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Tollwood-Kolumne. Heute: Auf ewig Bühne

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Gibt es eine imaginäre Altersgrenze, an der man vom Musiker zum Spinner wird? Mit Mitte Zwanzig in einer Band zu spielen, sorgt schnell für bewundernde Blicke. Ab Mitte Dreißig schlägt die Bewunderung gelegentlich in Verwunderung um. Die Zahl derer, die konsequent und ohne Rücksicht auf Verluste Musik machen, nimmt rapide ab. Tatsächlich eröffnete sich auch dem Publikum im SZ-Zelt im GabiDom bisher zwei Wochen lang geballte Jugendkultur. Mittzwanziger in erfolgreichen Pop-, Rock- und Reggae-Formationen. Nachwuchsbands auf dem Stadt-Land-Rock-Festival. Schülerbands, die noch ganz am Anfang ihrer Karriere stehen. Und nun plötzlich: Ruhe. Gelassenheit. Das Publikum wiegt sich zum Folk-Pop von Triska. Die Stimme der Sängerin streichelt über die verträumten Gesichter. Triska, genau wie der zugehörige Specialguest The Coys, sind alle nicht mehr Mitte Zwanzig. Mitte Dreißig vielleicht und auch ein bisschen drüber. Ihre Instrumente an den Nagel zu hängen, kommt ihnen nicht in den Sinn. Das hat Nachteile. Weil da immer Freunde sind, die mit besorgter Miene fragen, wann man endlich etwas Vernünftiges machen will. Ständig pleite ist. Nie Zeit hat. „Andere Leute bereisen den Planeten, als Musiker bereist man eben die Kellerlöcher dieser Welt,“ sagt Verne, Gitarrist von The Coys. Er wisse mittlerweile so viel über Feuchtigkeitsgrade und Akustik von Beton, er könne Vorträge darüber halten. Was also hält einen Musiker bei der Stange oder besser: Beim Akkord?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Triska - Musik hält länger als bis Mitte zwanzig! „Wir kennen eigentlich fast nur Musiker,“ sagt Heidi von Triska. Eine banale Logik, die trotzdem wahr ist: Musiker sind Freunde und organisieren sich untereinander. So funktioniert Musikmachen jenseits von großen Plattendeals – im SZ-Zelt, in München, in Köln, in Berlin und überall sonst auf der Welt. Deshalb ist Ary, der Schlagzeuger von The Coys auch Schlagzeuger von der erfolgreichen Band Cat Sun Flower, deren Sängerin Heidi wiederum bei Triska spielt. Oder der Sänger von Anna Zoitke der Gittarist von Crash Tokio. Oder Phil Vetter, der ein paar Tage früher mit seinem Solo-Projekt auf der SZ-Bühne stand, Bassist von The Coys. Und deshalb gibt es auch irgendwann keinen Ausweg aus der Musik. Weil ein Hobby zu etwas wird, was über lange Zeit das Leben bestimmt und eigentlich ein Job ist. Oder zum tatsächlichen Beruf wird. Aus einem Freundskreis bildet sich eine Szene und eine Szene wird gelegentlich zum Mainstream – wenn sie es schafft, sich aus ihrem urbanen Kontext zu lösen. Und die Musiker nicht doch irgendwann aufgeben, und sich anderen Dingen widmen: Familie, Karriere und dem Kellerloch im eigenen Haus. Ich erinnere mich daran, wie ich selber am Wochenende mit ConcordeGT im dem hellen runden Ball stand. Das Kribbeln im Bauch, wenn man auf die Bühne geht, die Aufregung, ob der erste Ton sitzt, die heimlichen, fragenden Blicke ins Publikum, dass wie ein Spiegel dasteht und verrät, ob eine Show funktioniert. Nein, ich will kein Haus. Jedenfalls nicht lieber als drei laute Akkorde, die einen guten Song machen. Und drei Musiker, die meine Freunde sind und den Song mit mir spielen. Auch wenn die Welt dann manchmal nicht mehr ist als ein kleines, feuchtes Kellerloch in dem zwanzig Leute mit ihren Köpfen wippen. Oder ein großes, rundes SZ-Zelt auf dem Tollwood-Festival zwischen einem Räucherstäbchen- und Bio-Crepes-Verkauf. Zum Abschied sage ich zu Heidi: „Ich möchte das in zehn oder zwanzig Jahren auch noch genau so machen.“ Sie grinst wissend. Wer sich einmal von der Musik fangen lässt, hat eh keine Wahl.

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