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„Wenn Wiesn ist, komme ich zu dir zu Besuch, okay?“

Collage: Daniela Rudolf / Fotos: Christof Stache, AFP / freepik

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Ich teile meine Wohnung gerne mit Freunden. Ich bin, glaube ich, eine gute Gastgeberin, mache an den Wochenenden, an denen Besuch da ist, riesige Frühstücke, und wenn die Besucher München nicht eh schon kennen, zeige ich ihnen die Stadt und die Ecken, die wirklich cool sind (denn die gibt es). Ich liebe es, dieses München herzuzeigen, denn dann mag ich es auch selbst wieder sehr gern.

An jedem verdammten Wochenende im Jahr könnt ihr zu Besuch kommen, sogar an Ostern und Weihnachten, wenn ihr wollt. Aber bitte nicht an den drei Wochenenden Ende September und Anfang Oktober, wenn Wiesn ist.

Regelmäßig rufen kurz vor dieser Zeit Freunde an, von denen man monatelang nichts gehört hat, und sagen: „Du, wir wollten auf die Wiesn gehen, da pennen wir dann an dem Wochenende bei dir, okay?“ Und wenn ich mich davon überrumpeln lasse und nicht schnell genug „nein“ sage, habe ich ein Problem.

Und zwar nicht, weil ich Angst habe, dass ihr mir die Bude vollkotzt (ich verlasse mich drauf, dass ihr den Eimer oder die Toilette trefft). Es gibt zwei andere, wesentliche Gründe, warum euer Besuch zum Wiesn-Wochendende eine Schnapsidee ist.

Erstmal setzt mich euer Besuch einfach irsinnig unter Druck, weil ich dann aus genetisch gegebener Rechtmach-Sucht will, dass ihr eine schöne Zeit auf der Wiesn habt. Denn davon hängt dann ja auf einmal euer ganzes München-Bild ab. Dass man nur eine Dreiviertelstunde braucht, um in die Berge zu fahren? Dass hier goldener Herbst wirklich den ganzen Tag Sonne und über 20 Grad bedeutet (sorry, Hamburg)? Alles egal, wenn wir auf der Wiesn keinen Tisch finden und der oder die erste eine Massdusche abbekommt, bevor wir selbst angetrunken genug sind, um das zu ignorieren.

Deswegen muss ich dann aus Höflichkeit mitgehen. Weil ihr ja wirklich nicht wisst, in welches Zelt man am besten geht und euch in eurer Ahnungslosigkeit vors Käferzelt stellt (ohje) oder vor Wiesn-Zelte, in denen Löwenbräu ausgeschenkt wird (da hilft dann nicht mal mehr der Eimer). Weil ihr niemals wieder den Weg nach Hause findet. Und weil ihr nicht wisst, wann der beste Zeitpunkt ist, um zu gehen (immer irgendwann zwischen 21 und 22:30 Uhr, wirklich).

Dazu kommt aber noch, dass die Aufgabe, euch ein schönes Wiesn-Erlebnis zu bescheren, am Wochenende ungleich schwerer ist als unter der Woche. Wiesn am Wochenende, das bedeutet nicht nur eine Menge mehr Menschen und ungewollten Körperkontakt in den öffentlichen Verkehrsmitteln (ich dachte lange, der Fußballbegriff „Pressing“ käme von jemandem, der zu viel Zeit in einer Münchner S-Bahn während des Oktoberfestes verbracht hat). Es bedeutet auch: Zelte, die wegen Überfüllung ab 12 Uhr geschlossen sind. Biergärten, die wegen Überfüllung geschlossen sind. Noch gestresstere Bedienungen als sonst. Fußball-Fans, die nach dem Bundesliga-Heimspiel die Wiesn stürmen. Wiesn-Junggesellenabschiede. Die Wiesn am Wochenende ist die Stress-Version der nicht unstressigen Wiesn. Und das ist keine Jammerei, sondern Fakt.

Nicht falsch verstehen: Es soll Münchner geben, die gehen gerne und oft auf die Wiesn. Die schon Wochen im Voraus anfangen, ihre Wiesn-Verabredungen zu koordinieren, die mit Arbeitskollegen, Freunden, annderen Freunden und angeblich sogar mit ihren Eltern ins Bierzelt gehen (da glaube ich ja immer noch, dass das ein Gerücht ist). Und die Business-Kasper müssen auch noch ständig Geschäftspartner abfüllen. Macht schon unter der Woche einige Oktoberfesttermine, aber meistens reichen diese fünf Tage nicht aus, deswegen muss noch das Wochenende herhalten.

Ich gehöre nicht zu dieser Gruppe und versuche, nur ein- oder maximal zweimal auf die Wiesn zu gehen. Dann gehe ich gerne, danach reicht es aber auch wieder für ein Jahr. Und nie im Leben käme ich freiwillig auf die Idee, einen Samstag oder Sonntag mit dem Oktoberfest zu verplanen. Denn, und das ist der zweite Grund, warum ich keinen Wiesn-Wochenendbesuch will: Die Wiesn-Wochenenden sind viel, viel wichtiger als alle anderen Wochenenden im Jahr.

Wir brauchen diese Wochenenden nämlich, um uns von der Wiesn, die sich in der ganzen Stadt breit macht, zu erholen. Und euer Besuch bedeutet einen Regenerationstag weniger. Für viele Menschen, die in München wohnen, sind die sechs Wiesn-Wochenend-Tage wichtig, weil sie da nicht aus dem Haus gehen müssen zum Pressing.  Und wenn doch, dann können sie in die Berge fahren, wo keine Sau ist, weil sich alle anderen in der Stadt zuballern oder herumkatern. Und wer zu Hause bleibt, der kann endlich das machen, wofür er sonst bei Sonnenschein ein zu schlechtes Gewissen hätte: Steuer! Fenster putzen! 24 Stunden Bolognese-Soße kochen! Und, das Allerbeste: So tun, als gebe es gar kein Oktoberfest. Für 48 Stunden. Denn viel zu schnell kommt der Montag und mit ihm die Erkenntnis: Ach, Mist, da war doch was.

Ich jedenfalls brauche diese Wiesn-freien Wochenenden. Sonst würde ich das nicht jedes Jahr aufs Neue aushalten. Und wenn ihr gerade überlegt, ob ihr Freunde in München an einem der besagten Wochenenden besuchen sollt, bitte ich euch von ganzem Herzen: Tut es nicht. Kommt doch im Mai, da ist es hier wirklich sehr, sehr schön.

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