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Gin Tonic statt Meetings

Illustration: Katharina Bitzl

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Ab und zu finde ich morgens Nachrichten in meinem Arbeitspostfach, versandt mitten in der Nacht, die Betreffzeile voller Tippfehler. Trotzdem freuen mich diese Mails: weil sie immer gute Ideen enthalten.

Der Absender dieser Mails bin ich selbst. Oder ein Kollege. Geschrieben haben wir sie in einer Bar oder einem Klub. Als Erinnerung, weil wir den Einfall zwischen Gin Tonic Nummer zwei und drei nicht vergessen wollten.

Irgendwann fragte ich mich: Gibt’s da einen Zusammenhang? Zwischen Trinken, Feiern und guten Ideen? Und weitergedacht: Könnte unser Arbeitsleben viel einfacher und schöner sein, wenn man sich öfter mit Kollegen betrinkt, anstatt sich in anstrengenden Meetings Ideen abzuringen? Brauchen wir mehr Exzess in unserem Arbeitsleben?

In der heutigen digitalisierten und technisierten Arbeitswelt kommt es in vielen Berufen nicht mehr darauf an, in monotonen Routineschritten ein Pensum abzustottern. Der Büromensch muss Probleme lösen, Neues erfinden, meistens im Team. Also braucht er ein Umfeld, in dem das funktioniert – Kreativität braucht bestimmte Voraussetzungen.

Ideen haben wir, wenn in unserem Gehirn vorhandene Informationen neu verknüpft werden. Es kommt, vereinfacht gesagt, nur vorhandenes Wissen aus der einen Hirnecke mit vorhandenem Wissen aus einer anderen zusammen. Heißt: Es müssen möglichst viele Ecken gleichzeitig aktiviert werden, damit wir weiträumig denken. Professor Siegfried Preiser, Kreativitätsforscher an der Psychologischen Hochschule Berlin, sagt: „Zwanghafte Perfektion ist der Gegenspieler von Kreativität. Wir brauchen eine Grundhaltung, in der wir keine Angst haben, in eine Sackgasse zu geraten oder Fehler zu machen.“ Auch das Umfeld – Einrichtung, Architektur, Menschen – sollte anregend sein.

Ein steriler Konferenzraum, in dem man genau eine halbe Stunde Zeit hat, um ein Konzept zu entwickeln, das dann pünktlich dem Chef präsentiert werden muss, ist für Kreativität also in etwa das, was Trump für die Beziehungen zwischen den USA und Mexiko ist: ein Killer. „Die Kneipensituation ist da schon besser“, sagt Preiser. „Auch ohne Alkohol.“

Der hat aber trotzdem, wenn man ihn in Maßen zu sich nimmt, eine kreativitätsfördernde Wirkung. „Alkohol baut Schranken ab: Man öffnet sich und traut sich, Grenzen zu überschreiten“, sagt Professor Hasso Spode, Historiker mit dem Schwerpunkt Alkoholforschung am ­Willy-Scharnow-Archiv der TU Berlin.

 

Ein durchzechter Abend kann außer­dem ein Zusammengehörigkeits-gefühl erzeugen, sogar über diesen Abend hinaus: Menschen, die gemeinsam auf einem Tisch peinliche Dancemoves vollführt haben, machen einander im Büro eher unkonventionelle Vorschläge.

 

Kreativität braucht auch eine ziel­orientierte Motivation. „Man muss vom Thema begeistert sein“, sagt Psychologe Preiser. „Und die, die mitdenken sollen, begeistern.“ Wer schon mal den Enthusiasmus erlebt hat, mit dem angetrunkene Menschen von ihren Ideen erzählen, kann sich ausrechnen, dass die Bar auch in diesem Punkt vielleicht besser funktioniert als der Konferenzraum.

 

Klingt für mich, als täte ein bisschen mehr Partyatmosphäre im Job ganz gut. Es ist ja auch noch ein wenig Luft, bis es wirklich ungesund werden würde. Abstinenz ist gerade populär: Wir achten auf einen gesunden Lebensstil, präsentieren Smoothies auf Instagram, Bürogebäude sind zu Wellnessoasen mit Obstbars mutiert. Alkoholhistoriker Spode sagt: „Wir leben in einer extrem asketischen Zeit.“ Noch. Denn die Askese sei jetzt Mainstream, aber die Menschen werden irgendwann wieder risiko-freudiger werden, meint Spode.

 

Bis Büros wieder aussehen wie das von Don Draper, mit Schnapsbar und vom Rauch vernebelt, kann es noch Jahrzehnte dauern. Ein bisschen mehr Exzess im Arbeitsleben dürfen wir uns aber jetzt schon gönnen. Mit Betonung auf „ein bisschen“ – denn, das sollten wir nicht vergessen: Zu viel Alkohol auf Dauer bewirkt das Gegenteil – mit drei Gehirnzellen gibt es keine guten Ideen mehr, sondern echte Probleme.

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