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„Wir sind ja auch keine Burschenschaft!“

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Der „Akademische Verein Hütte“, eine 8er-WG im Berliner Bezirk Charlottenburg, ist eine Studentenverbindung, die geradezu allen Klischees widerspricht, aber: „Wir sind ja auch keine Burschenschaft!“ Tradition hat die Hütte dennoch: Vor 150 Jahren wurde sie von den Ingenieuren gegründet, der Verein hat 400 Mitglieder und tritt als Herausgeber technisch-wissenschaftlicher Literatur auf. Noch heute studieren die meisten der Bewohner an der Technischen Universität Berlin.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Alle acht versammelt. Hinten: Malte, Niklas, Christoph, Christopher. Vorne: Inna, Jonathan, Friedi, Elena. Im obersten Stockwerk des Gebäudes, das dem Verein gehört, wohnen: Elena, 20, seit 1,5 Jahren in der WG, kommt aus Teneriffa und studiert Lebensmitteltechnologie Niklas, 20, seit einem Monat Mitbewohner, Physik-Student aus der Nähe von Düsseldorf Friedi, 22, seit über einem Jahr WG–Mitglied, kommt aus dem Allgäu und studiert Agrarwissenschaften Malte, 21, der einzige Berliner unter den acht, studiert Technische Informatik Christoph, 22, der Frischling, gerade eingezogen, kommt aus Leipzig und studiert Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung Jonathan, 20, wohnt seit zwei Monaten in der WG, kommt aus Wesel und studiert Biotechnologie Christopher, der Neue, zieht bald ein - warum er ausgewählt wurde, erfahren wir noch Inna, 28, aus der Ukraine, ist die älteste und längste Bewohnerin und einzige Geisteswissenschaftlerin, schreibt gerade an ihrer Abschlussarbeit in Kulturwissenschaft und wird ihr Zimmer im Dezember räumen. Eine Nachmieterin gibt es wahrscheinlich schon. Im Erdgeschoss wohnen: Markus Schneider, 28, seit 2007 in der „Hütte“, war aber zwischenzeitlich im Ausland, ist auch Mitglied im Verein, studiert Wirtschaftsingenieurwesen Thomas Ginster, schon etwa drei Jahre hier, studiert Wirtschaftsingenieurwesen, ist auch Mitglied im Verein Miete: im Schnitt 130 Euro. Die Zimmer sind zwischen 10 und 16 qm groß. Zum Gespräch versammeln sich alle Mitbewohner der oberen Etage, außer Inna, im Wohnzimmer. Sogar Christopher, der bald einziehen wird, kommt zufällig vorbei. Von den acht sind übrigens nur Malte, Elena und Friedi Mitglieder im Verein. Die anderen dürfen sich ein Jahr lang überlegen, ob sie eintreten wollen. Die Wohnmöglichkeit ist auf drei Jahre begrenzt. Ihr seid ja eine Verbindung, aber keine Burschenschaft, sondern ein akademischer Verein. Was ist der Hauptunterschied? Elena: Dass wir nicht farbentragend, nicht politisch und nicht schlagend sind. Trotzdem sind wir nach den Grundsätzen einer Verbindung aufgebaut. Wir haben auch Statuten und eine Menge Veranstaltungen, wie einen Stammtisch, aber das ist schon etwas ganz anderes. Trotzdem gibt es wahrscheinlich viele Vorurteile, wenn ihr Kommilitonen erzählt, dass ihr eine Verbindung seid, oder? Jonathan: Ja, wenn man erwähnt, dass das Haus einem Verein gehört, gucken alle skeptisch. Elena: Ich sage erstmal nie, dass wir eine Verbindung sind, ich spreche immer von einer 8er-WG. Wenn ich darauf angesprochen werde, erkläre ich eben, dass wir nicht politisch, nicht farbentragend sind und so weiter. Friedi: Die meisten finden es krass, auch, dass wir zu acht leben, aber herkommen tun sie trotzdem alle gern. Bei euch hat sich ja gerade allerhand getan. Viele neue Mitbewohner sind eingezogen. Wie lief das letzte Casting? Elena: Wir haben knapp 300 Mails bekommen, als wir die Suchanzeige ins Internet gestellt haben. Und die Telefonnummer haben wir nur zeitweise angegeben, da alle fünf Minuten das Telefon klingelte. Friedi: Irgendwann haben wir es einfach lautlos gestellt. Am Ende konnten wir auch die Mails nicht mehr beantworten. Und wer sich am Telefon nicht direkt mit Namen gemeldet hat, flog auch sofort raus. Wie wählt ihr aus, wer ein Zimmer bekommt? Elena: Wir stellen zuerst die typischen Standardfragen zu der Person und natürlich schauen wir, wer uns sympathisch ist. Und weil wir ein Verein sind, stellen wir natürlich auch die Frage, ob jemand sich vorstellen kann, auch mal in den Verein herein zu schnuppern. Das ist meist unumgänglich ist, wenn man hier wohnt. Wir wollen auch wissen, ob diese Person schon von vornherein eine Abneigung gegen Verbindungen hat. Man hat ja dann ein Jahr Zeit zu überlegen. Und die Person muss Student sein. Jonathan: Ein Kriterium ist auch, dass man Zeit und Lust hat, was mit den Mitbewohnern zu machen. Friedi: Genau, wir brauchen viel Aufmerksamkeit. Elena: Wir wollten auch jemanden, der länger als ein Semester in Berlin bleibt. Und wir suchten einen Mann. Wir wollen nämlich immer ein Verhältnis von drei Frauen und fünf Männern. Das hat sich bisher bewährt, mehr Frauen könnten mehr Stress bedeuten. Friedi: Und neue Mitbewohner müssen viel trinken. (lacht) Das ist nur Spaß. Trinken ist natürlich kein Zwang. Aber jemand soll nicht schon um 22 Uhr ins Bett gehen. Malte: Aber wir kochen und feiern wirklich gerne zusammen. Ich musste hier noch nie alleine trinken. Beim letzten Casting hatten wir einen Bewerber, der war einfach zu religiös.(alle lachen) Und ein anderer meinte ganz frech, dass er bei uns sicher innerhalb von drei Wochen der sauberste wäre. Den haben wir natürlich nicht genommen. Apropos Sauberkeit. Wie klappt es mit dem Putzen? Elena: Na ja, der Putzplan läuft, ehrlich gesagt, so lala. Niklas: Bei unserer WG-Sitzung gestern haben wir uns aber wieder motiviert. Elena: Wir hängen Zettel an die Türen, da steht dann drauf, wer wann dran ist und grob, was in den einzelnen Räumen zu erledigen ist. Und was beredet ihr sonst so bei solchen Sitzungen? Friedi: Das Übliche: Ist es zu dreckig, was müssen wir renovieren, kaufen wir uns Pflanzen, wer kümmert sich um sie, und dann haben wir überlegt, ob wir uns eine WG-Katze anschaffen.

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Empfindet ihr euch als normale WG? Elena: Nein, wir sind mehr wie eine zweite Familie und das, obwohl wir teilweise noch gar nicht lange zusammen wohnen. Malte: Wir sind zwar alle sehr unterschiedlich… Alle: … aber wir fühlen uns hier sehr wohl. Auch die Bewerber haben gesagt, dass sie den Eindruck haben, dass wir uns alle sehr nahe stehen. Malte: Wir sind auf keinen Fall eine Zweck-WG, das haben wir auch in die Wohnungsanzeige geschrieben. Christoph, du bist der neueste Mitbewohner. Wie gefällt es dir bis jetzt? Christoph: Ich mag die Atmosphäre hier. Der Umgang ist sehr entspannt, alle sind tolerant, wir können über alles reden. Außerdem wollte ich mit vielen Leuten zusammenwohnen, und der Preis ist natürlich auch ein Punkt. Christopher kommt ins Wohnzimmer, er will seinen Schlüssel abholen. Und Christopher, du wirst ja auch bald einziehen, was hat dich dazu gebracht, ja zu einer 8er-WG zu sagen? Christopher: Die charmanten Mitbewohner natürlich. (lacht) Das ist ja meine erste eigene Wohnung. Erst wollte ich unbedingt alleine wohnen, aber jetzt habe ich mich für das Kontrastprogramm entschieden. Dann ist immer jemand da, mit dem man quatschen oder ein Bier trinken kann. Und, warum habt ihr euch unter Hunderten von Bewerbern für Christopher entschieden? Elena: Weil er alles erfüllt, was wir suchen und was wir am Anfang gesagt haben. Friedi: Am Tag seines Castings waren noch zwei zickige Frauen da, das war ausschlaggebend. Euer Haus bietet euch ja eine Menge Abwechslung... Elena: Ja, in den unteren Etagen gibt es einen Kickerraum, eine Bibliothek, wir haben einen Billardtisch und eine Kegelbahn, die wird aber gerade renoviert. Außerdem haben wir ein eigenes Seegrundstück, wo wir segeln gehen. Niklas: Man muss wirklich aufpassen, dass man die Uni nicht vernachlässigt. Bei euch geht es sehr harmonisch zu. Aber wo liegen denn die geheimen Probleme? Alle: In Friedis lauter Musik! Friedi: Ja, das stimmt, sie ist laut, aber ich finde es okay. Vor allem hängen ja eh alle den ganzen Tag bei mir im Zimmer rum, weil da geraucht werden darf. Dann muss man auch mit der lauten Musik leben. Elena: Probleme gibt es eigentlich keine. Es gibt ein paar Regeln: Die Zimmer sind zum Beispiel tabu. Wenn jemand nicht da ist und man etwas aus einem Zimmer braucht, wird vorher angerufen. Und angeklopft wird natürlich auch immer. Malte: Und meine E-Gitarre darf nicht angefasst werden.

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