Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Der Weltretter

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Mit nassen Socken in der Hand, Schnee auf den Schultern und einer schiefen Mütze auf dem Kopf steht Dario Schwörer im Gasthaus. Sein Gesicht passt zum drahtigen, austrainierten Körper, die Augen zu den Erzählungen, nur das graue Haar nicht so recht zum Rest. Die schiefe Wollmütze lässt ihn komisch aussehen, zerzaust wie einen genialen Professor, oder zerzaust wie einen Schweizer, der seit sieben Jahren zu Fuß, mit dem Rad und dem Segelboot von Kontinent zu Kontinent zieht. Aber wie einen Weltenretter?

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eine Kanne Tee, eine Portion gebratene Nudeln mit Ei, ein Teller Nachschlag. Von Kathmandu geht ein kleiner Flieger mitten in den Himalaya nach Lukla, von dort wandert man fünf Tage steil bergauf, bis man schließlich in einem Gasthaus in Dingboché, einem kleinen Dorf in der Khumbu- Region Nepals, auf 4500 Metern an einem Tisch sitzt mit Dario Schwörer. Er ist 41 Jahre alt, er schweigt und hört zu, er isst, und fängt langsam an zu erzählen. Die vielen Hunde - das sei schon beschwerlich gewesen. Immerzu rannten sie dem Mountainbike hinterher, liefen vor das Rad oder schnappten nach den Waden, sagt er, und schüttelt dabei langsam den Kopf, der Blick geht in die Ferne. Die Schlaglöcher, der Staub, die Hitze, alles kein Problem; wenn man morgens um drei Uhr aufbreche, schaffe man schon ein Stück, den Nachmittag ruhe man aus und gehe früh ins Bett. Aber die verrückten Lastwagenfahrer! Dreimal am Tag, so der Schnitt, ginge es runter in den Straßengraben, wenn die Fahrbahn zu schmal, der Lastwagen zu breit oder der Fahrer beim Überholen zu optimistisch war. Da sei er schon froh gewesen, erzählt Dario weiter, dass er die Fahrradanhänger diesmal auf dem Boot lassen konnte, und froh, dass seine Frau Sabine mit den drei Kindern einige Wochen bei den Schwiegereltern in der Schweiz verbringt. Wegen einer Nierenoperation des acht Monate alten Noé konnte Familie Schwörer nicht gemeinsam von Kalkutta nach Nepal radeln, so wie es geplant war, so wie sie es immer machen, den dreijährigen Andri und die fünfjährige Salina im Anhänger, den kleinen Noé im Tragerucksack. Doch die Zeit in der Schweiz sei auch spannend für die Kinder, so lange, in echten Häusern, mit Steinwänden und Dachziegeln und Garten und Briefkasten, das sei schon was. Es dauert, bis Darios Erzählungen einen Sinn ergeben. Bis die Fahrradanhänger mit den Lastwagen zusammenpassen, das Segelboot mit den Wanderstiefeln, die Sponsorenverträge mit der Armutsbekämpfung. Und die Weltreise mit der Weltrettung. Vor zehn Jahren gründeten Sabine und Dario Schwörer das Projekt "Top to Top" und machten sich schließlich im Dezember 2002 auf eine gigantische Expedition. Der Sarganser Bergführer und die Krankenschwester aus dem Thurgau beschlossen, alle Kontinente und alle Klimazonen zu bereisen - zu Fuß, mit dem Fahrrad und dem Segelboot. Außerdem wollen sie den jeweils höchsten Gipfel eines jeden Kontinents erreichen. Die besondere Herausforderung dieser Weltreise sollte nicht Selbstzweck egozentrischer Extremsportler sein, sondern einen Rahmen für ökologische und soziale Projekte bieten. Einen grünen Pfad wollten sie hinterlassen, keinen eisernen Fußabdruck. Sie haben in den letzten sieben Jahren 35.000 Seemeilen zurückgelegt, 10.000 Kilometer mit dem Fahrrad und haben in 42 Ländern 45.000 Schüler und Studenten besucht. Seitdem das Ehepaar mit Kindern unterwegs ist, entsteht leicht Kontakt zu den Einheimischen, die Kinder spielen gemeinsam und Dario und Sabine werden in das Dorfleben eingeführt. Tahitianer, Argentinier oder Samoaner erzählen von den Schwierigkeiten in ihrer Schule, ihrem Dorf, ihrer Region. Welche Projekte sind sinnvoll, wie können sie organisiert und finanziert werden? Die Schweizer suchen nach Sponsoren, nutzen das Interesse der Medien an ihrer Expedition um in Europa Gehör und Geldgeber zu finden. Mal werden Dorfapotheken ausgerüstet, ein anderes Mal Schulmaterialien angeschafft, Krankenhäuser unterstützt oder solare Entsalzungsanlagen installiert. Und immerimmer wieder besuchen die Schwörers Schulen und Universitäten, um die jungen Menschen für Klimaschutz und einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt zu sensibilisieren. "Neben den konkreten Hilfsaktionen geht es uns darum, den Kindern hier und Zuhause ein Beispiel zu geben", sagt Dario. "Wir wollen zeigen, dass man auch im Einklang mit der Natur große Ziele erreichen kann." Sie erzählen von ihren Abenteuern, führen die Kinder an die Problematik der Umweltverschmutzung heran und lassen die Klassen um die Wette Müll sammeln. Die Kinder verbinden Weltreise mit Müllsammeln mit Klimaschutz und sind begeistert. Den Kilimandscharo zu besteigen oder den Mount Everest, sich einen Winter lang in der Antarktis einfrieren zu lassen, um auch dort den höchsten Berg zu bezwingen. Mit gebrochenem Ruder in einem schweren Sturm auf dem Atlantik ums Überleben zu kämpfen. Die erste Tochter in Chile auf die Welt zu bringen und ihr die Nabelschnur mit dem Taschenmesser durchzutrennen. Jahr für Jahr um den Globus zu segeln, um für Gleichgültige in der Heimat Beispiele zu sammeln, um ihnen zu zeigen, wer tatsächlich und wie genau unter dem Klimawandel leidet, um auf ihre Einsicht zu hoffen und gemeinsame Hilfe zu organisieren, das ist eine Sache. Aber außerdem noch erschöpfte, schuftende Jugendliche in Indien für den Klimawandel sensibilisieren zu wollen, oder einem jungen Sherpa in Nepal erklären zu wollen, warum er seinen Müll nicht am Wegessrand liegen lassen soll, das ist eine andere Sache, da hast du dir was vorgenommen. Die Sherpas leiden, der Weg bergauf ist ein schwerer Kampf. Sie tragen die Körbe, in denen sich die Waren stapeln, auf dem Rücken und spannen einen Riemen um ihren Kopf, sie laufen so von morgens bis abends, im Schneckentempo, alle paar Meter machen sie Pause, weil die Ladung hoffnungslos schwer ist. Und jetzt gehe du hin und sage ihnen, sie sollen bitte den Deckel der Wasserflasche wieder aufheben. Ihr Blick ist leer, auf der Stirn ist noch der Abdruck des Riemens und ihre Augen sind geschwollen... - und doch, Dario findet, dass das alles zusammengehöre, auch so herum will er Verständnis finden. Ursprünglich war die große Expedition auf vier Jahre angelegt, doch heute, nach sieben Jahren, haben die Schwörers gerade die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Das Segeln und das Radfahren und das Laufen, das gehe wie von selbst, aber das Weltverbessern, das brauche seine Zeit, fünf Jahre werden die Schwörers sicher noch auf dem Segelboot leben und unterwegs sein. In der Khumbu-Region in Nepal will Sabine mit den Kindern einige Woche im kleinen Dorf Khumjung verbringen, sie wird als Krankenschwester helfen und Englisch unterrichten. Dario will versuchen den Everest zu besteigen, aber nicht um jeden Preis, nicht bei schlechten Bedingungen. Es gehöre auch zu ihrer Botschaft, sagt er, dass man auf die Natur hören solle - also nur vielleicht auf den Gipfel des Everest. Auf jeden Fall will er aus der gefährlichen Zone, zwischen Camp vier auf 7900 Metern und dem Gipfel, so viel Abfall mit herunterbringen wie möglich. Den ganzen Abfall der Touristen, die hinauf stürmen und eine Spur aus Müll hinterlassen. Selbst ganz oben, so Darios Botschaft diesmal, selbst ganz oben in der Todeszone kannst du die Welt noch verbessern. Niklas Eder ist 20 Jahre alt und hat sich nach seinem Abitur 2009 auf große Weltreise begeben. Momentan macht er Station in Neuseeland.

  • teilen
  • schließen