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Wohnungsschau: Freiheit statt Fußbodenheizung

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In dieser Wohnung ist so Manches anderes. Es kommen weder Briefträger noch Müllabfuhr. Vermieter mit wucherhaften Kautionsforderungen oder Nachbarn, von denen man wegen der hauchdünnen Wände aus der Nebenwohnung ungewollt private Details mitgekriegt: Fehlanzeige. [b]Bewohnerin: Jenny (26), Fotodesignerin[/b]

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Krass! Du lebst in einem Wohnmobil?“ Das hört Jenny oft, wenn sie erzählt, wo sie seit dem Sommer 2007 wohnt, als der grün-gelbe Mercedes, der bereits zum Wohnmobil umgerüstet war, „über 3 Ecken zu mir gekommen“ ist. Auf etwa 8 Quadratmetern mit Gasherd und Schlafcouch hat sich die 26-Jährige Fotodesignerin aus dem Landkreis Weilheim-Schongau eingerichtet und damit einen Traum verwirklicht. Jenny: „Ich hatte den Plan, nach dem Abitur mit einem Wohnmobil durch Europa zu reisen. Hat leider nicht geklappt. Die Idee, räumlich unabhängig zu sein, hinfahren zu können, wohin ich Lust habe und dabei quasi die eigenen vier Wände dabeizuhaben, behielt ich seitdem aber immer im Hinterkopf.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Seit sie den Mercedesbus gekauft hat, fühlt sie sich als „Zigeunerin im Geiste.“ Jenny: „Da ich große Unrast verspüre, möchte ich mich erstmal auf der Welt umschauen, bevor ich mich entscheide, wo ich dauerhaft meine Homebase haben werde.“ „Der Weg ist das Ziel“ heißt ihre Abschlussarbeit in Fotodesign an der Fachhochschule München und dies ist im Moment auch das Lebensmotto von Jenny. Sie hat sich während ihrem Studium auf experimentelle Landschaftsfotografie konzentriert, ihre Spezialität sind -passend zu ihrem Reisefaible- Aufnahmen aus fahrenden Autos, Bussen oder Zügen. Zum Betreiten des Lebensunterhalts übernehmen viele Fotokünstler Werbeaufträge, was mit Jennys experimenteller Bewegungsfotografie kaum kompatibel ist. Sie ist daher auf der Suche nach Austellungsmöglichkeiten, Künstklernetzwerken und Sponsoren. Arbeitet nebenbei als Requisite-Aushilfe und auch auf Baustellen, gelegentlich auf Spektakulären wie dem neuen eropäischen Justizpalast in Luxemburg. Zudem hatte Jenny vor einigen Monaten die Idee der Buspatenschaft. "Für einen Beitrag von 10 Euro im Monat kann man Buspate werden und bekommt dafür aus jedem Land, in das ich reise eine Postkarte aus der Serie "der Weg ist das Ziel. Falls ich mal nicht unterwegs bin, schicke ich eben von hier aus die Postkarte, einmal pro Monat erhalten die Paten auf jeden Fall Post von mir." Handsigniert und limitiert natürlich, so dass sie, falls ich mal berühmt werde, auch einen "Marktwert" haben. Ansonsten sind es eben einfach auch schöne Postkarten." Langfristig beabsichtigt Jenny im Mittelmeerraum zu leben, hat dabei derzeit aber nicht die Klassiker Italien, Spanien oder Frankreich im Auge, sondern Slowenien: „Dort habe ich nur nette Leute getroffen. Kann zwar auch Zufall gewesen sein. Fest steht auf jeden Fall, dass es da viele Menschen gibt, die nach den gängigen Maßstäben ungewöhnlich leben. Eine dortige Freundin hat mit ihrem Freund ein riesiges Stück Land gepachtet und will dort ein Ökovillage aufbauen –eine Idee für die ich mich selbst begeistern könnte.“ Auch Afrika hat Jenny beeindruckt. Nachdem sie die letzte Reise dorthin mit dem Flugzeug angetreten hat, möchte sie das nächste Mal mit dem Wohnmobil über Italien und per Fähre hinfahren. Jenny: „Durch Reisen sehe ich die eigene Kultur mit anderen Augen. Und habe erkannt: Man kann auch anders leben, als man es hier von vielen Seiten vorgelebt bekommt. Klar, dass ich dafür zum Teil auf den gewohnten Lebensstandart verzichten muss. Für mich besteht Luxus inzwischen aber nicht mehr in materiellen Konsumgütern. Sondern darin, mein fahrendes Eigenheim zu haben und sagen zu können: Wenn es mir hier nicht mehr gefällt, fahre ich eben woanders hin.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Doch es gibt jenseits des Freiheitsideals auch Schattenseiten von Jennys außergewöhnlicher Wohnungswahl. Anfang November wollte Jenny für zwei Monate nach Slowenien aufbrechen, was vorerst daran scheiterte, dass die Spureinstellung kaputt war. Eine neue Spurstange musste her und die Bremse musste auch repariert werden. Die Reisekasse war dadurch vor dem Losfahren leer, weshalb Jenny noch zwei Tage Messebau dazwischenschieben musste. Nicht das erste Wehwehchen des gelb-türkisen Unikats. Jennys mobile Wohnung ist reparaturanfällig. Jenny: „Bereits nach dem Kauf hat ein befreundeter Mechaniker mich ausgelacht. Mich und den letzten positiven TÜV-Bericht, der seiner Meinung nach gekauft gewesen war. Letztlich habe ich dann durch Nachverhandeln mit dem Vorbesitzer immerhin 1500 Euro des ursprünglichen Kaufpreises in Höhe von 2000 Euro zurückgekriegt. Insgesamt 3000 Euro musste ich aber nach und nach investieren, um das Fahrzeug durch den TÜV zu bekommen. Auch dieser Betrag reichte nur, da ich einige aufwendige Reparaturen in Rumänen machen lies. Durch Schweißarbeiten war eine Neulackierung einiger Teile notwendig. In Gelb, was sich deutlich von der türkisen Restfarbe abhebt, aber nun mal am billigsten war.“ Ohne den Mechaniker, ein Freund ihrer Schwester, der zum Selbstkostenpreis arbeitet, wäre der Anfang bereits gleichzeitig das Ende des (Wohn-)Abenteuers gewesen.

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Illustration: Julia Schubert

Ein unmechanischer Schaden erwartete Jenny nach der Rückkehr von einer wohnmobillosen Urlaubswoche in Slowenien: „Als ich die Tür aufgemacht habe, huschte etwas, alles war verwüstet, 2 Kilo Biomüsli habe ich in Scheiße verwandelt wiedergefunden –Ratten, die sich an der Gummimanschette am Schalthebel durchgenagt hatten. Jetzt befindet sich um den Schalthebel ein Metallgitter. Solche Dinge passieren eben, wenn man in einem Auto wohnt.“ Im Winter kann es auch empfindlich kalt werden. Heizen per eingebauter Gasheizung kommt zu teuer, weshalb Jenny mit Teelichtern und der Restwärme vom abendlichen Teekochen improvisiert. Jenny: „Außerdem habe ich mit der Zeit herausgefunden, wie ich mich anzuziehen habe, damit ich nicht friere.Bis 5 Grad Minus komme ich so klar.“ Inzwischen ist die Spur eingestellt, die Bremse gerichtet und die Reisekasse leer. Trotzdem ist Jenny samt Wohnmobil voraussichtlich bis Mitte Dezember in Slowenien unterwegs. Der Weg bleibt das Ziel.

Text: thomas-steierer - Fotos: Thomas Steierer

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