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Dem Kreuzzug im Weg stehen: Nicoles mühsamer Kampf für die Linkspartei

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Der Polizist soll auch informiert werden, findet Nicole, und drückt dem Beamten einen Wahlkampfflyer in die Hand. „Bayern wird rot“ steht darauf. Aber der Polizist grinst nur breit, deutet auf die Überschrift und meint genüsslich: „Also DAS werden Sie ganz sicher nicht schaffen.“ Irgendwie ist das schon bitter: Bayerns Linke veranstaltet eine Kundgebung auf der Maximilianstraße, Münchens größter Schickimeile, und nicht einmal die zum Bändigen der Volksmassen herbefohlenen Polizisten scheinen sie richtig für voll zu nehmen. Überhaupt: Wo sind eigentlich die Volksmassen? Die oberbayerischen Spitzenkandidaten haben sich an diesem Nachmittag vor dem Max-II-Denkmal versammelt. Ein Tapeziertisch mit Wahlprogrammen steht herum, ein paar rote Fahnen. Fünf Politiker sind da, vier Journalisten, keine Zuschauer. Es sind vierhundert Meter Luftlinie zum bayerischen Landtag, vierhundert Meter Luftlinie zum Gucci-Laden. Eigentlich ein schöner Ort für eine linke Demo. Aber sie findet auf einer Verkehrsinsel statt. Passanten verirren sich kaum hierher. Die Helfer haben zwar eine Lautsprecheranlage aufgebaut. Die meisten Worte verschluckt trotzdem der Verkehrslärm. Der oberste Spitzenkandidat versucht es. Fritz Schmalzbauer, ein gestandener Gewerkschaftler mit braungebranntem Gesicht, nimmt das Mikrofon. „Wir Linke strotzen vor Selbstbewusstsein“, ruft er seinen Getreuen zu. „Wir schaffen es in den bayerischen Landtag. Die Menschen brauchen uns ja nicht mit einer CSU-Mehrheit wählen.“ Gleich neben ihm steht Nicole Gohlke, 32 Jahre alt, Platz zwei auf der Oberbayern-Liste, die Jüngste im Spitzenteam und muss lachen. Eine Mehrheit wie die CSU? Allein schon der Gedanke wirkt absurd, wenn man auf den Tapeziertisch blickt, die fünf Politiker und die Null Zuschauer.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nicole Gohlke Nicole trägt eine schwarze Jacke, und am Kragen einen Button mit dem Wildschütz Jennerwein darauf. Das sei so eine Art Idol, meint sie, ein richtiger bayerischer Rebell, einer der sich von der Obrigkeit nichts sagen lässt. Nicole hat Kommunikationswissenschaft studiert. Das ist dem Klischee nach das Fach, das vor allem Mädchen studieren, die „was mit Medien“ machen wollen, aber einfach noch nicht wissen was. Einige werden später Society-Kolumnistinnen, andere organisieren Medienevents für Traktorenfabrikanten. Die Welt verbessern wollen nur ganz wenige. Als Nicole studierte, war das anders. An den Universitäten sollte gespart werden, und die Studenten streikten. Nicole begann sich zu engagieren. Als später die globalisierungskritische Bewegung Attac gegründet wurde, war sie dabei. Sie fuhr im Sommer 2001 zu den Protesten gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Genua. „Das war beeindruckend“, findet sie auch heute noch, „ich habe noch nie in meinem Leben so eine große Demonstration erlebt, aber auch noch nie so ein Ausmaß an Gewalt.“ Irgendwann versank die ganze Stadt in Rauch, Nicole musste rennen, um nicht zwischen die gewaltbereiten Demonstranten und die brutal zurückknüppelnde Polizei zu geraten. Seitdem weiß sie, dass diese Art von Protest nicht so ganz ihres ist. Als sich nach den Hartz IV-Reformen einige SPD-Mitglieder aus Protest abspalteten, und ihre eigene Partei gründeten, die WASG, wurde Nicole Mitglied. Das war vor dreieinhalb Jahren. Mittlerweile ist die WASG mit der Ostpartei PDS fusioniert. Das hat den etablierten Parteien Angst gemacht. Bayerns CSU hat die Linken zur großen Gefahr bei dieser Wahl ausgerufen. Sie seien der „Dämon der Politik“, findet Peter Ramsauer (CSU), „Kader-Geschwader“ nennt sie Christine Haderthauer (CSU), und Erwin Huber (CSU) hat neulich gesagt, dass er einen „politischen Kreuzzug“ gegen die Partei starten möchte. Die Linke würde in Bayern im Moment etwa vier Prozent der Stimmen bekommen, heißt es in aktuellen Umfragen. Nicole erzählt, dass am Wochenende sogar ihr roter Wahlkampfbus kaputt gegangen ist. Seitdem tingeln die Spitzenkandidaten zusammen mit einem Mietwagen durch Oberbayern, bauen jeden Tag in Dörfern ihr Tischchen auf und versuchen in Wieling und in Waging alteingesessene Bayern von bisher recht unbekannten Kandidaten zu überzeugen. Und von einer Partei, die noch immer ein Stück weit für das alte DDR-Establishment steht. „Natürlich war die alte PDS nicht gerade eine Aufbruchspartei“, meint Nicole. Und als die Ostdeutsche PDS mit der westdeutschen WASG zur Linken fusionierte, habe man eben auch Kompromisse beim Programm machen müssen. Wenn sie in den Landtag kommt, sagt Nicole, dann möchte sie sich dafür einsetzen, die Studiengebühren abzuschaffen, und mehr in die Bildung zu investieren. Ähnliches fordert aber etwa die SPD auch. „Eigentlich ist das Programm zweitrangig“, sagt Nicole, „Wichtig ist, dass die Partei etwas ausstrahlt und für eine Bewegung steht.“ Damit das mit der Bewegung zumindest optisch untermauert wird, posieren die fünf Links-Politiker an der Maximilianstraße zum Abschluss noch kurz mit einer roten Fahne. Ein Lastwagenfahrer hält ein paar Meter weiter und hupt anerkennend. Schnell sprintet Nicole zu ihm herüber und überreicht ihm einen Flyer. „Des pack ma“, ruft sie ihm zu.

Text: bernhard-huebner - Fotos: Holly Pickett

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