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„Heil euch, liebe Volksgeschwister!“: Wie gefährlich sind Neonazi-Podcasts?

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Als multimediale Anhängsel von Diskussionsforen oder Devotionalienshops verbreiten Neonazi-Podcasts rechtsradikale Botschaften von Hass und Gewalt. Deswegen verbietet die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien deutschen Suchmaschinen, die Betreiberseiten vieler Neonazi-Podcasts als Suchergebnisse anzuzeigen. Die heftigsten Podcasts lauern auf US-Servern, außerhalb des Geltungsbereiches des deutschen Strafrechts. Der Verfassungsschutz schenkt den rechten Webradios bisher keine Beachtung, auch die Wissenschaft hatte sie bisher nicht auf ihrer Agenda. Gemeinsam mit jetzt.de hat die Rechtsextremismus-Expertin Eva Feldmann-Wojtachnia vom Zentrum für angewandte Politikforschung in München nun drei einschlägige Podcasts gehört und analysiert. Thema: die Vernetzung und Breitenwirkung von Neonazi-Podcasts. [b]1. American Dissident Voices Internet Radio[/b] „Wir sprechen für Amerikaner, die an Freiheit statt an Political Correctness glauben, die Qualität über Gleichmacherei stellen. Und die alles dafür tun, Amerikas rassische und moralische Gesundheit wiederherzustellen“, so der Jingle. Die aktuelle Sendung ist ein reiner Wortbeitrag: ein kruder Dreisprung von der familiären Behaglichkeit der Weihnachtszeit, darüber, wie Hollywood und die „Mainstream“-Medien die Vorstellungen von Weihnachten beeinflussen, hin zum schädlichen Einfluss der „jüdisch kontrollierten Medien auf die westliche Zivilisation.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

[b]Eva Feldmann-Wojtachnia:[/b] Die Betreiberseite erweckt einen hochoffiziellen, legalen Eindruck und ist mit der Seite der NPD verlinkt. Diese Seite kann nur für Jugendliche interessant sein, die bereits mit dem Parteiprogramm der NPD vertraut sind und sich für die internationale Verankerung interessieren. Auch dürfte sich Englisch als Einstiegsschwierigkeit erweisen. Die Gefahr, die von dieser Seite ausgeht erscheint besonders für Neueinsteiger und Unentschiedene daher als gering.


[b]2. Radio Wolfsschanze[/b] In der Anmoderation der jüngsten Sendung meldet sich „der Großdeutsche Rundfunk, Radio Wolfsschanze. Hier sind alle deutschen Sender, angeschlossen die Sender des Protektorats Böhmen und Mähren, die Sender des Generalgouvernements…“. Dann kommt ein fiktiver Korrespondent zu Wort: „Adolf Eichmann junior aus den Ostprovinzen“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

[b] Eva Feldmann-Wojtachnia:[/b] Radio Wolfsschanze steht in direkter Verbindung mit einem US-Online-Versand von Hardliner-Nazi-Utensilien. In diesem Zusammenhang könnte die Seite als erkennbar verboten einen gewissen Reiz auf Jugendliche ausüben, die allerdings bereits mit der rechten Szene in Kontakt sein müssen, um tatsächlich solche „Accessoires“ attraktiv zu finden. Da Radio Wolfsschanze auf den Tonfall und die Polemik im Dritten Reich zurückgreift, bleibt zu bezweifeln, ob Jugendliche von heute die historischen Anspielungen überhaupt verstehen und für diese Art der Propaganda empfänglich sind. Es wird ihnen eine hohe intellektuelle Transferleistung abverlangt, nichts erscheint wirklich „cool“ und zeitgemäß, ein direkter Bezug zu der jugendlichen Lebenswelt von heute und ihren Problemen ist nicht erkennbar. Vermutlich überfordert dies die meisten Jugendlichen.


[b]3. Radio für die Freiheit Deutschlands[/b] „Komm von der Schicht und geh zum Kühlschrank. Nimm dir ein Bier und setz dich hin.“ Mit Lagerfeuersound und Lyrics dieser Güte wird das Programm eingeläutet, dann folgt ein sonorer Willkommensgruß: „Heil euch, liebe Volksgeschwister!" In der Sendung geht um Kameradschaft und völkische Nostalgie. „Deutscher Soldat, ich steh vor deinem Grab, mit Efeu bedeckt…“, so der nächste „Song“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

[b] Eva Feldmann-Wojtachnia:[/b] Radio Freiheit hat den Anspruch, auf moderne Weise eine Art Volkssender zu sein. Das Format erinnert von der Aufmachung und vom Niveau an den Volksempfänger der Nationalsozialisten. Es ist stark auf Nachrichten fokussiert, und die werden auch noch unglaublich spröde präsentiert. Radio Freiheit dürfte somit nur für eine kleine „intellektuelle Elite“ von Jugendlichen wirklich interessant und ansprechend sein. [b]Fazit:[/b] „Als Einstiegsdroge zum Rechtsradikalismus sind Podcast denkbar ungeeignet. Dafür müssten sie schon subtiler an die Lebenswelt der Jugendlichen herantreten. Einige Neonazi-Podcasts dürften mit ihrer drastischen Symbolsprache sogar lächerlich auf die Zielgruppe wirken. Die eigentliche Gefahr liegt in der Selbstverständlichkeit der Holocaust-Leugnung durch ein als seriös erscheinendes neues Informationsmedium. Bei manchen Podcasts erschließt sich der rechtsextremistische Hintergrund für Jugendliche nämlich nicht auf den ersten Blick, vor allem, wenn man bedenkt, dass Jugendliche heutzutage eine immer größere Distanz zum Holocaust haben. Ansonsten besteht die Gefahr in erster Linie darin, dass Neonazi-Podcasts versprengten Einzelkämpfern so etwas wie Gemeinschaftssinn vermitteln, und dass daraus unter Umständen neue Netzwerke entstehen können.“

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