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Kein Mangel an Mangel

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Wenn man wirklich wissen will, was sich nicht ändert, muss man nur die Tagesschau einschalten. Nicht die von heute, sondern die von vor 20 Jahren. Sie läuft jeden Tag auf dem Digitalsender der ARD - Eins Extra - um 22.45 Uhr. Ich sehe die gerne, weil das Nachrichten ohne Griechenland-Pleite, Wulff oder dem Traumpaar Merkozy sind. Irgendwie beruhigend. Natürlich gab es damals auch Riesen-Krisen: Ende Dezember 1991 brach die Sowjet-Union zusammen. Plötzlich war das gesamte Atom-Arsenal der Roten Armee in der Hand von Boris Jelzin – einem Mann mit Wodka-Problem. In Ost-Deutschland wurde unter dem etwas zynischen Motto „blühende Landschaften" die veraltete DDR-Industrie platt gemacht. Und Rechtsradikale jagten Ausländer relativ ungestört durch Hoyerswerda, Rostock und anderswo.

Interessant ist aber vor allem, was sich in 20 Jahren kaum oder gar nicht verändert hat. Zum Beispiel das Thema Naher Osten: Würde man nebenher bügeln und nicht genau hinhören, wären Signalwörter wie „Zwei-Staatenlösung", „Siedlungspolitik" oder „Friedensprozess" absolut gleich geblieben. Die Politiker sind andere, aber ansonsten könnte man eine Nachricht zu Israel und seinen arabischen Nachbarn heute fast Wortgleich verlesen. Jede Veränderung beginnt eben in den Köpfen. Wenn sich die Denkstrukturen nicht ändern, ist es egal, welche Leute gerade am Ruder sind. Wie es ausschaut, wird sich am jetzigen Status quo wohl auch in den nächsten beiden Jahrzehnten kaum etwas ändern.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Geschichte mit Israel mag vielleicht nicht überraschen. Vor kurzem jedoch stolperte ich in einer alten Tagesschau-Sendung über eine Meldung, die mich wirklich aufhorchen ließ. Miss Tagesschau Dagmar Berghoff verkündete: „Deutsche Industrie warnt vor Fachkräftemangel". Es wurde dabei ein Szenario aufgebaut, dass die deutsche Wirtschaft kurz vor dem Zusammenbruch steht, wenn die Politik keine neuen Rahmenbedingungen schafft. Hatte ich die Meldung nicht schon mal gehört? Genau. Gerade letztens wurde verkündet, dass Deutschland unter einem Fachkräftemangel leidet und das die Politiker unheimlich schnell was machen müssen, um den Wohlstand in unserem Land zu erhalten. Zwei Meldungen, 20 Jahre dazwischen, die gleiche Botschaft: Ohne gut ausgebildete Fachkräfte gehen hier bald die Lichter aus. Da ist sie wieder: die gute alte German Angst.

Nüchtern kann man konstatieren: Es gibt Deutschland noch. Mehr noch: Es geht uns sogar ziemlich gut. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosenzahlen sinken und wir exportieren wie die Weltmeister. Trotz scheinbar viel zu weniger Leute, mit entsprechender Ausbildung. Letztlich steckt hinter der Meldung eine ganz andere Botschaft: Hört nicht auf Panikmacher, lasst euch nicht von Lobbyverbänden irgendwelche Geschichten erzählen. Denn dafür ist das Leben einfach zu kompliziert. Wer kann schon sagen, ob und wie der Klimawandel wirklich zustande kommt. Den EURO-Rettungsschirm mit den Hebeln verstehen noch nicht einmal mehr viele Parlamentarier, die ihn durchwinken. Und wenn uns jemand erzählt, es gäbe Fachkräftemangel, dann müssen wir ihm das wohl notfalls glauben.

Schließlich ist es ganz normal, dass es für Unternehmen zu wenig Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt gibt. Dies sind Experten. Regale im Discounter einräumen kann jeder, komplizierte Maschinenbauteile entwickeln und fertigstellen nur wenige. Sonst wären es ja keine Fachkräfte, sondern moderne Lohnsklaven des Zeitarbeitertums. Der Begriff „Fachkraft" trägt im Grunde den Mangel schon in sich. Also werden auch noch in vielen Jahren deutsche Firmen über den „Fachkräftemangel" sprechen. Unternehmen werden über die schlechte Bildung von Schülern und Studenten klagen. Während Vorstandsvorsitzende ständig neue Gefahren für den Standort Deutschland ausmachen.

Manche Nachrichten werden immer wieder auftauchen. Harmlose, wie die Tipps gegen den Silvester-Kater. Aber auch ernste: Als vor 3 Jahren Präsident Obama die Inaugurationsrede hielt, schaute ich mir am gleichen Tag die Ansprache von George Bush Sr. an. Von 1989. Er erzählte das gleiche wie Obama: Frieden, Chancen, Wachstum, Zusammenhalt. Was soll auch anderes gesagt werden? Bestimmte Aspekte unseres Zusammenlebens werden sowieso nie zufriedenstellend gelöst. Was gut ist. Denn Unzufriedenheit ist der Motor für Veränderung. Komisch nur, dass die Unzufriedenheit sich nicht ändert. Vielleicht herrscht wirklich ein Fachkräftemangel: an Motorenbauern. 


Text: alf-frommer - Foto: Screenshot (ARD)

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