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Besondere Ereignisse will ich nüchtern erleben

Illustration: Federico Delfrati

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Es gibt Orte oder Veranstaltungen, da weiß man schon bevor man hingeht, dass man trinken müssen wird. Dass, falls man es nicht tut, irgendjemand böse sein wird, oder man selbst zumindest das Gefühl haben muss, sich nicht an die Spielregeln zu halten. Meistens sind es die besonderen Ereignisse, auf die man sich schon lange gefreut hat, denen man in irgendeiner Form große Bedeutung beimisst. Aber warum eigentlich? Viele davon wären doch viel schöner, wenn man dort nicht dem verdammten Sauf-Zwang unterliegen würde.

Festivals zum Beispiel. Festivals finden an den herrlichsten Orten statt: an alten Flughäfen, auf weiter Flur, an großen Badeseen, auf Inseln und Weinbergen, in Wäldern. Sie sind auch sonst eigentlich ganz wundervolle Veranstaltungen: Dort treffen sich Hunderte bis Tausende zumindest musikalisch Gleichgesinnte, darunter unsere Freunde, alle gewillt, die Zeit miteinander campend, tanzend, lachend zu genießen. Blöd nur, dass wir uns das Ganze anscheinend immer versau(f)en müssen. In den meisten Fällen findet man uns dort nämlich eher grölend, pöbelnd, kotzend.

Was wir vom Festival mitnehmen: Pegel, Kopfweh und Rausch-bedingte Verletzungen

Wo liegt denn der Sinn darin, teils hunderte Kilometer weit zu einer besonders coolen Location zu fahren und viel Geld für einen Haufen toller Konzerte auszugeben, wenn wir im Rausch kaum noch etwas wahrnehmen? Letztendlich nehmen wir doch fast nichts von dort mit – außer einen gewissen Pegel natürlich, Kopfschmerzen und einige andere Rausch-bedingte Verletzungen. Klar, ein paar gute Trunkenheitsgeschichten werden schon auch dabei sein. Aber die kann man sich doch dann auch woanders holen, wo man dafür nicht gar so viel verpasst.

Sowieso sind die Folgen des Trinkens auf Festivals besonders unangenehm. So ein Festival bedeutet schließlich, drei oder mehr Tage am Stück durchhalten zu müssen, obwohl man sich tags wie abends mit Billigbier volllaufen lässt. Mir schlägt das spätestens im Laufe der ersten Nacht auf die Stimmung, wenn der Kater dank Day-Drinking bereits einsetzt.

Von da an kann es eigentlich nur noch bergab gehen mit mir: Spätestens an Tag zwei schwitzt mein Körper das Gift des Vortages aus, ich fühle mich klebrig und eklig und mein Schädel brummt, alles dreht sich. Ich will nichts, als in Ruhe duschen und Zähneputzen und auf die Toilette gehen. Was natürlich nicht machbar ist. Die sanitären Anlagen sind von den ersten Alkoholleichen schon längst vollgekotzt oder, pardon, vollgeschissen.

Der Alkohol auf der Reinfeier-Party ruiniert den eigentlichen Geburtstag

Nun gehe ich aus eben diesen Gründen inzwischen nur noch selten auf Festivals. Das scheint mir die einfachste Lösung. Andere Ereignisse, bei denen das Trinken quasi obligatorisch ist, kann ich nicht so einfach umgehen. Sie gehören zu meiner Lebenswelt dazu.

Geburtstagspartys zum Beispiel. Konkreter: die eigene. Ich meine jedes Jahr, mit einer Party reinfeiern zu müssen. Und wenn ich es nicht meine, kommt jemand anders auf die Idee eine solche überraschungshalber zu organisieren. Das gehört schließlich dazu, wer schläft schon in den eigenen Geburtstag hinein?

Das nächtliche Feiern verdirbt aber den darauffolgenden Tag vollständig. Immerhin will am Geburtstag jeder Gast noch mal extra mit dir anstoßen. Am besten mit Schnaps. Der Kater fällt dementsprechend monströs aus – und ruiniert, zumindest ein Stück weit, all die anderen schönen Geburtstagstraditionen, die erst am Tag darauf stattfinden.

Man könnte nun natürlich für sich selbst die Entscheidung fällen, nicht mitzutrinken. Aber am eigenen Geburtstag nicht zu trinken, obwohl man kein rigoroser Alkohol-Abstinenzler ist – das kommt erstens bei den Gästen nicht gut an und zweitens irgendwie auch bei einem selbst nicht, während doch alle anderen am Trinken sind.

Noch unangebrachter: Alkohol bei emotional aufgeladenen Massenveranstaltungen

Es gibt allerdings auch Veranstaltungen, auf denen ich mir wünschen würde, dass dort niemand trinkt – weil sie so allgemein verträglicher würden.

Zum Beispiel Demonstrationen. Als ich zuletzt auf einer großen Demo in München war, ärgerte ich mich besonders. Denn die Bierflaschen in den Händen einiger Demonstranten können bei einem solchen Massenauflauf gefährlich werden – ob beabsichtigt oder nicht. Im Gedränge fiel eine runter und zerbrach direkt vor den Füßen eines Kindes. Das hätte auch anders ausgehen können. Aber natürlich geht es vor allem um das, was erst in den Bierflaschen, dann im Blut der Demonstranten ist: verflüssigte Enthemmung.

Wer demonstriert, tut das, weil ihn etwas ärgert. Was also enthemmt wird, ist das Gefühl der Wut. Und das kann manchmal zu einem Problem werden. Auf der Demo in München allerdings blieb alles friedlich.

Ähnliches Phänomen: das Trinken im Fußballstadion. Der Alkohol, der dort in rauen Mengen getrunken wird, sorgt immer wieder dafür, dass die ohnehin schon heftigen Emotionen noch weiter hochgeschaukelt werden – und das Stadion schnell kein besonders gemütlicher Ort mehr ist. Sondern einer, in dem dir erst jemand unabsichtlich Bier rüberkippt, und du später von betrunkenen Fans der gegnerischen Mannschaft angepöbelt wirst. Mindestens angepöbelt.

Je wichtiger das Event, desto mehr wird getrunken

Von den Gefahren des Alkohols wissen wir natürlich schon länger: der Enthemmung, der verzerrten Wahrnehmung, dem Kater am nächsten Tag. Und doch füllen wir uns die schönsten Momente unseres Lebens mit alkoholischen Getränken auf, als könnten wir sie nur so genießen. Ich finde das nicht sinnvoll – obwohl ich in alltäglicheren Situationen gerne trinke.

Denn sich die schönsten Momente immer noch schöner trinken zu wollen, hat für mich etwas von Maßlosigkeit. Besonders, weil dabei die Regel zu gelten scheint: je wichtiger das Event, desto mehr wird getrunken. Je mehr aber getrunken wird, desto mehr entfernt sich die eigene Wahrnehmung vom realen Erlebnis.

Und das ist so schade am Alkoholkonsum während so besonderer Erlebnisse: Wir können gar nicht mehr unverfälscht sagen, was sie so besonders gemacht hat. Außer vielleicht, dass wir damals besonders besoffen waren.

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