Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Die Kids trinken nicht mehr

Illustration: Federico Delfrati

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Streng genommen war ich ein paar Zentimeter über die Haltelinie an der roten Ampel gefahren, der Bus, der aus der Gegenrichtung in meine Straße einbog, kam gerade so an meinem Fahrschulauto vorbei. Ich traute mich nicht, im Rückspiegel auf meinen Prüfer zu schauen. Als er dann sagte: „Die Linie ist ja auch schon sehr verblichen, kann man schon mal übersehen“, war mir klar, dass ich meinen Führerschein doch bestanden hatte. Als Deutschland Weltmeister wurde, saß ich mit zwei guten Kumpels auf der Terrasse, wir sprachen 113 Minuten kein Wort, bis Mario Götze uns unsere Stimme wiedergab. Und als ich zum ersten Mal in meinem Leben bewusst Alkohol trank, fühlte ich mich wie ein König. 

In unserer Gesellschaft findet gerade ein Wandel statt, das hat eine von der Bundeszentrale für gesellschaftliche Aufklärung (Bzga) vergangene Woche veröffentlichte Studie klar gemacht. Jugendliche trinken heute ihren ersten Schluck Alkohol mit 14,9 Jahren. Später als jemals zuvor. 14,9 Jahre! 

Gerade 13, so alt waren, glaube ich, alle meine Freunde um mich herum, als sie zum ersten Mal tranken. Damit wären sie heute krasse Frühstarter.

Ich war 13 Jahre alt geworden und bin ein paar Tage danach mit zitternden Händen in den Dönerladen unten am Marktplatz gegangen. Ich blieb ruhig, sollte ja keiner meinen noch andauernden Stimmbruch bemerken oder meine feste Zahnspange sehen. Der Mann hinter der Theke war vielleicht 18, kam mir aber unheimlich erwachsen vor und  reichte mir einen Döner. Er fragte: „Alles?“ Ich schüttelte nur meinen Kopf, sagte nichts  und nahm eine Dose Mixery aus dem Kühlschrank neben mir. Der Verkäufer tippte auf seine Kasse, ohne mich anzugucken. Fünf Mark legte ich ihm hin und konnte mein Glück kaum fassen. Er hatte mir wirklich Alkohol verkauft! Ohne nach meinem Ausweis zu fragen!

Den Döner warf ich weg, ohne ihn anzubeißen. Ich rannte zu meinen Kumpels hinter die nächste Ecke, wo sie warteten und gewettet hatten, ob ich mit Colabier zurückkäme. Meine Dose leerte ich in ein paar viel zu großen Schlücken. Ich kam mir unfassbar cool vor. 

Daran, dass Alkohol schädlich ist, dass er fett und müde macht, dass ein Mensch süchtig werden und an ihm zu Grunde gehen kann – daran verschwendete ich nicht den Bruchteil eines Gedankens.

Jeder Mensch weiß noch, wie er seine Führerscheinprüfung absolviert hat, wie unser Land Fußball-Weltmeister wurde – und wie er zum ersten Mal Alkohol getrunken hat. Behaupte ich einfach mal, nach Umfragen in meinem Freundeskreis. Genau wie die Erinnerung an den ersten Sex, die verliert auch keiner. Zwei der großen Entwicklungsstufen im Leben. An einem Sommertag im Jahr 2001 stand ich also in einer kleinen Gasse meines Heimatdorfes, hielt in der rechten Hand eine leere Dose und war endlich keine Bier-Jungfrau mehr.

"Alkohol macht müde und fett, beides finden junge Leute heute uninteressant"

"Alkohol macht müde und fett, beides finden junge Leute heute uninteressant", sagt Johannes Lindenmeyer, Direktor der Salus Klinik in Lindow, die sich auf Suchtprobleme spezialisiert hat. "Aktiv sein, lange aufbleiben können, fit sein - und das auch ausstrahlen - all das wird bei jungen Leuten immer wichtiger.“

Ich werde bald 30 und frage mich: Ist die Generation nach mir spießig geworden? Oder ist sie einfach nur unglaublich schlau?

Aktiv sein und lange aufbleiben? Konnten wir damals mit Biermischgetränken und Alkopops besser. Und heute? „Man kann von einer Anti-Exzess-Generation sprechen“, sagt der Jugendforscher Philipp Ikraht. "Das Ausschweifende ist nicht mehr cool, es geht zunehmend um Leistung." Faulenzer hätten ausgedient, der 13-Jährige von heute achte lieber auf seine Disziplin und auf seine Leistungs- und Durchsetzungsfähigkeit. Bitte?

Nur noch zehn Prozent der 12- bis 17-Jährigen gaben in der Studie an, regelmäßig - also mindestens einmal pro Woche - Alkohol zu trinken. 2004, als ich 17 Jahre alt war und mindestens Freitag und Samstag feierte, waren es noch mehr als doppelt so viele, die zu ihrem Rausch standen.

Ich weiß, Alkohol ist die schädlichste aller Drogen. Mehr als 9,5 Millionen Deutsche trinken so viel, dass man ihren Konsum „riskant“ nennen muss. 1,3 Millionen sind alkoholabhängig. Zehntausende sterben jährlich an den Folgen von Alkohol.

Deshalb ist es zumindest mal ein Zeichen von Intelligenz, nicht zu trinken. Kann man nichts gegen einwenden – eigentlich.

Der Führerschein für Alkohol

Man muss aber doch nicht gleich als Faulenzer, Tunichtgut und Nichtskönner gelten, wenn man (in Maßen) trinkt. Als risikoarm gilt eine Dosis von 24 Gramm reinem Alkohol pro Tag, was etwa 0,6 Litern Bier entspricht. Gegen das, was hinter dem Alkohol-Verzicht steckt, gibt es durchaus Einwände. Müssen die Kids von heute im Umkehrschluss nämlich schon mit 13 fokussiert und diszipliniert auf ihre Karriere als Highperformer hinarbeiten? Immer nur auf Leistung bedacht, eine Anti-Exzess, Pro-Streber-Generation? 

Johannes Lindenmeyer, der Suchtforscher, hat einen Vorschlag zur Güte: So etwas wie einen Führerschein für Alkohol. Wer schließlich für den Straßenverkehr zugelassen wird, muss sich vorher auf dessen Gefahren vorbereiten. "Warum die Jugendlichen nicht in gleicher Weise auch auf den Alkoholkonsum vorbereiten?", sagt Lindenmeyer. Nicht, weil er Jugendliche zum Alkohol verführen wolle. "Aber wenn sie es probieren wollen, dann macht es doch mehr Sinn, sie trinken das erste Glas Wein oder Sekt unter Aufsicht."

Alkohol in jungen Jahren streng zu beaufsichtigen macht Sinn, ja. Aber manchmal macht es genau so Sinn, mal darüber hinwegzusehen. 

Mehr Alkolumnen: 

  • teilen
  • schließen