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Das Ende (vom Leben)?

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Jetzt ist es schon 15 Wochen her, dass wir morgens voller Stolz zum Kiosk gerannt sind, um "einmal die Süddeutsche, bitte!" zu verlangen. Wie wir freudig strahlend vorsichtig die Seiten umblätterten, um dann unsere erste in einer Zeitung veröffentlichten Kolumne zu lesen, die wir zwar schon längst kannten, aber eben nicht auf diesem edlen (Recycling-)Papier. Seitdem ist viel passiert und es lief auch nicht immer alles glatt. Ich wurde als "dumm wie Brot" beschimpft, es wurde uns eine baldige Trennung in spätestens sechs Monaten prognostiziert (jetzt sind nur noch etwas mehr als zwei Monate übrig) und Nadine musste heftig einstecken, weil sie für abseitige Hobbys im Bereich der interaktiven Unterhaltungsformen keine Begeisterung aufbringen konnte.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

15 Wochen Zusammenwohnen, 15 Folgen Kolumne: Nadine und Sebastian blicken zurück.

Aber wir haben eben auch Lacher bekommen, es wurde uns ein frohes neues Jahr gewünscht, wir konnten uns jede Woche auf die neuen Illustrationen von Yinfinity freuen und zuletzt diskutierten die Leser 80 Kommentare über den Sinn und Unsinn vom Kinderkriegen, was zwar eigentlich nichts mit der Kolumne zu tun hatte, uns aber trotzdem freute. Und nicht nur in der Kolumne ist einiges passiert, auch wir selbst haben nun 15 Wochen Erfahrung mit dem Zusammenwohnen und geben bereits unseren Freunden Ratschläge als wären wir echte Profis im Zusammenwohnen. Wenn ich ein Fazit ziehen müsste, es würde nicht bedauernd ausfallen. Natürlich haben wir uns gestritten über Zeiten allein und Zeiten zu zweit, übers Essen und übers Geld, wir haben Teppiche gekauft und wieder zurückgebracht und Nadine schaut immer noch skeptisch, wenn ich mich mit meinen Freunden über eine gelungene Runde Counterstrike freue, aber die Konflikte wurden seltener und die Freude wurde mehr.  

Pünktlich zum Ende der Kolumne hatte ich heute allerdings einen in dieser Frage eher ernüchternden Termin: Ich half einem Freund beim Auszug. Er und seine Freundin leben nun wieder in getrennten Wohnungen. "Es hat irgendwie angefangen 'das Besondere' zu verlieren, weil man sich einfach jeden Tag sieht!", hat er mir erklärt. Da habe ich mir natürlich auch meine Gedanken gemacht. Könnte es bei uns bald auch so aussehen? Dass man irgendwie den anderen übersieht? Tatsächlich ist es schon nach 15 Wochen so, dass man sich nicht mehr die ganze Zeit wundert, dass noch jemand anderes im Raum ist und die Marotten kommen natürlich auch erst nach einer Weile zum Vorschein. Aber eigentlich kann man sich da sowieso nur auf sein Gefühl verlassen und das sagt mir, dass ich mich immer noch freue, wenn Nadine auf ihrer Couch sitzt und ich sie in ihren Laptop tippseln höre.  

Ich glaube, ich, Nadine und auch die meisten der Leser hier, wir alle geben jeden Tag so viel und es kommt oft so wenig dabei rum. Da tut es einfach gut, jemanden in seiner Nähe zu haben, der das wahrnimmt, schätzt und sich gemeinsam mit einem über die Ungerechtigkeiten der Welt ärgert. Ich möchte mich bei euch Lesern bedanken für die gute gemeinsame Zeit. Und sollte jemand von euch mit dem Gedanken spielen, jemanden hinter sich tippseln hören zu wollen, ihr wisst, wo ihr die Experten findet!

Auf der nächsten Seite: Nadine zieht ihr Fazit - und fragt sich, ob mit dem Zusammenziehen eigentlich das Ende vom Leben anfängt.


Sebi und ich haben vor dem Zusammenziehen eine Weile gezögert. Vorher waren wir uns immer sehr jung vorgekommen, nun machte uns bei unseren Überlegungen eine Frage besonders Angst: Wenn wir zusammenziehen, fängt dann das Ende vom Leben an?  

Ich glaube, wir haben in den letzten Monaten akzeptiert, dass wir nicht mehr so richtig jung sind, sondern eher „mittelalt“. Und dass man daran, 28 zu sein, auch nichts ändert, indem man in einer WG wohnt, immer noch oder schon wieder studiert und bis zum nächsten Morgen Party macht – man ist dann eben ein 28-jähriger WG-Bewohner ohne finanzielle Sicherheit, dafür mit einem ziemlich heftigen Kater.  

Zur Reifung unserer Persönlichkeiten trugen außerdem eine ganze Reihe Erkenntnissen bei, die wir ohne das Zusammenziehen nie gewonnen hätten:  

- Wer zusammenzieht, braucht sich nicht mehr auf den Schreibtischstuhl des anderen zu setzen. Er hat dann nämlich seinen eigenen Schreibtischstuhl.
- Auch in Ludwigsburg kann man Filme in OmU gucken – halt nur nicht jeden Tag! Die Termine mit den Originalfassungen findet man vorab im Spielplan.
- Es ist schwierig, einen farblich passenden Teppich zu finden, wenn bereits alle Farben in der Wohnung vorkommen. Aber es ist toll, wenn man einen Fernseher hat, auf dem man auch was erkennen kann – vor allem wenn man Medienwissenschaftler ist.
- Wenn man seine Klamotten in Sebis Bügel-Studio abgibt, dauert es relativ lange, bis man sie wiedersieht. Also genügend Outfits zur Überbrückung bereitlegen!
- Wenn der Bluttest einen niedrigen Cholesterinspiegel ergibt, bitte wieder öfter mit der Freundin Frühstücksbankett abhalten!
- Wenn man am Bankautomaten das Gefühl hat, es wird einem Geld draufgebucht, obwohl man gerade etwas abgehoben hat, sollte man mal auf das Vorzeichen achten.
- In der Anfangszeit streitet man sich deutlich mehr als später. Es muss erstmal jeder sein Revier markieren. Nach ein paar Monaten hat man sich daran gewöhnt, dass der andere einen Knall hat und gewinnt ihn eines Tages wahrscheinlich sogar lieb.
- Wenn man wissen will, ob man wirklich neue Freunde gefunden hat, sollte man sie vor der Geburtstagsparty zu einem Chorkonzert mit moderner Musik in eine Kirche einladen und sich darüber freuen, wie viele gekommen sind.
- Wenn man nach dem Zusammenziehen zum ersten Mal wieder alleine ist, zum Beispiel an Weihnachten, vermisst man den anderen auf einmal viel mehr als in der Fernbeziehungs-Zeit.
- Man muss nicht jedes Jahr das schönste Silvester seines Lebens feiern. Es genügt auch mal, beim schläfrigen Rumhängen und Waffelessen mit Svenja, Maike und Luki den schönsten Neujahrstag seines Lebens zu verbringen.
- Wenn der Mann selten viel und die Frau oft wenig isst, essen im Endeffekt beide: relativ viel. Es helfen nur Großeinkäufe. Bitte dabei auf die Pfandmarken aufpassen!
- Da es in dieser Dimension keine zweite Person gibt, die nie in den Urlaub will, nimmt Sebi nun mit einer Person vorlieb, die gerne gemäßigt reist und ist bereit, sich anzupassen.
- Wenn ein Paar aus zwei Filmemachern besteht haben sie null Bausparverträge.
- Wenn man erfolgreich zusammengezogen ist und sogar schon eine erfolgreiche Kolumne darüber geschrieben hat, dann erfüllt man die wichtigste Voraussetzung für den nächsten Mitbewohner: eine Katze (Light-Version) oder ein Baby (jetzt wird’s ernst!).  

Die alten Römer haben in unserem Alter schon das Zeitliche gesegnet und deshalb nach unserem Empfinden ein Leben im Schnelldurchlauf geführt. In unseren Breitengraden haben wir das Glück, dass man mit 28 noch das Gefühl hat, am Anfang zu stehen und alle Möglichkeiten zu haben. Zwischen all den Entscheidungen, die wir in unserem Leben heute treffen können und müssen und die uns manchmal fast handlungsunfähig machen, ist die Entscheidung, dass Sebi und ich zusammengezogen sind, gerade meine liebste. Entscheidungen treffen heißt immer auch Weitermachen und Weiterleben. Deshalb: Nein, mit dem Zusammenziehen fängt ganz bestimmt nicht das Ende vom Leben an; da werden noch viele Anfänge kommen! Bei diesem hier wart ihr dabei und das war schön. Auf Wiedersehen.   


Text: sebastian-hilger - Illustration: Yinfinity

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