Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Diese Bombendrohungen treffen uns sehr hart"

Foto: Robert Cohen / dpa

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Shaya Lerner, 33, ist Assistant Director of Middle Eastern Affairs der Anti-Defamation League (ADL) in New York. Die ADL ist eine 103 Jahre alte Menschenrechts- und pro-israelische Lobby-Organisation. Sie setzt sich gegen Antisemitismus und andere Arten der Diskriminierung von Minderheitengruppen ein. Shaya hat mit uns über Antisemitismus in den USA, die Reaktionen der Politik und sein eigenes Sicherheitsgefühl gesprochen. 

jetzt: Wie geht es dir?

Shaya Lerner: Ich bin sehr beunruhigt. Vergangene Woche hat auch unser ADL-Hauptsitz hier in New York eine Bombendrohung erhalten.

Was genau ist passiert?

Jemand hat angerufen und gedroht. Das war sehr alarmierend. Unsere Büros wurden zwar nicht geräumt, aber es wurden sofort Ermittlungen eingeleitet. Vor ein paar Tagen hat unser Büro in San Francisco dann eine ähnliche Drohung erhalten.

Wie fühlst du dich damit?

Ich bin in den USA aufgewachsen und für mich und andere junge Juden hier war Antisemitismus nie ein großes Thema. Klar, es gab hier und da kleinere Vorfälle, aber unsere Eltern und Großeltern haben da sicher ganz andere Erfahrungen gemacht. Die junge jüdische Generation hat sich immer wohl und sicher gefühlt. 

Und das hat sich aktuell verändert?

Es ist mir wichtig zu betonen, dass wir in den letzten Jahren zwar einen Anstieg von Drohungen und einzelne Übergriffe beobachten konnten, aber dass das nicht zwangsweise einen gesellschaftlichen Sinneswandel widerspiegelt. Wir machen regelmäßig Umfragen und die Zahlen sind relativ konstant: Zehn bis 15 Prozent der Amerikaner vertreten antisemitische Meinungen. Aber diese Bombendrohungen treffen uns jetzt doch sehr hart. Sie zeigen gerade uns jungen Menschen, dass Antisemitismus in den USA nicht zwingend der Vergangenheit angehört. Dass es hier immer noch Menschen gibt, die Juden schaden wollen.

shayalerner 1

Shaya Lerner

Foto: oH

Was sind die Gründe dafür, dass es ausgerechnet jetzt so viele Vorfälle gibt?

Das ist schwer zu sagen. Angefangen hat es aber während des Wahlkampfs im vergangenen Jahr: Auf einmal gab es viele antisemitische Tweets und Posts gegen jüdische Journalisten oder bekannte Juden.

 

Hat also der Wahlkampf den Antisemitismus verstärkt?

Ich denke, die meisten hasserfüllten und antisemitischen Menschen haben ihre Weltsicht schon länger, aber sie haben sie eher unterdrückt. Das politische und gesellschaftliche Klima in den letzten Monaten hat einige dieser Menschen ermutigt, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Denn während des Wahlkampfs wurden Aussagen getroffen, die sich sich zwar nicht explizit gegen Juden richteten, aber gegen Minderheitengruppen, gegen Latinos, gegen Muslime. Und diese Aussagen waren sehr beunruhigend oder sogar hasserfüllt. Das hat ein Klima geschaffen, in dem es akzeptierter ist, zu hetzen. Und das macht mir sehr, sehr große Sorgen.  

 

Was muss sich ändern?

Präsident Trumps Statements gegen Antisemitismus in seiner Rede vor dem Kongress und während seines Besuchs des African American Museum in Washington waren sehr wichtig. Es ist allerdings etwas beunruhigend, dass es so lange gedauert hat, bis er sich geäußert hat, immerhin wurde er schon öfter darauf angesprochen. Außerdem müssen jetzt von Seiten der Regierung konkrete Schritte veranlasst werden: Das Justizministerium muss im Falle der Bombendrohungen Ermittlungen einleiten. Das FBI muss angewiesen werden, in der Strafverfolgung eng mit den lokalen Behörden in den einzelnen Staaten zusammen zu arbeiten und Trainings durchzuführen, wie mit Hasskriminalität umzugehen ist und wie mehr Informationen gesammelt werden können, um die Täter zu finden.

 

"Es ist rührend zu sehen, wie muslimische und jüdische Gemeinden zusammenkommen, um sich zu unterstützen"

 

Was macht ihr als ADL als nächstes?

Wir arbeiten gerade an einer Lobby-Kampagne, um die Regierung davon zu überzeugen, die genannten Schritte vorzunehmen. Und wir gehen regelmäßig an die Öffentlichkeit und haben zum Beispiel Statements verfasst. 

 

Es gibt zur Zeit auch immer wieder Berichte über islamophobe Übergriffe in den USA. Was sagst du dazu?

Ja, leider gab es davon eine ganze Menge. Aber es ist rührend zu sehen, wie muslimische und jüdische Gemeinden zusammenkommen, um sich zu unterstützen. Nach den Schändungen jüdischer Friedhöfe in Philadelphia und St. Louis haben Muslime Geld für die Reparaturen gesammelt oder selbst auf dem Friedhof geholfen, Grabsteine wieder aufzustellen. Und nach der Brandstiftung in einer Moschee in Tampa, Florida, hat die jüdische Gemeinde dort ebenfalls Geld gesammelt. In diesen schwierigen Zeiten halten Menschen verschiedenen Glaubens zusammen.

 

Kannst du dich erinnern, wann du das erste Mal realisiert hast, dass es so etwas wie Antisemitismus gibt?

Die Eltern meiner Mutter sind Holocaust-Überlebende und nach dem Krieg in die USA ausgewandert. Durch sie habe ich schon früh davon gehört, es war mir also eigentlich immer schon bewusst. Aber ich habe Antisemitismus dadurch eher mit Europa verbunden. Was die USA anging, habe ich von meinen Eltern und Großeltern, die hier aufgewachsen sind, von kleineren Vorfällen gehört, aber es war meist nichts, über das wir uns große Sorgen gemacht hätten. Das Judentum ist in den USA Teil der Kultur, es gibt viele berühmte Juden, Schauspieler, Sänger, Komiker, die offen darüber sprechen oder Witze darüber machen. Das sorgt für eine sehr positive Wahrnehmung des Judentums in der Öffentlichkeit. Und es zeigt auch, dass die Situation für amerikanische Juden in den vergangenen Jahrzehnten sehr sicher und angenehm war. Das war ja nicht immer so: Als die europäischen Juden vor 60 oder 70 Jahren eingewandert sind, haben sie ihre Nachnamen geändert, damit sie nicht jüdisch klingen, und haben es vermieden, öffentlich über das Judentum zu sprechen.

 

Fühlst du dich wegen der aktuellen Vorfälle zur Zeit weniger sicher?

Nein. Andrew Cuomo, der Governor von New York, hat vergangene Woche als Reaktion auf die Bombendrohungen eine Pressekonferenz gehalten. Er hat die Starverfolgungsbehörden angewiesen, die Verantwortlichen zu finden, und sprach darüber, den Schutz für jüdische Gemeinden zu erhöhen. Es macht mir Mut, dass die Politik die Vorfälle ernst nimmt.

 

Und im Alltag, in der Stadt?

In New York ist es sehr sicher. New Yorker kümmern sich umeinander. Klar, es gibt auch hier Fälle von Antisemitismus und Intoleranz gegenüber Minderheiten – aber es gibt eben auch Geschichten wie die vor einigen Wochen. Da gab es in einem U-Bahn-Wagen der Linie 1, mit der ich jeden Tag fahre, antisemitische Schmierereien wie „Juden in die Gaskammern“ und Hakenkreuze. Und dann haben Fahrgäste sich einfach zusammengetan und diese Schmierereien entfernt. Das waren nicht unbedingt Juden, sondern einfach Menschen, die gesagte haben: „Das ist hasserfüllt, das wollen wir hier nicht.“ Das war sehr bewegend und sagt glaube ich viel darüber, wer die New Yorker sind.

Und die Frage, die sich hier unweigerlich anschließt:

  • teilen
  • schließen