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Sieben Gründe, warum der Kölner Karneval die beste Art zu feiern ist

Foto: Federico Gambarini / dpa

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„Et jitt kein Wood, dat sage künnt, wat isch föhl, wenn isch an Kölle denk – oh oh ohhh“. Ich weiß nicht, wie oft ich diese Zeilen schon voller Rührung und vollkommen unironisch mitgegrölt habe. Dabei sehe ich Patriotismus, auch auf lokaler Ebene, sonst ziemlich kritisch und dass ich gröle, kommt auch eher selten vor. Aber, man muss wissen: Ich bin Kölnerin. Und wenn ich an Karneval in Kölle denke, dann jeht ming Hetz uff

Viele Menschen verbinden mit Karneval ganz andere Dinge – Saufen ohne Limit, Sexismus, rassistische Verkleidungen, Vereins-Klüngel und Büttenreden auf Kosten von Minderheiten und Marginalisierten. Und es stimmt: All das ist leider auch Teil des Karnevals. Darüber muss weiterhin gesprochen werden. Wir sollten schließlich respektvoll und friedlich miteinander feiern können. Ich persönlich verbinde mit Karneval nämlich auch viele wunderbare Kindheits- und Jugenderinnerungen, Gemeinschaft, Kreativität und ein bisschen Anarchismus. Ich fände es schade, wenn das verloren gehen würde. Denn es gibt mindestens sieben Gründe, warum Kölner Karneval sehr schön sein kann:

1. Man freundet sich mit Fremden an – und bleibt trotzdem anonym

Mit völlig Fremden mitten auf der Straße oder in der U-Bahn ein Lied anstimmen und schunkeln – im Kölner Karneval ist so was total normal. Wenn man Straßenkarneval feiert, dann macht man in der Regel mehr Bekanntschaften als sonst über das ganze Jahr verteilt. Die sind dann natürlich meist auch flüchtiger, aber zum einen oder anderen deepen Gespräch wird es bestimmt kommen. Das Schöne ist nämlich: Durch die Verkleidung bleibt man ein Stück weit anonym – und traut sich deshalb, mehr aus sich herauszugehen. 

2. Gefeiert wird vor allem tagsüber

Kölner Karneval wird vor allem tagsüber gefeiert – sei es auf der Straße, bei Umzügen, in Kneipen, Bars oder zwischendurch auch mal im Dönerladen. Jeder dieser Orte ist an Karneval darauf ausgerichtet, spontan zum Party-Hotspot zu werden: Überall läuft Kölsche Musik, Stühle und Tische werden für improvisierte Tanzflächen beiseite geräumt. Man zieht also den ganzen Tag von Ort zu Ort und legt zwischendurch sogar noch Essenspausen (!!!) ein. Denn um Gelüste auf klebrig-süßes Gebäck oder fettiges Fast-Food zu befriedigen, muss du meist nur ein paar Schritte zum nächsten Straßenstand laufen. Erspart bleibt dir außerdem lästiges Warten auf den Nachtbus oder plötzliche Trägheit beim Vorglühen. Auch schön: Dein Schlafrhythmus wird dabei nicht durcheinander gebracht. Du kannst also – wenn du magst – abends wie gewohnt ins Bett gehen. 

Vielfalt und Toleranz gehören zum Kölschen Selbstverständnis

3. Die Kölsche Mentalität

Die Kölsche Mentalität ist offen und warmherzig. Das bedeutet: Kölner*in ist, wer sich so fühlt. Das gilt zum Beispiel für Personen mit Migrationshintergrund (wie mich). Diese inklusive Mentalität wird beim Karneval-Feiern besonders deutlich: In Kölle beschwert man sich in der Regel nicht über Tourist*innen, die mitfeiern wollen – sie gehören selbstverständlich dazu. Vielleicht ist der Kölsche Lokalpatriotismus deswegen einer, den ich besser akzeptieren kann: weil er teilweise anti-patriotisch ist. In Köln gibt es zum Beispiel seit Anfang der 90er Jahre die Kampagne „Arsch huh, Zäng ussenander“ (übersetzt: „Arsch hoch, Zähne auseinander“) gegen Rassismus und rechte Gewalt. Beteiligt sind zahlreiche Kölsche Bands, deren Musik insbesondere zu Karneval gespielt wird (mehr dazu unter 7.). „Mir all sin Kölle“ lautete außerdem ein Kölner Karnevalsmotto, das auch für eine Kundgebung „für Vielfalt und Toleranz“ des Karneval-Festkomitees verwendet wurde. An dieses Motto hält sich leider nicht jede*r – sonst wären solche Kampagnen nicht notwendig. Es gehört aber definitiv zum Kölschen Selbstverständnis. 

4. Kölsch ist das sozialste aller Biere

Kölsch kann man zwar das ganze Jahr über trinken, aber im Kölner Karneval darf es auf es auf keinen Fall fehlen. „Drinkste ene met?“ lautet nämlich das 10. Gebot des Kölschen Grundgesetzes (ja, so etwas gibt es). Übersetzt heißt das so viel wie: „Komme dem Gebot der Gastfreundschaft nach!“ Und wie ginge das besser als mit einem frischgezapften Kölsch? Ein Kölsch ist nämlich wegen der kleinen Gläser ziemlich günstig – und damit perfekt dazu geeignet, eine Runde auszugeben. Außerdem: So ein süffiges 0.2er Kölsch wird nicht so schnell schal wie größere Exemplare (bayerische Maß, I’m looking at you). Oft musste ich mir schon anhören: „Kölsch schmeckt doch wie Wasser“ – als wäre das ein Diss! Ich sehe das so: Wasser mag jede*r und wenn Kölsch wie Wasser schmeckt, dann mag auch jede*r Kölsch, auch diejenigen, die den Geschmack von Bier normalerweise nicht abfeiern. Kölsch ist also der niedrigprozentige Shot unter den Bieren, auf den sich – spätestens nach der zweiten Runde – alle einigen können. Schmeckt übrigens auch alkoholfrei hervorragend. 

5. Verkleidung: Du kannst sein, wer oder was du möchtest 

Und damit meine ich bitte (!) nicht „Indianer*in“, „Geisha“ oder irgendwas, das „Blackfacing“ involviert. Das ist rassistisch, kulturelle Aneignung und auch an Karneval nicht okay – auch wenn man das früher vielleicht so gemacht hat. Und unproblematische Kostüme gibt es mehr als genug! Ich gehe dieses Jahr zum Beispiel als „Sternenhimmel bei Nacht“ – ein paar Sterne und Monde auf die Kleidung kleben und ins Gesicht malen, Goldglitzer drauf und feddisch! Es gibt genügend Gegenstände, Fabelwesen oder fiktive Charaktere, als die man sich verkleiden kann. Im Familienbesitz ist zum Beispiel ein Toilettenkostüm (mit integrierter Spülung!) und eine Freundin von mir ist jedes Jahr Ampel. 

Das Kostüm ist ein guter Indikator dafür, wen man (besser nicht) daten sollte

Sich ein Kostüm auszudenken und es am besten noch selbst zu gestalten, macht nicht nur Spaß. Dabei kann man auch Teile der eigenen Persönlichkeit betonen. Viele nutzen Karneval nämlich dazu, sich einfach so bunt und ausgefallen anzuziehen, wie sie es sich sonst nicht trauen – ohne ausgefeiltes Kostüm-Konzept dahinter. Zum Beispiel war Karneval für mich als Kind auch die Möglichkeit, die bunten, funkelnden Kleidungsstücke, die meine Verwandten aus Iran uns schickten, mit Stolz zu tragen. Unsere Alltagskleidung bewegt sich meist mehr oder weniger im Rahmen der Norm. Nur die wenigsten trauen sich mehr, als vielleicht mal auffällige Sneaker zu tragen. An Karneval ist das anders: Je auffälliger und origineller, desto besser. Vielleicht sagt unsere Karnevalsverkleidung deshalb sogar mehr über uns aus als unser tägliches Outfit.

6. Personen, die du (lieber nicht) daten solltest, erkennst du auf einen Blick 

Dass ein Kostüm Auskunft über die Persönlichkeit der betreffenden Person gibt, ist auch in Sachen Dating hilfreich: Wer als Pokémon geht, ist eher nostalgisch-verspielt, wer Panda-Onesie trägt, eher gemütlich-praktisch veranlagt. Wer Cowboy*girl oder „Indianer*in“ wird, gehört vielleicht nicht zu den interkulturell Sensibelsten. Und der Typ, der sich als Riesen-Phallus verkleidet – du wirst ihm garantiert über den Weg laufen – ist offensichtlich auf Pubertäts-Niveau hängengeblieben. Das Kostüm ist jedenfalls ein guter Indikator dafür, wen man daten sollte – und wen lieber nicht. Denn es sagt nicht nur etwas darüber aus, wie kreativ oder humorvoll eine Person ist, es zeigt auch ihre Interessen. Entscheidend sind dabei natürlich persönliche Präferenzen. Ich meine: Kann das die große Liebe sein, wenn jemand als Edward geht und du #TeamJacob bist? Oder jemand Soldat*in wird und du Pazifist*in bist? Personen, die sich dagegen als ein Charakter aus deiner Lieblingsserie verkleiden, kommen nicht nur als Date infrage, sondern liefern auch den perfekten Gesprächseinstieg.

7. Kölsche Musik es en Jeföll

Es gibt sehr viele alte Kölsche Lieder, die ich schon mitsingen kann, seit ich klein bin. Die Texte sind oft lustig-ironisch (Bayer*innen mit Humor empfehle ich „Dat es ne joode lade he“ über drei Kölner, die sich ins Münchner Hofbräuhaus verirren). Viele Liedtexte verhandeln aber auch gesellschaftspolitische Themen. Darin geht es um Zivilcourage und Zusammenhalt. Besonders bekannt und mittlerweile zur Kölschen Hymne gegen Rassismus geworden ist „Unsere Stammbaum“ von den Bläck Föös. Ein Lied von den Höhnern mit dem Titel „Wann jeiht dr Himmel widder op“ wurde sogar von der Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano gemeinsam mit der Microphone Mafia gecovert. Zugegeben, das sind nicht unbedingt die Party-Knaller, die in jedem einzelnen Karnevals-Club gespielt werden. Und ganz aktuell sind sie auch nicht immer. Aber: Jede*r in Köln kennt sie und kann sie mitsingen – oder schnell lernen, sie mitzusingen. Wer also denkt, an Karneval werden nur Party-Schlager gespielt, liegt falsch: Kölsche Musik es en Jeföll

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