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„Oh, drei Wochen Bali, schick!“ – „Nein, Mali“, nuschele ich weniger. Dann folgen Sätze von „Ach so, Malle“ über „Ah, was gibt es denn so auf Mali?“ bis zu seltener Selbstverständlichkeit: „Mauretanien, Mali, Niger, Tschad. In Erdkunde war ich gut.“ Meine erste „Begegnung“ mit Mali geschah während eines Praktikums. Ich sollte eine Länderrisikoanalyse entwerfen. Das Wort ein Faszinosum, Mali in Zahlen hingegen kein sonderlich attraktives Land. An fünftletzter Stelle im Human Development Report von 2007 liegt die Lebenserwartung bei 48 Jahren, ein gutes Viertel der Erwachsenen kann lesen, 40 % der Menschen haben keinen Zugang zu aufbereitetem Wasser, ein Drittel der Kinder unter fünf Jahren ist un- tergewichtig, 77% der Bevölkerung leben unter zwei Dollar am Tag. Dass man in Afrika sei, merke man zunächst an der Luft, nicht der Entwicklung, schwärmen viele Mali-Touristen. Sobald man das Flugzeug verlasse, sei die Luft – DIESE LUFT! –der stärkste Eindruck. Bei meiner ersten Ankunft in Mali bin ich tatsächlich beeindruckt. Weniger von der zum Schneiden feuchten Luft, als vielmehr von der Größe der US Air Force-Maschine auf dem Rollfeld. Die militärische Präsenz der USA unterstützt nicht das Engagement für die Zivilgesellschaft oder die Arbeit der Missionare. Vor dem Drogenhandel soll Mali gerettet werden und vor einer neuen Front von Al-Qaida im islamischen Maghreb. Für den Norden des Landes besteht derzeit aufgrund verschiedener Entführungen eine Reisewarnung. Ich werde Timbuktu, la Mysterieuse, einst geistig-kulturelles Zentrum des Islam, nicht zu sehen bekommen. Abgesehen von der Air Force rettet Obama Teile des malischen Selbstbewusstseins, sein Konterfei strahlt auf jedem fünften T-Shirt und auch auf den traditionellen Bubus.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bild: afp Statt nach Timbuktu, fahre ich nach Bamako, la Belle. Die Schöne am Ufer des Niger, macht ihrem Namen nicht an allen Ecken die Ehre. Zwei Dinge zeichnen die am schnellsten wachsende Hauptstadt des Kontinents aus: Staub und Straßenverkehr. Taxibusse, Mopeds und Roller, Autos vom alten Peugeot bis zum neuen Q7, Fahrräder, Handkarren wälzen, hupen und stinken sich in einer ihnen eigenen Logik durch die Straßen. Diesem Dilemma versucht China abzuhelfen, indem es eine dritte Brücke über den Niger baut, um damit die bisherigen Hauptverkehrsachsen vor Überlastung und malische Bauarbeiter vor Tatenlosigkeit zu retten. Auch Libyen rettet Mali und schafft Arbeit, derzeit ebenfalls mit zwei großen Baustellen in Bamako: einem Hotel und dem neuen Regierungszentrum. Wobei dieses mittlerweile aufgrund seiner Lage mitten in der Stadt – das ist: Staub und Verkehr – niemand mehr so recht möchte. Das aktuelle liegt auf einem beschaulichen Hügel. Zukünftig wird Libyen ländliche Gebiete retten. Es hat für 50 Jahre 100 000 Hektar Bewässerungsland im Nigerdelta, der Reiskammer Malis, gepachtet. Neben Arbeit entsteht hier rettende Infrastruktur: Kanäle, Brücken, Straßen. Ob allerdings ein Pachtzins gezahlt wird oder die Wasserentnahme reguliert ist, steht in den Sternen. Dementsprechend zweifelnd beobachten die Reisbauern die Geschehnisse. Ein Beamter der zuständigen Behörde allerdings wischt Bedenken brüsk beiseite: Mali habe so etwas in den letzten 50 Jahren nicht selbst auf die Beine gestellt und würde das auch in den nächsten 50 nicht können. Eine Hand rettet die andere. Dieses Thema provoziert bei Freunden eine Henne-Ei-Frage der Entwicklungszusammenarbeit: „Gilt es, erst eine Struktur zu etablieren, die 3000 Leute mit Reis versorgen kann oder soll man gleich 3000 Leute mit Reis versorgen?“ Die Lösung scheint einfach: Gleichzeitigkeit. Verzahnung. Immer alles. „Hilfe zur Selbsthilfe“ heißt der Zauberspruch. Dass der Zauber mitunter hinkt, ist kein Geheimnis. Doch Mali ist ein Entwicklungsland par excellence. Arm, aber politisch stabil und reformwillig und also vor Entwicklungsprojekten strotzend. Es geht nicht nur um Landwirtschaft. Zusammenarbeitend wird gerettet durch Wasserversorgung, Dezentralisierung, Bildungsvorhaben, Gesundheitsvorha- ben gegen HIV/ AIDS oder Malaria, Budgethilfe. Nicht alle Beteiligten versuchen, hierbei nur ihre Stelle zu retten. Viele der Grundversorgungsvorhaben leuchten mehr als ein, da der malische Staat kaum über Gelder oder Kapazitäten verfügt, diese selbst zu realisieren. Hierzu zählen auch Schulen. Auf meiner Reise sehe ich einige. Eine Schule besteht aus einem Haus für den Direktor, einem Latrinengebäude und ein bis zwei Klassenzimmerblöcken mit jeweils drei Räumen. Ein Raum stellt die Lernatmosphäre für ca. 100 Kinder dar. Außen steht, dass die Schule der Freund aller sei. Daneben ein Bild schreibender Kinder, Jungen und Mädchen. Wichtig: auch Mädchen. Frauen und Frauenrechte in Mali? Groß. Und groß umstritten. Der Entwurf zur Modernisierung des Familienrechts, das auch die Rechte von Frauen und unehelichen Kindern stärken soll, rief Empörung und große Demonstrationen hervor. Bei einer Wanderung durch die Dörfer im Dogonland im Osten Malis, ruft mir eine Frau zu, ob ich ihr nicht helfen wolle, Hirse zu klopfen. Das sei die Arbeit einer Frau. Nicht dieses Umherlaufen. Ich erinnere eine Busaufschrift in Bamako: die Schönheit des Mannes sei seine Arbeit. Bei den Dogon gilt das für die Frauen. So dürfen sie zur Zeit ihrer Regelblutung nicht im Dorf schlafen, da die Seelen der Ahnen den Geruch nicht ertrügen. Zur Arbeit dürfen sie in dieser Zeit ins Dorf gehen, allerdings ohne zu sprechen. Rokia Traoré, eine malische Musikerin, schwört auf die Kraft der afrikanischen Frauen. Bei einem Konzert der EU zur Feier der 50jährigen Unabhängigkeit spricht sie ihnen Mut zu. Es gebe viele Probleme, aber es gebe auch viele Lösungen. Man solle von Neuem profitieren, ohne das Alte zu vernachlässigen. Dann singt sie ihr letztes Lied und fliegt zurück nach Paris. Man solle lieber nicht so viel Geld für Fünfzigjahrfeiern ausgeben, raunt mein malischer Sitznachbar, sondern Brunnen bohren. Die bräuchten die Frauen. Und das Land. Seit Brecht wissen wir: wenn die Not am höchsten, ist die Rettung bekanntlich am nächsten. Mali wird an allen Ecken und Enden gerettet. Wovor auch immer. Genau genommen, passiert nichts anderes. Die US Air Force rettet den Norden Malis, China rettet Arbeitsplätze, Libyen die Landwirtschaft, die Struktur das Individuum, die Individuen die Struktur, beides die Entwicklungszusammenarbeit. Schulen retten die Kinder, die die Zukunft ihres Landes, Frauen die Ernährung und die Familie, dafür werden sie von Rokia Traoré besungen. Diese Liste ist weder vollständig noch logisch oder unzwei- felhaft, aber bemerkenswert. Vieles wird angestoßen in Mali, manches auch zu Ende geführt. Immer optimistisch. Das ist nicht die Rettung der Welt. Aber die muss ohnehin in anderen Ländern geschehen. Beispielsweise durch die Abschaffung der EU-Agrarsubventionen. Manchmal habe ich den Eindruck, vor den Daten des Human Development Reports würde Mali am einfachsten in einen lebenswerten Alltag, weg von der ewigen immer-alles Notstands-Rettung gerettet. Petra Schnabel ist 29 Jahre alt und arbeitet an der Evangelischen Akademie Tutzing als Studienleiterin. Petra hat bis 2007 an der Freien Universität in Berlin Politikwissenschaften studiert. Während dieser Zeit war sie Vorsitzende des Ecumenical Youth Council in Europe (EYCE).

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