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Nur noch ein Viertelstündchen...

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Jeden Abend, wenn ich ins Bett gehe und meinen Handywecker stelle, rechnet er für mich aus, wie lange ich schlafen kann. „Der Wecker klingelt in 6 Stunden und 45 Minuten“ steht auf meinem Display und ich denke „Oh nein, schnell schlafen!“ Aber dann fällt mir ein, dass ich heute noch gar nicht meine Instagram-Timeline angeschaut habe. Oder noch diese eine Mail einer Freundin beantworten wollte. Oder noch dieses Magazin durchblättern. Lauter kleine Dinge eben, die ich in der freien Zeit zwischen Feierabend und Schlafengehen nicht geschafft habe. Oder geschafft hätte, aber vergessen habe. Weil es ja auch nichts ist, was man nicht auch morgen machen könnte. Aber doch heute machen wollte. Und dann ist es auf einmal zwei Stunden später und ich stelle den Wecker neu (eine Viertelstunde nach hinten), er sagt: „Der Wecker klingelt in 5 Stunden“ und ich bekomme schlechte Laune.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert




Ich weiß aus Gesprächen mit Freunden und Bekannten, dass ich längst nicht die einzige bin, der es so geht. Irgendwas hält einen immer noch vom Schlafen ab, obwohl man schon mit geputzten Zähnen im Bett liegt. Das Gute ist: Es gibt jetzt ein Wort für dieses Phänomen, „Bedtime Procrastination“ – „Schlafenszeit-Prokrastination“. Das Schlechte ist: Es ist angeblich ziemlich ungesund.  

Eigentlich möchte man mittlerweile weghören, wenn irgendwo der schon viel zu oft verwendete Begriff „Prokrastination“ fällt. Aber diesmal betitelt er eine wissenschaftliche Studie der Universität Utrecht, die das Phänomen „Bedtime Procrastination“ definiert: „Es nicht schaffen, zur geplanten Zeit ins Bett zu gehen, obwohl einen keine äußeren Umstände davon abhalten.“ Für diese Studie haben 177 Personen online-Fragebögen ausgefüllt, in denen demografische Angaben sowie Fakten zu Lebensführung und Schlafgewohnheiten abgefragt wurden. Die Ergebnisse besagen, dass die Menschen, die generell schlechter in den Bereichen Selbstregulierung und -disziplin abschneiden, auch anfälliger dafür sind, nicht rechtzeitig ins Bett zu gehen. Und genau diese Menschen gaben auch an, meist ungenügend zu schlafen und tagsüber müde und unausgeruht zu sein. Sie leben also ungesünder.  

Im ersten Moment wirkt das seltsam. Zum einen, weil „Prokrastination“ bisher immer meinte, dass man etwas vermeidet, auf das man keine Lust hat – Schlafen gehört da normalerweise nicht dazu. Zum anderen, weil es eigentlich logischer erscheint, dass jemand, der nicht viel Selbstdisziplin hat, besonders gerne schläft und aus dem stressigen Alltag in den Schlaf flüchtet. Die Studie führt uns allerdings vor Augen, dass das nicht stimmt: Auch Schlafen erfordert Disziplin. Das merkt man immer dann, wenn man Dienstagabend nur schnell auf ein Bier rausgehen will und erst um drei angeschickert nach Hause kommt. Worüber man sich am nächsten Tag aber immerhin ärgert. Man weiß ja, dass das nicht gut ist und tröstet sich damit, dass es eher die Ausnahme ist und man wenigstens einen schönen Abend hatte. Beim nur-noch-schnell-die-Timeline-Durchscrollen oder noch-eine-Folge-Lieblingsserie-Gucken ist das anders: Es passiert wesentlich öfter und unbewusster und am nächsten Tag ist man unausgeschlafen und weiß gar nicht so genau warum. Man hat sich ja gar nicht mehr angestrengt, am Abend, hatte schon den Schlafanzug an und hat sich darauf verlassen, dass der Körper einfach einschläft, wenn er es nötig hat. Macht er aber meistens nicht, wenn wir nicht das Licht und den Computer aus- und die Augen zumachen.  

„Bedtime Procrastination ist wahrscheinlich ein ziemlich  modernes Phänomen“, zitiert „The Daily Beast“ Floor Kroese, die Leiterin der Studie, „wir glauben, dass es weniger darum geht, nicht schlafen zu wollen, sondern eher darum, andere Aktivitäten nicht beenden zu wollen.“ Außerdem vermutet sie, dass technische Geräte und die Möglichkeit des rund-um-die-Uhr-Entertainments uns einfach viel mehr Möglichkeiten bieten, uns vom Schlafen abzuhalten. Fast alle Autoren, die bisher etwas zu dem Phänomen geschrieben haben, erwähnen, dass sie schon mal zu lange Serien auf „Netflix“ angeschaut haben, anstatt zu schlafen.  

Die einzige Lösung des Problems ist schlicht: sich mehr Disziplin abringen. Jordan Gaines Lewis, ein amerikanischer Schlafforscher, sagte dem „New York Magazine“: „Eine einfache Lösung ist, sich selbst einen Zeitplan zu machen und sich daran zu halten. Wenn alle Ihre schönen Tagesaktivitäten nicht vor der Schlafenszeit in den Plan passen, trösten Sie sich damit, dass Sie am nächsten Tag wach und gut erholt sein werden, um sie zu genießen.“  

Wir müssen uns also selbst wie kleine Kinder behandeln, wenn wir mal wieder auf dem Sofa rumgammeln oder „Ach, noch eine Folge...“ sagen, anstatt uns endlich ins Bett zu legen und die Äuglein zuzumachen. Kleine Kinder wollen nämlich auch nie ins Bett. Bis man streng wird.

Text: nadja-schlueter - Bild: John Dow / photocase.de

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