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Sehr geehrter Frank-Walter

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Sehr geehrter Frank-Walter Steinmeier, normalerweise würde ich Ihnen nicht einfach so schreiben. Da gibt es Andere, Nähere, denen ich das schon viel länger versprochen habe. Aber es ist ja Wahlkampf, da drehen alle durch und weil im Wahlkampf wie im Krieg und im Leberkäse alles erlaubt ist, schreibe ich Ihnen jetzt. Also, ich kenne Sie nicht persönlich. Ich interessiere mich dieses Jahr auch gar nicht so fürchterlich für die Bundestagswahl. (Sie doch eigentlich auch nicht, oder?) Irgendwie kann ich noch kaum glauben, dass sie im September stattfinden soll. Jedenfalls, ich lese nicht jeden Artikel über Sie und schalte auch hin und wieder mitten in Ihrem O-Ton im heute-Journal um, pardon. Ich weiß nicht, das sage ich gleich, ob ich Sie wählen werde. Grundsätzlich kommen Sie mir ja sympathisch vor, eigentlich wie ein netter Lateinlehrer. Ich hatte einige nette Lateinlehrer. Sie, Frank-Walter, tragen allerdings die besseren Anzüge, die immer gut zu Ihren weißen Haaren passen und irgendwie habe ich stets das Gefühl, in dem Moment, in dem Sie aus meinem Fernsehbild gehen, lachen Sie verschmitzt in sich hinein. Ich kenne ein paar Menschen, die Ihnen, mal länger mal kürzer, begegnet sind. Diese Bekannten erzählen ungefragt von Ihnen, und zwar tatsächlich nur das Beste, obwohl sie das nicht müssten. Dass Sie, Frank-Walter, eigentlich sehr lustig, locker und klug wären. Einen draufmachen und am nächsten Morgen helfen, die Gläser abzuspülen. Anschauen, zuhören, nicht zu viel quatschen. Solche Sachen. Und diese Bekannten sind leicht verzweifelt, weil keiner der dummen Deutschen zu kapieren scheint, dass Sie also ein ganzheitlich schöner, nahezu lässiger Bundeskanzler wären.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Seit ich diese Beteuerungen kenne, schaue ich ein wenig genauer hin, wenn Sie aufs Rednerpult steigen oder so ein bisschen Wahlkampf machen und irgendwelche Hände schütteln. Und dabei ist mir vorgestern etwas aufgefallen. Wir haben was gemeinsam, Sie und ich. Ich weiß jetzt, warum das bei Ihnen mit dem Bundeskanzler genauso wenig was wird, wie es bei mir mit dem Klassensprecher was wurde: Falsche Fassade! Immer wenn Sie in ein Mikrofon oder zu einer Menschenmenge sprechen, hat man als Zuschauer das Gefühl, Sie hätten eigentlich keine Lust, Ihnen würden andere Sachen mehr Spaß machen, die anderen hätten Sie nur nach vorne geschubst und jetzt müssen Sie eben was sagen, oder zwanzig Arbeitslosen auf die Schulter klopfen. So kommt das an. Sehen Sie, und verzeihen Sie, wenn das jetzt selbstverliebt klingt aber ist ja schließlich mein Brief: Das kenne ich ganz gut. Seit ich mich erinnern kann, haben mich Menschen mit Sorgenmiene gefragt, ob etwas passiert sei, ich würde so schauen. Ob mir was über die Leber gelaufen wäre oder aber dass ich es (also: Theatergruppe, Referat, Flaschendrehen etc.) doch auch sein lassen könnte, wenn ich doch offenbar keinen Bock drauf hätte. Dabei hatte ich auf all diese Sachen Bock, nur meine Oberfläche konnte das nicht ausreichend kommunizieren. Ich wirkte immer, als ginge mir das Ganze gehörig gegen den Strich. Als ein Klassensprecher gesucht wurde und ich sagte: „Naja, ich würde es schon machen.“, muss das für die restliche Klasse geklungen haben wie: „Kommt mir bloß nicht mit so einem Scheiß!“ Wir hatten dann ein halbes Jahr keinen Klassensprecher. Es hat gedauert, bis ich kapiert habe, was die Menschen eigentlich meinen, wenn sie mich in die Seite knuffen und sagen: „Jetzt guck nicht wieder so“. Aber ich kann auch nichts dagegen machen, die Kante bleibt. Nett schauen lässt sich schwer trainieren. Ich bewundere Menschen, die immer so aussehen wie ein geöffneter Freizeitpark. Die von Geburt an ein fröhliches Geschau haben und an denen wie von selbst andere Menschen kleben bleiben, wenn sie durch eine Menge marschieren. An mir bleibt keiner kleben, eher teilt sich die Masse wie von selbst und lässt mich durch. Auf Konzerten ist das ganz praktisch, auf Partys eher anstrengend. Sie, armer Frank-Walter, heißen nun mal leider nicht nur wie etwas ganz Hartes, sie wirken auch insgesamt so widerwillig wie ein Fels im Hamsterrad. Unter uns Ernstheimern: Ihnen ist doch dieses Lächelnmüssen und jovial den Papa geben auch zu mühsam. Diese Gerhard-Schrödersche-Bierlaune nachspielen zu müssen, stelle ich mir fürchterlich undankbar vor. Ich leide geradezu mit Ihnen, wenn ich mir vorstelle, wie Ihnen Ihre Berater jeden Tag die Mundwinkel nach oben schieben und Testbabys auf den Arm legen und Sie dabei locker denken: Na ist doch kein Problem - und dann gehen Sie raus machen alles nach Lehrplan, wirken aber dabei wie ein Roboter und wie: kommt mir bloß nicht mit so einem Scheiß! Unfair, ich weiß. Sie und ich, wir sind eher so Mitteldistanztypen. Wir kriegen die Menschen nicht mit einer schicken Runde Wasserski rum. Die müssen sich schon zwei Stunden zu uns ins Ruderboot setzen, damit wir glänzen können. Ich musste mal für ein Theaterstück die Rolle eines heißblütigen Draufgängers spielen, was komplett in die Hose ging. Ich konnte meinen Text, konnte die Bewegungen und fand die Figur sogar sehr sympathisch, aber war einfach zu weit davon entfernt. Hätte ich diesen Text nur lesen müssen – kein Problem. Aber sobald ich mich dazu bewegte – Lüge. Ich glaube, wenn Sie Frank-Walter, morgen durch einen politischen Zauber Kanzler wären und losarbeiten könnten, wäre alles super. Sie könnten in ihrem dreiteiligen Anzug schön dastehen und ernste Sachen sagen. Die 80 Prozent der Wahlberechtigten, die Sie heute noch etwas farblos, langweilig und unscheinbar finden, würden dann denken: Naja, genau so muss ein Kanzler aussehen, so muss er reden. Leider wird es nie zu dieser Pflichtausübung kommen, weil Sie gerade die Bierzelt-Kür vermasseln. Insgeheim bereuen Sie doch Ihren Entschluss zu kandidieren, nicht wahr? Aber ach, ich kann es mir so gut vorstellen, wie verlockend diese Entscheidung war, schließlich wissen Sie und Ihre netten Bekannten ja, dass es gut gehen würde mit Ihnen. Das reicht nur eben nicht. Ich kann Ihnen keinen guten Rat geben, leider. Nur vielleicht: Hören Sie einfach auf mit den Bierzelten und dem Händeschütteln, das macht alles noch schlimmer. Versuchen Sie es lieber wie ich: Schreiben Sie Briefe an Menschen, die sie gar nicht kennen. Also ziemlich viele Briefe. Nichts für ungut! Liebe Grüße, auch an die SPD. Max Scharnigg

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