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"Ein paar Nächte habe ich gar nicht geschlafen"

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Tobias (links) und Ludwig sind die beiden jüngsten Mitglieder des Bayerischen Landtags. Hier sitzen sie in der ersten Sitzung neben Alterspräsidentin Barbara Rütting. Als Ludwig Hartmann von den Grünen nach drei Stunden Sitzung eine Pause braucht, wettert drinnen im Plenarsaal des bayerischen Landtags gerade der völlig unbedeutende CSU-Abgeordnete Franz Pschierer aus Kaufbeuren gegen die hessische SPD, und die Bundes-SPD, und die SPD ganz allgemein. Was am Mittag als sachliche Debatte über die Zukunft der Bayerischen Landesbank begonnen hatte, ist nun, als es draußen langsam dunkel wird, zum inhaltlosen parteipolitischen Geplänkel geworden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ludwig Das schlimmste sei, meint Ludwig, dass er vor lauter Plenar- und Fraktionssitzungen gerade kaum dazu komme, die E-Mails seiner Wähler zu beantworten. Es ist sein vierter Tag als Landtagsabgeordneter. Der 30-Jährige lässt sich auf dem Gang in eine Sitzecke sinken. Einen Sessel weiter fläzt Markus Söder, Bayerns Minister für Deutschland, Europa und den ganzen Rest und spielt mit seinem Handy. „Ich bin der einzig richtig Neue bei den Grünen“, sagt Ludwig. Da sei es gerade noch etwas schwer, bei all den etablierten Kollegen neue Impulse zu setzen. Er würde gerne vieles anders machen in der Fraktion. Aber er muss sich erst noch gedulden. Ein paar Tage davor sitzt Links auf fremde Seiten: Tanja Schweiger von den Freien Wählern in einem Cafe wenige Meter vom Landtag entfernt. Die 30-Jährige wurde von ihrer Fraktion zur Parlamentarischen Geschäftsführerin bestimmt. „Es lief wie schon so oft bei mir“, sagt sie und grinst, „ich wurde einfach gefragt, ob ich das übernehmen will.“ Nun muss sie sich um Geschäfts- und Tagesordnungen kümmern, um die Größe der Büros und die Zahl der Mitarbeiter. Es ist kein glamouröser Job, aber ein wichtiger. Weil bei den Freien Wählern bisher keiner der Abgeordneten Erfahrung im Landtag hat, gibt es keine etablierten Kollegen, gegen die sie sich erst durchsetzen müsste. Aber es gibt auch niemanden, der Erfahrung darin hat, eine Landtagsfraktion zu organisieren. Das bedeutet viel Stress.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tanja Als Tobias Thalhammer von der FDP um acht Uhr früh durch den großen Steinernen Saal im Landtag schlendert, hat er schon viel Arbeit hinter sich. Seine Partei bildet die nächsten fünf Jahre die Regierungskoalition mit der großen CSU. Die Positionen zur Umweltpolitik, mit denen die FDP in die Verhandlungen gegangen ist, hat Tobias mitformuliert, bis oft spät in die Nacht hinein. „Da waren ein paar Nächte dabei, in denen ich fast gar nicht geschlafen habe“, erzählt der 29-Jährige. Aber es hat sich gelohnt, findet er. Im fertigen Koalitionsvertrag stehen nun für die CSU bisher fast undenkbare Sätze wie: „Einen Neubau von Kernkraftwerken wollen wir nicht.“ Und Tobias findet: „Wir haben die Erneuerbaren Energien auf eine neue Stufe der Aufmerksamkeit gehoben.“ Im Landtag sitzt Tobias nun ganz vorne in der Mitte, gleich neben seinem Fraktionschef. Er wurde genauso wie Tanja zum Parlamentarischen Geschäftsführer seiner Fraktion gewählt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tobias Es ist Montag vergangene Woche, der neue Landtag trifft sich zu seiner ersten Sitzung. Es geht feierlich zu, wie beim ersten Schultag. Auf der Ehrentribüne sitzen Bischöfe, die EX-CSU-Rebellin Gabriele Pauli trägt eine Frisur wie Sarah Palin und dort, wo sonst der Ministerpräsident auf der Regierungsbank Platz nimmt, liegt heute ein großes Blumenbouquet. Weil die neue Landtagspräsidentin erst noch gewählt wird, leitet die älteste Abgeordnete die Sitzung, Barbara Rütting, 80, von den Grünen. Neben ihr sitzen die zwei jüngsten im Landtag. Links Tobias, rechts Ludwig. „Gleich zwei schöne Männer“, meint die Alterspräsidentin. Tobias muss lachen. Er hat den ehrenvollen Job des Tages bekommen. Als Jüngster muss er die Namen aller Abgeordneten vorlesen, um zu sehen, ob alle da sind, streng nach Alphabet. Tobias steht am großen Rednerpult, vor ihm liegt eine Liste mit 187 Namen. „Frau Renate Ackermann“, sagt Tobias, „Ja!“, ruft die zurück. „Herr Hubert Aiwanger“ – „Joo!“. So geht das minutenlang. Dann soll Tobias den haushaltspolitischen Sprecher der Grünen aufrufen, Eike Hallitzky, ein Mann mit Halbglatze und Vollbart. „Frau Eike Hallitzky“, sagt Tobias. Ein Raunen geht durch den Saal. Die Abgeordneten lachen erst, dann klatschen sie. „Ich bin da mal ganz liberal“, meint Tobias ganz cool. „Das ist aber auch kein bayerischer Name, wenn ich das ganz kurz erwähnen darf.“ In der ersten Sitzung geht es ganz unspektakulär um die neue Geschäftsordnung des Landtags. Tanja hat einen Antrag gestellt, es ist das erste offizielle Schriftstück der neuen Legislaturperiode. Die Sitze in den Ausschüssen sollen in Zukunft nach dem Auszählverfahren von Hare-Niemeyer an die Parteien vergeben werden, steht darin. Tobias hat auch an einem Antrag mitgeschrieben, zusammen mit den Kollegen von den Grünen und der CSU. Er ist fast auf das Wort gleich mit Tanjas Antrag. Statt „Hare-Niemeyer“ steht darin nur „Laguë-Schepers“. Es ist eine Debatte für Feinschmecker der Auszählungsmathematik. Ein SPDler ereifert sich, Tobias’ Antrag hätte die „Grenze der Verfassungsmäßigkeit überschritten“, eine Grüne keift zurück, die SPD betreibe „Geschichtsklitterung“. Tobias legt seine Hände gefaltet auf den Tisch und versucht, möglichst neutral zu gucken. Nach zwanzig Minuten stimmt die Mehrheit für seinen Antrag. Es ist der erst Beschluss des neuen Landtags.

Text: bernhard-huebner - Fotos: ddp, Holly Pickett

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