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Wir haben verstanden: Von Pflanzen und vom Sterben

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Jahresrückblicke haben in aller Regel das Anliegen, eine Antwort auf folgende Frage zu liefern: „Was war dieses Jahr wichtig?“ Das ist gut. Aber wir finden, dass eine andere Frage mindestens genauso wichtig ist: „Was haben wir verstanden?“. Deshalb haben wir ein digitales Magazin mit einer Liste gemacht: 100 Dinge, die wir 2013 begriffen haben. Einen Auszug daraus findest du hier - darum sind die Punkte auch nicht immer fortlaufend nummeriert. Das komplette digitale Magazin mit allen 100 Punkten für Tablets und Smartphones kannst du mit der kostenlosen App der Süddeutschen Zeitung herunterladen. Du kannst es für nur 89 Cent kaufen; für Abonennten der Digitalausgabe der SZ ist das Magazin kostenlos.

Wir haben verstanden:

45. Gustl Mollath beweist: Auch eine Pflanze kann ein bester Freund sein.

46. Nirgends macht Skaten so viel Spaß wie im selbstgebauten Skatepark.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



47. Das Leben ist ein Porno.
Es gibt offenbar nichts mehr, an das sich nicht das Wort „Porn“ hängen lässt. Angefangen hat es mit „Food Porn“, mit Blogs voller Fotos von Nudeln, Burgern und Pfannkuchen. Inzwischen werden auch Fotos von Tonstudios und Küchenmessern gesammelt und mit dem Suffix „Porn“ versehen. Dieser Anhang drückt die Sehnsucht, die Lust auf das, was der Nachsilbe vorangeht, kompakt aus, ja, er gibt dem Ganzen quasi eine sinnliche Komponente. Die Tumblr versprechen eine Art Ersatzbefriedigung – die der ganz gewöhnliche Porno ja auch liefern soll. Nur, dass man sie hier nicht über das Betrachten vögelnder Menschen bekommt, sondern über das Anschauen von: Booten, Bücherregalen, Messern, Layouts, Schlagzeugen, dem Weltraum. Sogar für die Kategorie „alles“ gibt es eine Porn-Sammlung: „Life Porn“ – Fotos von Schiffswracks, Wachsmalstiften oder vom Eiffelturm bei Nacht. Nur für das, was wir uns eigentlich immer unter „Food Porn“ vorgestellt haben, bräuchten wir jetzt einen neuen Begriff. Bisher sind uns begegnet:   Food Porn Veggie Porn Anabolic Food Porn Knife Porn Earth Porn Cabin Porn Trail Porn Boat Porn Car Porn Science Porn Interiors Porn Shoe Porn Bookshelf Porn Book Porn Word Porn Graphic Porn Life Porn Amp Porn Drum Porn Studio Porn Cricket Porn Rugby Porn kathrin-hollmer

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Knife Porn“ klingt ziemlich schlimm. Hat aber zum Glück nichts mit Sex mit Messern zu tun.

48. Schlauchbootfahren ist vermutlich die beste Art, sich fortzubewegen.

49. Neue Medien brauchen neue Erzählformen.
In Sofia Coppolas Film „The Bling Ring“ wird das Ende einer Freundschaft anders erzählt als wir es bisher gewohnt sind: Nicht mit einer Szene zwischen den Protagonisten Marc und Rebecca, sondern durch den Blick auf ein Facebook-Profil, das Marc aufgerufen hat. Dort lesen wir: „If you know Rebecca personally, send her a message or add her as a friend“. Das trifft uns. Aber unsere Eltern können diese Szene nicht verstehen – denn ihnen hat der Anblick eines blockierten Facebook-Profils noch nie das Herz gebrochen.  

Das Einbinden sozialer Netzwerke und moderner Kommunikationskanäle verändert das Erzählen. Das ist wichtig, weil es sich sonst zu weit von unserer Welt entfernt. Aber es ist auch schwierig, die richtige Methode dafür zu finden. Damit experimentieren Filme wie „The Bling Ring“. Fernsehabende mit unseren Eltern werden sich dadurch wohl auch verändern. Bisher hatten wir nur in der Realität Schwierigkeiten, Mama und Papa ein Smartphone zu erklären. Bald müssen wir ihnen vielleicht auch eine Filmszene erklären, weil sie nicht verstehen, wieso der Junge im Film gerade so traurig ist. 
nadja-schlueter

50. Interessant, wie viel Quatsch sich Produktentwickler in einem Jahr ausdenken können:
... Eierschachteln in Rosa und Hellblau für Mädchen und Jungs.
... Frauen-Bratwürste (mit Gemüse und „besonders mager“) und Männer-Bratwürste („deftig, kräftig gewürzt“).
... die Chipssorten „Mädelsabend“ und „Männerabend“.
... Grillsoßen für Frauen (Name: Miracel Whip „Sie“, auf dem Etikett sind Herzchen und Geflügel zu sehen) und für Männer (Name: „BullsEye“, mit dickem, blutigen Steak auf dem Etikett).
... Hustenbonbons für Mädchen („Husten-Fee“) und Jungs („Husten-Pirat“).      



53. Dank "Breaking Bad" wissen wir: Es macht sehr viel Spaß, an jeden Satz das Wort „Bitch“ zu hängen.

54. Wir wissen nicht so richtig, wie wir 2014 ohne Walter und Jesse überstehen sollen, Bitch!

55. Aber ohne FDP, das kriegen wir schon eher hin. (Und ohne AfD eh.) Fünf-Prozent-Hürde, Bitch!  

56. Uni funktioniert jetzt auch ganz ohne Hörsaal.
Die Anmeldung dauert keine Minute: Mailadresse angeben, Passwort reinhacken und schon ist man Student. Abiturnote? Höchster Bildungsabschluss? Semesterbeitrag? Interessiert hier niemanden. Anders als Präsenzunis ist iversity.org eine Online-Bildungseinrichtung für die Massen. Seit Oktober werden auf der Internetplattform Massive Open Online Courses (MOOCs), also breit angelegte Online-Vorlesungen, angeboten. Das Angebot ist gratis, die Anmeldung funktioniert auch über Facebook. Auf der Plattform stellen verschiedene Unis extra erstellte Vorlesungsvideos zur Verfügung, viele sind in Zehn-Minuten-Häppchen unterteilt. Dazu gibt es Multiple-Choice-Tests, Diskussionsforen und sämtliche Vorlesungsunterlagen. Manche Profs verlangen sogar Hausaufgaben. Alles wie in einer klassischen Uni also – nur, dass die Studenten parallel Döner essen und Musik hören können, ohne dass sich jemand beschwert. Hauptsache, das Quiz im Anschluss an den MOOC wird richtig beantwort.

Dass das mit den Massen beim MOOC funktioniert, zeigen die ersten Belegungszahlen: 271.000 Nutzer waren bis Mitte Dezember auf iversity angemeldet, allein der Kurs „The Future of Storytelling“ der FH Potsam hatte knapp 85.000 Einschreibungen. Das sind so viele Studenten wie an der gesamten Fernuni Hagen.
charlotte-haunhorst

57. Bradley Manning heißt jetzt Chelsea Manning.

58. Je schlechter es für Silvio Berlusconi aussieht, desto dreister wird er.

59. Katzen können Journalismus fördern.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Jonah Peretti plant Großes: Er will Buzzfeed zu einer der größten Seiten des Internets machen. Mit deiner Hilfe. Denn Buzzfeed produziert Inhalte, die jeder auf Facebook verbreiten will oder zumindest soll. Dazu gehören Katzenbilder, aber künftig auch echter Journalismus – immerhin hat Buzzfeed-Chef Peretti in diesem Jahr einige bekannte amerikanische Journalisten eingestellt. Das sorgt allerdings für weit weniger Aufmerksamkeit als die Listen, die Buzzfeed in großer Zahl produziert: „10 Dinge, an denen du merkst, dass du dich für Buzzfeed-Themen interessierst" und vergleichbare Formate wurden 2013 zu einer schnell wachsenden Stilform: Man spricht von Listicles – was ein Kofferwort aus Liste und Artikel ist (und von der Autokorrektur des Schreibprogramm sofort in „Lustiges“ umgewandelt wird).
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60. Ingo Zamperoni und Steven Gätjen killed the Bart-Star.

61. Olli Schulz und Jan Böhmermann saved the Humor-Star.

62. Seit Miley Cyrus heißt die Abrissbirne nicht mehr Abrissbirne. Sondern Aufrissbirne.

63. „Im ersten Jahr sterben ist für Muschis“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wolfgang Herrndorf nahm sich im Jahr 2013 das Leben. Zuvor hatte er zweieinhalb Jahre in einem Blog das Leben mit Hirntumor thematisiert.
Am 26. August  hat sich Schriftsteller Wolfgang Herrndorf das Leben genommen. Der Autor des grandiosen Jugendromans „Tschick“ war an Krebs erkrankt, auf dem Blog „Arbeit und Struktur“ hat er bis zuletzt darüber geschrieben. Wolfgang Herrndorf hat verstanden:  

Man kann nicht leben ohne Hoffnung, schrieb ich hier vor einiger Zeit, ich habe mich geirrt. Es macht nur nicht so viel Spaß.  

Die mittlerweile gelöste Frage der Exitstrategie hat eine so durchschlagend beruhigende Wirkung auf mich, dass unklar ist, warum das nicht die Krankenkasse zahlt. Globuli ja, Bazooka nein. Schwachköpfe.  

Immer die gleiche Überraschung, wie viele meiner Freunde und Bekannten Psychotherapeuten, Psychologen und Analytiker beschäftigen. Wann hat das angefangen? Und für was für Probleme? Die Ansicht, jemand, der einmal in der Woche ein anderthalbstündiges Gespräch mit mir führt, könne etwas über mich herausfinden, was ich, der ich seit vier Jahrzehnten mit mir zusammenlebe, nicht weiß, teile ich nicht. Glaube ich nicht. Lässt mein Stolz nicht zu. Außerdem hab ich keine Probleme.  

Ich könnte mich nicht damit abfinden, vom Tumor zerlegt zu werden, aber ich kann mich damit abfinden, mich zu erschießen. Das ist der ganze Trick.  

Die Vögel, die ich immer Raben genannt habe, sind Dohlen.  

In Gegenwartsjugendliteratur ist es zwingend notwendig, die Helden identitätsstiftende Musik hören zu lassen, besonders schlimm natürlich, wenn der Autor selbst schon älteres Semester ist, dann trifft es auch gern mal Jimi Hendrix, der neu entdeckt werden muss (...).  

Ich weiß, wie, ich weiß, wo, nur das Wann ist unklar. Aber dass ich zwei der Kategorien kontrolliere und die Natur nur eine - ein letzter Triumph des Geistes über das Gemüse.  

Ich kann kein Instrument spielen. Ich kann keine Fremdsprache. Ich habe den Vermeer in Wien nie gesehen. Ich habe nie einen Toten gesehen. Ich habe nie geglaubt. Ich war nie in Amerika. Ich stand auf keiner Bergspitze. Ich hatte nie einen Beruf. Ich hatte nie ein Auto. Ich bin nie fremdgegangen. Fünf von sieben Frauen, in die ich in meinem Leben verliebt war, haben es nicht erfahren. Ich war fast immer allein. Die letzten drei Jahre waren die besten.  

Sätze, die Sie als Vollidiot zum Thema Tod unbedingt sagen müssen: 1. Der Tod ist ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Er wird von ihr an den Rand gedrängt. 2. Der Tod ist ein Bestandteil des Lebens. 3. Es weiß ja niemand, was danach kommt. 4. Ich habe keine Angst, ich weiß ja, was danach kommt.  

August, September, Oktober, November, Dezember, Schnee. Jeder Morgen, jeder Abend. Ich bin sehr zu viel.  

(Alle Zitate stammen aus Wolfgang Herrndorfs Blog „Arbeit und Struktur“) 

Text: jetzt-redaktion - Illustration: Katharina Bitzl; Foto (Herrndorf): dpa

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