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Warum man so gerne von Rausch-Kotzern erzählt

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

In der achten Klasse hat E. aus der Parallelklasse blau gekotzt. Auf Klassenfahrt in Belgien übergab er sich in sein Jugendherbergs-Hochbett. E. hatte blauen Vodka getrunken – offenbar zu viel davon. Die Geschichte erzählte man sich noch wochenlang in der Schule und alle fanden es cool, fast alle zumindest.

Letztens auf einer Party. Wir saßen um einen braunen Holztisch, unterhielten uns, spielten ein Trinkspiel. Auf einmal stand C. auf, ging aufs Klo, das direkt an die Wohnküche grenzte. Er kam heraus, drehte wieder um. „Hast du gekotzt?“, schrie einer, als er zum zweiten Mal zurückkam. „Ja“, sagte C. genervt und setzte sich wieder hin. Die Unterhaltung ging weiter, als ob nichts geschehen wäre.

Es gibt verschiedene Typen des Rausch-Kotzens. Da sind einmal diejenigen, die es absichtlich tun. Sie sitzen auf ihrem Stuhl oder legen sich nachts ins Bett und merken, dass sich alles dreht. Und bevor das noch schlimmer wird, halten sie den Alkohol vorsichtshalber davon ab, noch weiter ins Blut zu gehen. Rationale Entscheidung. Entweder kurz spucken und dann wird es besser – oder nicht spucken und lange leiden.

Die einen verschwinden unauffällig auf der Toilette, die anderen brauchen maximale Aufmerksamkeit

C. von der Party gehört in die Kategorie derer, die zwar nicht absichtlich kotzen, es aber rechtzeitig erkennen, wenn es soweit ist. Sie begeben sich relativ entspannt zur Toilette und kommen meist genauso entspannt zurück. Sie wollen das Ganze möglichst übergehen und auf keinen Fall getröstet werden.

Ganz im Gegensatz zu denen, die völlig überrascht zur Toilette sprinten und gerade noch rechtzeitig die Kloschüssel erreichen – oder auch nicht. Ihnen muss man die Haare halten, oft dauert es Stunden, bis sie sich wieder von der schützenden Schüssel wegbewegen können. Sie sagen zwanzigmal, wie leid es ihnen tut und ziehen die volle Aufmerksamkeit auf sich, während die anderen sich vor der Klotür flüsternd nach ihnen erkundigen.

Man kann natürlich in verschiedenen Räuschen verschiedenen Gruppen angehören und auch mal in einem Rausch verschiedene Phasen nacheinander durchlaufen.

 

Es gibt noch eine vierte Gruppe der Rausch-Kotzer – diejenigen, die keine sind. Sie haben noch nie von Alkohol gekotzt. Ich gehöre selbst zu dieser Gruppe und habe manchmal das Gefühl, als würde ich mich outen, wenn ich jemandem davon erzähle. Ich werde in die Schublade der Braven gesteckt. Je jünger man ist, desto uncooler ist es, nie zu viel Alkohol zu trinken. Immerhin kann dann auch nie eine Geschichte kursieren, wie die von E.

 

Denn diese Geschichten stehen symptomatisch für etwas Höheres. Für die totale Hingabe ans Feiern, eine draufgängerische Coolness und den Kontrollverlust ohne Kompromisse. Wer einmal dem Gastgeber in die Spülmaschine gekotzt hat, geht ein in die Party-Annalen. Und wer immer diese Geschichte erzählt, signalisiert damit: Ich bewege mich in Kreisen, in denen man sich noch richtig gehen lassen kann.

 

Um die Coolness zu pflegen, müssen manchmal die alten Geschichten herhalten

 

Diese Anekdoten erzählen auch noch diejenigen, die selbst schon zu alt sind fürs Rausch-Kotzen. Denn irgendwann in den Dreißigern scheint sich eine Wende zu vollziehen. Auf einmal bedeutet zu viel trinken nicht mehr, ordentlich feiern zu können, sondern sich nicht unter Kontrolle zu haben. Um seine Coolness dann weiterhin zu pflegen, müssen hin und wieder die alten Geschichten herhalten.

 

Da hilft es zum Beispiel, die eine Freundin zu haben, die bis heute keinen Wein trinken kann. Der sogar schon schlecht wird, wenn man die Weinflasche auf der anderen Seite des Raumes entkorkt. Von der kann man dann erzählen. Ganz oft. Jedes Mal, wenn man Wein trinkt. Und dann, wenn man schon einmal dabei ist, kann man gleich mit E. und dem blauen Vodka weitermachen. Oder mit der Spülmaschine.

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