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Kollegah, ein Antisemit?

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"Zu viele Leute und zu wenig Zeit. Müssen wir halt fortsetzen und nicht so schnell die Themen wechseln" – das ist das Fazit von Shahak Shapira, nachdem er knapp 50 Minuten mit der Autorin und Komponistin Kat Kaufmann und den Rappern Ali As und Kollegah über Antisemitismus diskutiert hat. Inklusive Kollegahs im Hintergrund stehender,  böse blickender, aber stummer Stiernacken-Entourage.

In dem auf Kollegahs Youtube-Kanal veröffentlichten Video versichert der Rapper, dass er kein Antisemit sei und die Politik Israels, die er kritisiert, strikt vom jüdischen Glauben trennen würde. Er sagt: "Jeder Mensch ist gleich viel wert, jeder Mensch wird von uns nur nach seinem Charakter beurteilt, nicht nach seiner Herkunft, seiner Ethnie oder sonstiges." Das nimmt man ihm ab. Und auch sonst ist lobenswert, dass Kollegah sich, im Gegensatz zu anderen deutschen Rappern, die ebenfalls Antisemitismus-Vorwürfen ausgesetzt sind, der Diskussion stellt.

Immerhin sind seine Gesprächspartner keine unbekannten Namen:  Kat Kaufmanns Debütroman handelt von der Tochter jüdischer Einwanderer in Berlin, für das Magazin "Das Wetter" hat sie eine Titelgeschichte über den kontrovers diskutierten Rapper Taktloss geschrieben. Shahak Shapiras Kunstprojekt "Yolocaust" über unpassende Fotos am Berliner Holocaustmahnmal ging um die Welt, in seinem Bestseller "Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen!" verarbeitet er seine Jugend in Sachsen-Anhalts NPD-Hochburg Laucha an der Unstrut. Aber wie kam es überhaupt zu dieser interessanten Begegnung?

Im Januar wurde Kollegah für seine Musik öffentlich vom Zentralrat der Juden kritisiert: Er sei ein "Sänger, der Antisemitismus, Homophobie und Gewalt gegen Frauen propagiert, der zu Gewalt gegen Minderheiten und Schwächeren aufruft", schrieb der Zentralrat in einem offenen Brief an Patrick Burghardt (CDU), Oberbürgermeister der Stadt Rüsselsheim. Dort sollte Kollegah Ende Januar beim vom Land finanzierten Hessentag auftreten, das Schreiben wurde auch vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen, dem Jüdischen Frauenbund, der Jüdischen Studierendenunion, der Claims Conference sowie den Vereinen "Amcha Deutschland" und "Gesicht zeigen!" unterzeichnet. Es löste eine entsprechende mediale Diskussion aus. Am Ende machte der Veranstalter einen Rückzieher und sagte das Konzert ab.

 

Damit war das Thema allerdings noch nicht gegessen, denn Kollegah fühlte sich von den Vorwürfen zu Unrecht in eine Ecke gedrängt. Die ihm angelastete Line aus dem Song "Sanduhr" vom Dreifach-Gold-Album "King" sei nicht von ihm, sondern Label-Kollege Favorite eingerappt worden. Sie lautete: "Ich leih dir Geld, doch nie ohne 'nen jüdischen Zinssatz mit Zündsatz".  Auch als homophob oder frauenfeindlich sehe er sich nicht, da es im Battlerap nun mal gängiges Stilmittel sei, einen Gegner mit allen Mitteln zu degradieren. Um politische Korrektheit gehe es da nicht, um Kunstfreiheit aber eben schon.

 

Dass Kollegah bereits im Dezember vergangenen Jahres eine Dokumentation seiner Reise ins Westjordanland veröffentlicht hatte, heizte die Antisemitismus-Diskussion weiter an. In dem Video steht vor allem er selbst im Mittelpunkt, Einheimische kommen kaum zu Wort. Dass er darin zudem mit einem Luftballon in Raketenform in Richtung israelische Grenze zielt, sorgte ebenfalls für Ärger. Antisemitische Äußerungen gibt es in dem Clip allerdings nicht.

 

Es entsteht ein Diskurs über Kollegahs Schaffen, der nicht im Feuilleton geführt wird, das viele Kollegah-Fans gar nicht erst wahrnehmen

 

In einem offenen Brief an den Zentralrat der Juden suchte Kollegah daraufhin "eine öffentliche Diskussionsrunde", die allerdings nicht zustande kam. Kommentare aufgebrachter Kollegah-Fans, die sogar den Holocaust beschönigten, gab es stattdessen wirklich. An dieser Stelle schaltete sich Shahak Shapira ein: In einem Facebook-Post kritisierte er, dass Kommentare wie "Bock auf Endlösung" nicht gelöscht würden.

Einige Tage später, am 2. Februar 2017, saß Kollegah dann bei Jan Böhmermann im Neo Magazin Royale. Anstatt das Thema offen anzusprechen, schrieb Böhmermann dort für Kollegah die Nummern von Kat Kaufmann und Shahak Shapira (und aus Spaß auch die von Volker Beck: "der kommt immer günstig an Crystal Meth") auf einen Zettel und legte Kollegah nahe, sich doch mit denen mal über Antisemitismus zu unterhalten. Das ist jetzt tatsächlich passiert. 

 

Letztendlich ist die Gesprächsrunde aber leider viel zu kurz und wirr, um alle Probleme und die Einstellung vieler Fans von Kollegah gegenüber Juden ausführlich zu diskutieren. Trotzdem ist sie wichtig, räumt Missverständnisse aus dem Weg. Auch, dass das Gespräch über Kollegahs Youtube-Kanal veröffentlicht wurde und so diejenigen erreicht, die sonst nur seine Musikvideos anklicken, ist ein gutes Zeichen. Es entsteht ein Diskurs über sein Schaffen, der nicht von oben herab im Feuilleton geführt wird, das viele Kollegah-Fans gar nicht erst wahrnehmen. Alles gesagt ist natürlich noch nicht. Die Brisanz der Doku, der Nähe zu Verschwörungstheorien und  von Aussagen wie "ihr (die Juden) seid im Gegensatz zu anderen Gruppen die Einzigen, die sich in der Opferrolle sehen", mindert die Runde nicht. Aber sie zeigt, wie ein Rapper Vorwürfe entkräftet, die gegen ihn von Leuten erhoben wurden, die sich gar nicht erst mit seiner Musik beschäftigen. Kollegah äußert sich dann auch kritisch gegenüber Vorurteilen junger Fans, die mit antisemitischen Klischees aufwachsen, weil ihre Wurzeln in Staaten liegen, in denen Israel als Feindbild gilt. Das ist ein wichtiger Anfang. Leider switcht die Runde dann aber auch thematisch schnell zu Moneyboy und Klamauk , weil irgendwann immer der Punkt käme, an dem keiner mehr Bock hat, über den Nahostkonflikt zu sprechen, wie Shapira resümiert. Kollegahs Fazit ist schlicht: "Gemütliche Gesprächsrunde" und am Ende darf Shapira dann noch rappen. 

 

Nur Volker Beck ließ sich nicht blicken, dabei war er doch auch eingeladen. Auf Twitter ließ er zu dem Thema verlauten: "Ihr wolltet Euch terminlich nicht abstimmen - grundsätzlich Ja." Wir sind gespannt auf die hoffentlich fruchtbarere Fortsetzung.

 

 

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