt hat.“ Und die Band sagt Sachen wie: „Ja ja, wir haben uns auch gar nicht gehört auf der Bühne.“ Auch wenn völlig klar ist, dass mit dem Sound alles in Ordnung war. Im speziellen Fall Tollwood müssen noch die Hunde erwähnt werden. Hunde gibt es eigentlich nur auf Konzerten in besetzten Häusern. Mit dazugehörigem Straßenpunker am anderen Ende der Leine. Da das Tollwood einen ähnlich idealistischen Ansatz wie ein besetztes Haus hat, gibt es hier auch Hunde. Und wenn sie losbellen sind sie zwar immer noch die kleinsten, aber dafür die lautesten Konzertbesucher.

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