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Woher der Hass? Paketboten

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Weihnachtszeit, Plätzchenzeit! Ach nein, pardon, ich meinte natürlich: Päckchenzeit! Alle sind im großen Fußgängerzonen-Vermeidungs-Taumel und setzen sich an den Computer, um Geschenke im Internet zu bestellen. „Per Mausklick“, wie Medien mit Bart das gerne nennen. Weil es die Lieferdrohnen noch nicht gibt, müssen Paketboten dafür sorgen, dass die bestellten Dinge als Päckchen in unsere Häuser geliefert werden, und haben gerade sehr viel zu tun. Gleichzeitig müssen sie nämlich auch noch allen Medien mit Bart Interviews geben, wie viel sie zu tun haben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Keine leichte Jahreszeit für Paketboten also. Aber ach, gibt es die überhaupt? Erstens wird ja immer viel und immer mehr online bestellt und ausgeliefert, Paketboten haben also das ganze Jahr immer viel und immer mehr zu tun. Und zweitens wird dann noch dauernd über sie geschimpft. Beliebtes Smalltalkthema von Menschen, die im Erdgeschoss wohnen: „Der Paketbote gibt dauernd alle Päckchen für das ganze Haus bei mir ab. Sie blockieren meinen Flur!“ Beliebtes Smalltalkthema von Leuten, die unterm Dach wohnen: „Der Paketbote gibt dauernd alle Päckchen im Erdgeschoss ab, ohne bei mir zu klingeln.“ Es gibt Geschichten von Leuten, die sich die Kniescheibe zertrümmert haben, weil sie über Pakete im Flur gestolpert sind. Oder von Geburtstagskuchen, die das Geburtstagskind Tage zu spät erreicht haben, weil sie beim kurz nach dem Paketbotenbesuch übers Wochenende verreisten Nachbarn im Flur lagerten. Und am Ende, denken die Hasser, ist daran der DHL- oder der Hermes- oder der UPS-Mann Schuld. Den sie sowieso immer so unfreundlich und hektisch und verschwitzt finden.

Die Deutschen schimpfen gern

Die Deutschen haben einen ausgeprägten Dienstleistungsfetisch. Menschen, die etwas für andere Menschen tun (ihnen Essen kochen, die Haare schneiden oder den Hosensaum umnähen) und dafür Geld bekommen, sollen das bitte gründlich, gewissenhaft und freundlich tun. Darum schimpfen die Deutschen so sehr auf die Paketboten, die nicht mit einem Lächeln im Gesicht in jedes Stockwerk rennen, und lesen Ratgebertexte wie den in der Kölnischen Rundschau mit dem Titel: „So vermeiden Sie Ärger mit dem Paketboten“.

Die Deutschen haben aber auch ein Faible fürs Anprangern. Eine Schande seien die Arbeitsbedingungen in der Logistik-Branche, sagen sie gern, und verschlingen nach dem Artikel aus der Kölnischen Rundschau alle Dokumentationen und Investigativreportagen von Günter Wallraff und Talkshows zum Thema „überarbeitete Paketboten“ und haben Mitleid, weil die Boten kaputte Rücken haben und keine Zeit, und dem einen ist auch noch die Frau weggelaufen, weil er nie daheim sein konnte!

Hass und Moral: eine gefährliche Mischung

Da trifft etwas aufeinander, das eine ganz gefährliche Mischung ergibt: der Hass und die Moral. Beides zusammen macht die Menschen bigott. Und: noch wütender. Weil sie eigentlich ja wissen, dass sie nicht auf der einen Seite auf den Paketboten schimpfen können und auf der anderen Seite auf die Politik und die Wirtschaft, die nichts für ihre Dienstleister tut. Und auf der dritten Seite auch noch alle Geschenke im Internet bestellen. Das Ergebnis ist eine astreine Abwehrhaltung à la „Angriff ist die beste Verteidigung“. Hass auf die faulen Paketboten, die nie klingeln. Hass auf die faulen Politiker, die nichts für die Bürger tun. Hass auf die faulen Bürger, die alles im Internet bestellen.

Ein Mittel gegen den Paketbotenhass könnte sein, sich die amerikanische Sitcom „King of Queens“ anzuschauen. Der Protagonist Doug Heffernan ist ein liebenswert-trotteliger Kurierfahrer mit gemütlicher Statur, dem seine Frau nicht wegläuft. Doug ist das Gegenteil von Günter Wallraff und man würde ihm fast alles verzeihen, ganz bestimmt aber, wenn er mal nicht klingelt. Und wenn man die DVD-Box heute noch im Internet bestellt, wird sie vielleicht morgen schon beim Nachbarn abgegeben!



Text: nadja-schlueter - Ilustration: Daniela Rudolf

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